Lampertheim. Marvin Dienst ist seit frühester Kindheit Motorsportler. In Hockenheim feiert der Lampertheimer am kommenden Wochenende (1. bis 3. Oktober) sein Debüt in der DTM. Im Interview gewährt er Einblicke in die komplexe Welt des PS-Zirkus.
Heimspiel auf dem Hockenheimring. Haben Sie mitgezählt, wie viele Runden Sie auf der Strecke schon abgespult haben?
Marvin Dienst: Lustigerweise werde ich unter Freunden „Mister Hockenheim“ genannt, weil ich sehr, sehr oft dort war und bin - bei Testtagen oder zahlreichen Rennen in verschiedenen Klassen. Allein in diesem Jahr war ich dort schon 30 Tage unterwegs und jetzt kommen noch weitere dazu. Ich werde schon gefragt, ob nicht das Hotel an der Strecke mir gehört.
Wie ist die Erwartungshaltung in Ihrem Umfeld und bei Ihnen selbst vor der Premiere in der DTM?
Dienst: Nach meiner Wahrnehmung wird von mir relativ viel erwartet. Gar nicht von Mücke, dem Rennstall, für den ich am Wochenende im Auto sitze und auch nicht von Schaeffler-Paravan. Sondern von Teams, für die ich bisher gefahren bin. Die kennen mich und wissen, was ich im Auto kann. „Wir hoffen, Du zeigst uns was“, heißt es immer wieder. Es war noch nie mein Anspruch, mir nur mal alles anzuschauen und mal ein paar Runden im Kreis zu fahren. Wenn ich irgendwo starte, dann will ich liefern.
Sie haben Mücke und Schaeffler erwähnt. Warum kommt von da wenig Druck?
Dienst: Da muss man fair sagen, es ist mein erster Start in einer sich dem Ende nährenden Meisterschaft, gegen Fahrer, die das Auto, die Abstimmung, die Reifen seit dem Saisonstart kennen da muss man realistisch bleiben und sagen, dass sie einen Erfahrungsvorsprung haben. Wenn die Verantwortlichen mir nicht so viel Vertrauen schenken würden, würde ich nicht in diesem Auto sitzen. Das entspannt mich schon.
Sie haben das Schaeffler-Projekt schon angesprochen. Was verbirgt sich hinter einer Lenkung ohne Lenksäule, also steer by wire?
Dienst: Anders als bei einer konventionellen Lenkung werden die Steuerungsimpulse nicht mechanisch, sondern elektronisch übertragen. Diese Technologie ist noch ein Entwicklungsprojekt. Es ist noch nicht am Maximum seiner Fähigkeiten angekommen. Noch kann es die mechanische Lenkung, so wie wir sie seit Erfindung des Autos kennen, nicht ersetzen. Der große Vorteil dieser Technik ist, dass man jede Menge Parameter wie leichteres oder schwereres Einlenken bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten einfach per angestecktem Laptop verändern kann. Das geht bei einer mechanischen Lenkung nicht, dort müssen dafür jede Menge Teile ausgetauscht werden.
Dann ist es schon ein hohes Maß an Wertschätzung, dass diese Partner Sie für dieses Projekt geholt haben.
Dienst: Ja, ich genieße schon einen Riesen-Vertrauensvorschuss. Allerdings kenne ich das System schon sehr lang, bin im Porsche Cayman mit dieser Lenkung als erster über die Nürburgring-Nordschleife gefahren. Außerdem kenne ich den Mercedes sehr gut und eben die Strecke. All das waren Gründe, warum es hieß, Marvin Dienst springt jetzt bei der DTM ein.
Da sind wir beim Thema. Wird das Hockenheimwochenende 2021 eine einmalige Sache bleiben oder bestehen Chancen, auf weitere Rennen oder sogar eine komplette Saison in der DTM?
Dienst: Darüber zu sprechen ist noch zu früh. Dazu wird sich das Team zunächst das Wochenende anschauen, analysieren, wie es da läuft. Das ist ja für beide Seiten fair. Zum einen setzen sie mich dort ein und ich kann mein Debüt feiern. Zum anderen schauen sie, ob ich kompatibel für weitere Starts. Für dieses Jahr sind weitere DTM-Rennen eher unwahrscheinlich, weil Maximilian Buhk gesetzt ist. Und unter der Saison einen Fahrer auszutauschen bringt keinem etwas. Sollte sich allerdings wieder - wie jetzt - ein Termin überschneiden, müsste man die Situation neu bewerten.
In der DTM sind seit dieser Saison nicht mehr Prototypen am Start, sondern es werden die Fahrzeugklasse genutzt, die auch zum Beispiel im ADAC GT-Masters am Start sind. Die richtige Entscheidung?
Dienst: Was ist richtig, was ist falsch. Ich denke, die Zuschauer haben die DTM wie sie war und wie sie entstanden ist sehr geliebt. Gerade diese so genannten Class-One-Boliden waren wunderschöne Autos. Sie waren extrem schnell und technisch sehr, sehr weit den GT3-Autos voraus. Aber wenn man schaut, dass die DTM eben als aus einer Tourenwagenklasse heraus entstanden ist, mit straßennahen Fahrzeugen, dann waren sie das zuletzt nicht mehr. So sehr ich den Sound von den V8 oder anderen Motoren, die verwendet wurden, geliebt habe, war es das Ziel, mit relativ seriennahen Fahrzeugen die Meisterschaft zu retten. Dass auch die heutigen GT3-Fahrzeuge nicht mehr so seriennah sind stimmt, aber sie ähneln den Autos auf der Straße doch mehr.
Der Wechsel war auch dem Ausstieg der Hersteller geschuldet, da die Kosten immer extremer wurden, oder?
Dienst: Spätestens nach dem Weggang der Hersteller war klar, dass etwas passieren musste. Mit den GT3-Fahrzeugen wurden neuen Herstellern die Möglichkeit eröffnet, in diese Serie zu kommen. Ich nehme die Stimmung so war, dass es der richtige Schritt war, damit die DTM die Kurve kriegt. Schlecht war die Serie ja nie. Und die DTM schläft nicht, sie wird weiterhin Vorreiterin in Sachen GT-Fahrzeuge sein. So wie es die Formel 1 für ihre Klasse ist. Dabei geht es auch darum, den unterklassigen Serien eine Perspektive zu bieten.
Wie meinen Sie das?
Dienst: Mit dieser Fahrzeugklasse können sie in der DTM, im ADAC GT Masters genauso unterwegs sein, wie im vermeintlichen Anfänger- oder Amateursport mit diesen Fahrzeugen Rennen bestreiten - auch auf der Langstrecke. Das zeigt die Multifunktionalität dieser Autos.
Was sind denn die größten Unterschiede zwischen DTM und dem GT Masters?
Dienst: Am auffälligsten ist, dass in der DTM ein Fahrer pro Auto gesetzt ist. Ein Pilot bestreitet also das einstündige Rennen mit einem Pflichtboxenstopp. Das GT Masters ist hingegen ein Teamsport, dort teilen sich zwei Fahren ein Cockpit. Das heißt, beim Pflichtstopp muss der Fahrer gewechselt werden. Allerdings sind dort Reifenwechsel verboten. Für uns Fahrer sind die Reifen der größte Unterschied. In der DTM werden Michelin verwendet, im GT-Masters Pirelli. Außerdem haben die DTM-Autos mehr Leistung und Drehmoment.
Als 14-Jähriger haben Sie die Formel 1 als Traumziel genannt. Wie sieht das der 24-jährige Marvin Dienst?
Dienst: (lacht) Da muss man einfach realistisch sein. Aus dem GT-Sport in die Formel 1, diesen Schritt hat kein Fahrer bislang geschafft. Eher ist es so, dass Fahrer wie Pascal Wehrlein oder Timo Glock oder Markus Winkelhock von der Formel 1 in den GT-Sport zurückkommen. Und die Klasse dieser Serien zeigt sich ja auch darin, dass solche Fahrer die Konkurrenz dann nicht in Grund und Boden fahren. Das ist immer noch eine Königsklasse, nur in einem anderen Segment als der Formel 1. Für mich ist dieses Ziel unrealistisch geworden und nicht mehr erstrebenswert.
Seit 2016 sind Sie jetzt in GT-Boliden unterwegs, vorher waren Sie in Formel-Fahrzeugen unterwegs. Warum haben Sie gewechselt?
Dienst: Der Schritt war aus meiner Sicht unabdingbar. Es ist ja kein Geheimnis, dass Motorsport kein billiger Sport ist. Die Summen, die für eine Formelsport-Karriere benötigt werden, sind so exorbitant, dass das für mich zu keinem Zeitpunkt möglich war, diese Schiene weiterzuverfolgen. Natürlich habe ich versucht, diese Wege zu gehen, weil jeder Rennfahrer im Formelsport anfängt. Ich musste mich nach Alternativen umschauen und habe den Sprung in die GT-Serien gewagt. Ich bin da ziemlich hoch eingestiegen mit dem GT Masters. Das war für mich der logische Schritt, weil ich die Perspektive im GT-Sport gesehen habe, um langfristig Geld zu verdienen.
Kann man denn vom Motorsport leben? Und wenn ja, wie?
Dienst: (schmunzelt) Diese Frage wird mir gar nicht so selten gestellt. Das ist ja auch verständlich, weil es sie interessiert. Und viele haben wohl schon erwartet, dass die erste Million schon reingeflattert ist. Wenn man das mit Fußball vergleicht, dann ist man mit der DTM nicht mehr in der Bundesliga, sondern schon drüber, in der Champions League. Genau wie in der WEC (Langstreckenserie/Anmerkung der Redaktion). Damit würde man sich im Fußball im siebenstelligen Gehaltsbereich bewegen, im Motorsport ist es so: Wenn du wirklich Geld verdienst, bist du gut dabei.
Wie meinen Sie das?
Dienst: Meistens sind die Deals so, dass du kostenlos fährst und garnichts verdienst, sondern sogar noch die Reisekosten selbst anteilig mitträgst. Es ist eher so, dass du Geld mitbringen musst. Wenn man einen Werksvertrag bekommt, dann kann man Geld verdienen.
Und wie machen Sie das?
Dienst: Ich verfolge das Geschäftsmodell, dass ich Coachings anbiete, Individualtrainings mache, und interessierten Einsteigern mit meiner Expertise den Weg in den Motorsport zu ebnen. Außerdem habe ich nach meiner Ausbildung zum Automobilkaufmann mir noch das Standbein als Schulungsleiter für Automobilunternehmen und Autohäuser zum Beispiel im Bereich Elektromobilität aufgebaut. Da geht es nicht so sehr um die Erfahrungen als Rennfahrer, sondern um das generelle technische Verständnis.
Benzin, grüner Kraftstoff oder Stromer - wo sehen Sie die Zukunft, auch im Motorsport?
Dienst: Mit der Bestätigung, dass viele Hersteller den Verbrenner bis 2030 nicht mehr weiterproduzieren werden und voll auf Elektromobilität oder andere alternative Antriebsmöglichkeiten umsteigen werden, wird auch im Motorsport der Wandel kommen. Zunächst wird man vielleicht den Weg des Hybriden gehen, wobei da der Nutzen eher gering ist, weil der Verbrennermotor ja nicht weiterentwickelt wird. Insofern wird es zu Elektroantrieben, Wasserstoff oder anderen Antrieben kommen.
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