Paris. Auf der Homepage des Deutschen Schwimmverbandes (DSV) steht eine Liste der deutschen Olympiasieger im Schwimmen, Wasserspringen und Wasserball. Mangels Erfolgen fehlt Synchronschwimmen dort. Die bedeutsamste Sparte ist traditionell das Beckenschwimmen. Und dort gab es seit 1900 etliche Erfolge. Wer die Liste jedoch genauer durchgeht, wird feststellen, dass es in der jüngeren Vergangenheit ausschließlich Frauen waren, die olympisches Gold aus dem Chlorwasser fischten. Der letzte Mann war Michael Groß. Der „Albatros“ gewann 1988 in Seoul über 200 Meter Schmetterling. Seit Samstagabend steht in dieser Liste nun (endlich) ein neuer Name: Lukas Märtens. Er gewann in Paris das Finale über 400 Meter Freistil.
Die Größe dieser Leistung dürfte ihm 22-Jährigen erstmals bewusst geworden sein, als in der Paris la Defense Arena, die mit 17 000 Zuschauern gefüllt war, die deutsche Nationalhymne vom Band lief. Märtens gilt als ruhiger, kontrollierter Zeitgenosse. Auf einmal aber kämpfte er verbissen gegen die Tränen an und gewann den Kampf nur knapp. Ein paar Minuten später hatte er sich dann schon wieder unter Kontrolle, als er sich in der Mixed Zone vor den deutschen Journalistenpulk stellte. „Ich habe angeschlagen, auf die Anzeigentafel geschaut und gedacht: Nein, das kann nicht sein. Nach dieser Saison, nach den ganzen Strapazen - das war alles andere als abzusehen, auch wenn die ganzen Vorleistungen dafür gesprochen haben. Mit dem Druck muss man erstmal umgehen, das ist nicht ohne.“
Märtens wird in Paris seiner Favoritenrolle gerecht
Schon im April hatte Märtens bei den deutschen Meisterschaften gezeigt, dass der Olympiasieg auf seiner Spezialstrecke nur über ihn gehen würde. In Berlin war er bis auf 26 Hundertstel an den Weltrekord von Paul Biedermann herangeschwommen, den dieser 2009 in der Hochphase der Plastikanzüge aufgestellt hatte. Als Weltjahresbester war Märtens also nach Paris gereist, dort im Vorlauf ein kontrolliertes Rennen geschwommen und sich dennoch als Schnellster die begehrte Mittelbahn gesichert. Von dort hatte er im Finale dann die Kontrahenten im Blick und vor allem im Griff. Märtens schwamm das Rennen seines Lebens und siegte in 3:41,78 Minuten.
„Die letzten Meter waren die schlimmsten meines Lebens, aber irgendwie auch die schönsten. Ich war die ganze Zeit vorn und habe es ins Ziel gebracht. Das war die letzten Jahre manchmal nicht so, da habe ich mir manchmal noch den Schneid abkaufen lassen.“
Den Weltrekord von Biedermann (3:40,07) verpasste er. Märtens dazu: „Ist mir scheißegal, ob der jetzt gefallen ist oder nicht. Ich bin jetzt ganz oben und ich denke, das habe ich mir verdient.“ Hinter dem Magdeburger holten der Australier Elijah Winnington und Kim Woomin aus Südkorea Silber und Bronze.
Märtens’ Sieg war das Ergebnis einer perfekten mentalen Vorbereitung. Speziell als Favorit dürfe man nicht mit dem Mantra „ich muss, ich muss, ich muss“ an den Start gehen. Ganz im Gegenteil: „Ich muss gar nichts. Das war das Motto meiner Saison und ich denke, damit bin ich bisher ganz gut gefahren“, sagte er. Dabei hätte diese Saison auch anders laufen können. Im Herbst musste er wegen mehrerer Infekte zweieinhalb Monate Trainingspause einlegen. Grund war, wie erst spät festgestellt wurde, eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung.
Nach den Spielen steht deshalb eine Operation an. Die gesundheitlichen Probleme erzeugten aber auch eine Trotzreaktion. Als er wieder ins Wasser durfte, habe er sich vorgenommen, jetzt eben noch härter zu trainieren. Zu allem Überfluss ging im Frühling auch noch die mehrjährige Beziehung mit seiner Mannschaftskollegin Isabel Gose in die Brüche. Keine einfache Situation, denn die beiden sehen sich weiterhin täglich im Training, pflegen aber einen freundschaftlichen Umgang. Gose wurde am Samstagabend, direkt nach Märtens Gold-Rennen, in deutscher Rekordzeit (4:02,14 Minuten) Fünfte über 400 Meter Freistil. Am Mikrofon der ARD brach sie danach prompt in Tränen aus.
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