Mannheim. Alfred Gislason redete und redete und redete. Was zwar für sich genommen keine Nachricht für die Tagesschau ist, sehr wohl aber für den deutschen Handball eine gewisse Bedeutung hat. Denn wenn der Bundestrainer – ansonsten eher der Typ, der mit wenigen Worten viel sagen kann – die Sätze nur so aneinanderreiht, dann muss etwas passiert sein. Und das war es auch. Die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) verlor am Donnerstag in Mannheim im EHF-Euro-Cup gegen Schweden mit 33:37 (16:19), was auf den ersten Blick noch wie ein achtbares Ergebnis gegen den Europameister aussieht. Allerdings spiegelte das Resultat nicht die Kräfteverhältnisse wider.
„Mindestens zwei Klassen besser“ seien die Skandinavier gewesen, sagte Gislason und gab sich erst gar keine Mühe, seinen reinen, geballten Frust nach dieser schockierenden Begegnung mit der Realität zu verbergen. Entsprechend analysierte er diesmal auch nicht nur präzise, sondern ebenso ausführlich. Es gab ja viel zu besprechen und zu bemängeln nach diesen ernüchternden 60 Minuten, die mit einem „25:40“ hätte enden können, wie Spielmacher Juri Knorr zugab.
Gefühlt ging die Partie auch genauso aus, weshalb Gislason von einem „emotionalen Dämpfer“ sprach. Der Bundestrainer dachte und hoffte, dass seine Mannschaft schon wesentlich weiter in ihrer Entwicklung sei. Doch gegen Schweden bekam die DHB-Auswahl ihre Grenzen aufgezeigt.
Fast schon erwartbar waren die Probleme im Innenblock. Auf das einstige Prunkstück ist mittlerweile so viel Verlass wie auf die Pünktlichkeit der Bahn. „Wir haben unsere Baustelle in der Abwehr“, sagte Gislason, der in der Defensivzentrale den Erlangener Tim Zechel und den Gummersbacher Julian Köster testete. Der Erfolg blieb überschaubar, gesucht wird weiterhin die Idealbesetzung neben Kapitän Johannes Golla, der gegen Schweden auch in der Offensive mit zwölf Treffern glänzte. Allerdings interessierte ihn seine eigene Leistung kaum, was angesichts des alarmierenden Gesamteindrucks auch nur allzu verständlich war: „Wir brauchen von allen Spielern gute Leistungen.“
Was den Kapitän und den Bundestrainer maßlos ärgerte, waren neben der unzureichenden Defensivvorstellung die vielen simplen Ballverluste. Schweden erzielte insbesondere nach dem Seitenwechsel einen Gegenstoßtreffer nach dem anderen, agierte mit der Kaltblütigkeit eines Europameisters – und zog mit einem 6:0-Lauf innerhalb von sechs Minuten auf 25:16 davon. In diesen Momenten drehte sich das deutsche Katastrophen-Karussell immer schneller, es nahm rasant an Fahrt auf.
„Das war enttäuschend. Wir müssen uns einen Riesenvorwurf machen“, wurde Gislason erstmals in seiner zweieinhalbjährigen Amtszeit recht deutlich, ohne zu einem verbalen Rundumschlag auszuholen. Der Isländer sprach seine Worte unaufgeregt aus, aber eben auch mit der indirekten Botschaft versehen, dass er so etwas nicht noch einmal erleben will: „Es ist ja schon schwer genug gegen Schweden. Wir verschenken so viele Angriffe, das dürfen wir nicht machen.“ Phasenweise, konstatierte der 63-Jährige, habe seine Mannschaft „den Kopf und die Linie“ verloren: „Wir haben Lehrgeld bezahlt. Das tat schon weh.“
Diese Fehler sollten sich besser nicht am Samstag (20.15 Uhr) im andalusischen Jaén gegen den Olympiadritten Spanien wiederholen. Denn „so wird es gegen jede europäische Spitzenmannschaft schwer“, sagte Rechtsaußen Patrick Groetzki von den Rhein-Neckar Löwen nach einem Spiel, in dem sein Clubkollege Knorr die meiste Zeit als Mittelmann agierte.
Der 22-Jährige hinterließ in dieser verantwortungsvollen Rolle einen ordentlichen Eindruck – vor allem einen deutlich besseren als Luca Witzke. Nur war bei aller Nachsicht und Fürsorgepflicht für die Jugend eben auch Knorr nicht ganz unbeteiligt daran, dass Schweden die Begegnung direkt zu Beginn der zweiten Halbzeit entschied.
„Da mache ich ein, zwei Fehler“, wusste der Rechtshänder selbst um seinen Anteil. Andererseits: Er blieb auch nach diesen missglückten Aktionen stabil, mit acht Assists und vier Treffern war Knorr der beste Deutsche in einem ansonsten eher blassen Rückraum, in dem es grundsätzlich darum geht, zunächst einmal das Richtige und nicht zwingend das Besondere zu tun. Sprich: Ballverluste vermeiden. Doch das gelang kaum.
Schon am Samstag besteht die Chance, es besser zu machen. Die Partie in Spanien wird auf jeden Fall im Paket mit den besorgniserregenden Eindrücken aus dem Schweden-Spiel recht viel über den Ist-Zustand dieser deutschen Mannschaft aussagen. Das glaubt auch Golla: „Gegen gute Gegner sehen wir, was wir besser machen müssen. Das sind die Spiele, die uns weiterbringen. Wenn wir etwas nicht optimal machen, wird das sofort bestraft.“
Im Optimalfall folgt daraus ein Lerneffekt. Sonderlich aufbauend wäre ein weiterer „emotionaler Dämpfer“ drei Monate vor der Weltmeisterschaft in Polen und Schweden allerdings nicht.
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