Mannheim. Joti Chatzialexiou fingerte sich gerade die Stöpsel für die Schalte im ARD-Morgenmagazin aus dem Ohr, als der Fahrdienst auf das Gelände des Wyong Race Club bog. Britta Carlson und Sabine Mammitzsch stiegen aus. Wenn Chatzialexiou als Sportlicher Leiter Nationalmannschaften, Carlson als Co-Trainerin und Mammitzsch als Delegationsleiterin der deutschen Fußballerinnen gemeinsam herangekarrt werden, dann ist der Krisenmodus angebrochen.
Der strahlende Sonnenschein konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass über den DFB-Frauen eine dunkle Wolke hängt. Den Gruppensieg haben Alexandra Popp und Co. vor der nächsten Traumquote mit im Schnitt 10,36 Millionen Fernsehzuschauer mit dem 1:2 gegen Kolumbien so gut wie verspielt. Ob sich daraus das nächste Gewitter mit Endzeitstimmung für den deutschen Fußball entwickelt, hängt vom dritten WM-Gruppenspiel gegen Südkorea am Donnerstag (12 Uhr/live im ZDF) ab.
Mit Sieg sicher weiter
„Du hast bei einem Turnier einen Joker - den haben wir uns genommen. Jetzt haben wir halt ein K.o.-Spiel mehr“, fasste Chatzialexiou die Ausgangslage pragmatisch zusammen. Gleichzeitig gab er zu: „Jetzt stehen wir etwas mit dem Rücken zur Wand. Aber trotzdem bleiben wir bei uns und werden weiterhin keine Zweifel aufkommen lassen, dass wir das Spiel gegen Südkorea gewinnen.“
Dann ist das Weiterkommen sicher. Wegen der Tordifferenz reicht auch ein Remis, wenn Kolumbien gegen Marokko nicht verliert. Aber derlei Rechenspiele hätten sich alle gerne erspart.
Chatzialexiou ist überzeugt, dass das Vorrundenfinale zur „Kopfsache“ wird. Zwar würden die von Deutschland-Kenner Colin Bell trainierten Asiatinnen alles für die Ehre tun, aber über Parallelen zum Vorrunden-Aus der Männer-Nationalmannschaft im letzten Gruppenspiel gegen Südkorea bei der WM 2018 lächelte er nur müde. „Wann kramen wir die Sachen von 1974 raus?“
Debütantinnen zahlen Lehrgeld
Besser ist es tatsächlich, die aktuellen Mängel der Frauen anzusprechen, und da entschied sich Carlson auf der Pressekonferenz für kurze Botschaften. „Gegen Marokko war nicht alles gut und gegen Kolumbien nicht alles schlecht.“
Bereits für Montagmorgen hatte das Trainerteam die Aufarbeitung angesetzt. Dafür hatten die Analysten eine Nachtschicht eingelegt. Der überflüssige Ballverlust von Chantal Hagel kam ebenso in Bildern vor wie der zu einfache Block gegen Sjoeke Nüsken - zwei WM-Debütantinnen zahlten Lehrgeld. Man habe „Klartext“ geredet, versicherte die Co-Trainerin, die im Duktus der Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg bemängelte, dass die Betonung der defensiven Stabilität („Wir haben bis auf die zwei Standards kaum etwas zugelassen“) einiges an offensiver Wucht kostete. Ohne Durchbrüche über die Außenbahn, ohne Präsenz im Strafraum und ohne Mut im letzten Drittel wird es nicht nur gegen Kolumbien schwierig.
Erhält Brand eine Auszeit?
Die für Frauen- und Mädchenfußball zuständige DFB-Vizepräsidentin Mammitzsch machte sich dennoch keine grundsätzlichen Sorgen. „Ich sehe hier die Qualität im Training, ich sehe die Leistungen in den Vereinen“, beteuerte die 64-Jährige, die nicht davon ausgeht, dass bereits vor Beginn der K.o.-Phase an der Central Coast die Koffer gepackt werden müssen. Doch die richtigen personellen Schlüsse und taktischen Anpassungen nach dem Weckruf sollten jetzt folgen.
Die überfordert wirkende Jule Brand, die im Champions-League-Finale ihres VfL Wolfsburg keine Minute zum Einsatz kam, ist nun die erste Wackelkandidatin aus der Startelf - ansonsten würde das Leistungsprinzip außer Kraft gesetzt. „Jule wollte mit dem Kopf durch die Wand. Sie ist noch eine junge Spielerin. Wir schauen uns genau an, wie frisch sie ist“, sagte Carlson.
Doppelsturm mit Popp und Schüller möglich
Genauso könnte es der überspielt wirkenden Lina Magull helfen, mal von der Bank zu kommen. Definitiv pausieren muss Innenverteidigerin Sara Doorsoun mit einer Muskelverletzung. Immerhin steht Abwehrchefin Marina Hegering - ebenso wie Sydney Lohmann - endlich wieder zur Verfügung.
Die Co-Trainerin verriet, dass ein Doppelsturm mit Lea Schüller und Alexandra Popp wegen der körperlichen Vorteile erwogen wird. „Es könnte sich anbieten, mit zwei Spitzen zu spielen.“
Bundestrainerin nun gefordert
Einen radikalen Systemwechsel zur Dreierkette in der Abwehr schloss Carlson aber aus. Die 45-Jährige ist längst zur wichtigsten Ratgeberin von Voss-Tecklenburg geworden, mit der sie im Basecamp ein Apartment bewohnt. Ihre aktive Karriere als Nationalspielerin war zwar nicht ganz so erfolgreich wie die der Cheftrainerin, aber auch sie ergatterte 2005 einen EM-Titel.
Voss-Tecklenburg hatte bereits am Sonntagabend mit Blick auf das Entscheidungsspiel in Brisbane gesagt, „als Vorbild vorneweg gehen“ zu wollen. Es sei ihre Aufgabe, „jetzt keine Sachen schönreden“ zu wollen, aber sie müsse ihren Spielerinnen „auch Mut zusprechen“.
Ganz nebenbei geht es auch für die 55-Jährige um einiges, denn bei aller Sympathie für ihre überwölbenden Botschaften zu den Fortschritten des Frauenfußballs: Als Bundestrainerin wird auch sie in erster Linie am sportlichen Erfolg gemessen.
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