Zürich. Ein letztes Winken aus traurigen Augen. Giovanna Hoffmann hatte beide Koffer verstaut, ein Erinnerungsbild verpackt und die letzten Autogramme gegeben, als am Donnerstagmorgen ihr schwarzer Van bei der Abreise der deutschen Fußballerinnen aus dem Teamhotel am Uetliberg im Westen von Zürich davonfuhr. Noch einmal sollte die Spätstarterin zum Sinnbild der deutschen Frauen-Nationalmannschaft werden. Der Glaube versetzt in der Schweiz eben doch keine Berge – und vielleicht sind auf mancher Position die Möglichkeiten zu limitiert, um den Gipfel zu erklimmen. Mittelstürmerin inklusive.
Der achtfache Europameister Deutschland ist wieder raus. Das EM-Finale bestreiten Spanien und England in einer Neuauflage des WM-Finals 2023 nun in Basel (Sonntag, 18 Uhr/ZDF). Hoffmann hatte sich nicht nur auf dem Platz nach allen Kräften gewehrt, sondern es auch nach dem in der Verlängerung verlorenen Halbfinals (0:1) abgelehnt, wie begossene Pudel dazustehen, obwohl es bei der Danksagung vor den vielen Fans im Letzigrund bereits kräftig schüttete. „Man hat gesehen, dass jede einzelne bereit ist, ihr Leben zu geben, um für Deutschland Fußball zu spielen und ihr Land zu repräsentieren“, versicherte die 26-Jährige und versprach: „Das Fundament an Mentalität werden wir weitertragen.“
Erstmalige Niederlage gegen Spanien war nicht unverdient
Davon konnten sich am Mittwochabend im Schnitt stolze 14,26 Millionen TV-Zuschauern überzeugen. Einstellung, Haltung, Außendarstellung – alles tadellos. Halbfinale verloren, Herzen gewonnen. Die Zuneigung flog den Spielerinnen ob ihres nimmermüden Kampfgeistes zu, weil sie zu jeder Sekunde alles aus sich herausgeholt hatten. Im Fahrwasser des Lobes bewegten sich auch die Verantwortlichen vom Deutschen Fußball-Bund (DFB). „Mit diesem Turnier hat etwas Wunderbares begonnen. Der Zusammenhalt trägt für die kommenden Spiele und darüber hinaus“, erklärte Präsident Bernd Neuendorf. Und Sportdirektorin Nia Künzer erläuterte, dass man einer „kurzen Nacht und großer Enttäuschung“ doch mit dem Gefühl die Schweiz verlasse, „etwas Großes geleistet“ zu haben: „Wir haben eine besondere Zeit verbracht – das bleibt für immer.“ Dass es gegen die auf Ballbesitz gepolten Weltmeisterinnen erstmals eine Niederlage gab, war nicht unverdient: Das Team in roten Hemden verkörperte die Kunst, die Mannschaft in weißen Jerseys die Arbeit.
Im gesamten Turnierverlauf blieben fußballerische Akzente bei den DFB-Frauen auf der Strecke. Trotzdem glaubte auch die beim Gegentor von Aitana Bonmati (113.) unaufmerksame Torhüterin Ann-Katrin Berger, dass bereits bei der WM 2027 mehr herausspringen kann: „Die Mädels haben unfassbar Talent, unfassbaren Willen, die haben Leidenschaft, die haben den Teamgeist. Auf das Potenzial von jeder Einzelnen kann sich Deutschland freuen.“
Der eigentlich mit einem spielerisch höheren Anspruch angetretene Christian Wück wollte ein „gutes Turnier“ gesehen haben. Der Bundestrainer, nach seiner EM-Premiere im Frauenbereich nach eigenem Bekunden „komplett leer“, richtete ein Gesamtlob an diese verschworene Gemeinschaft: „Wir können stolz darauf sein, dass wir so eine EM gespielt haben, dass wir so eine Euphorie entfacht haben.“ Er selbst habe sehr viel gelernt, „auf und neben dem Platz“.
Der 52-Jährige formulierte auf der Pressekonferenz präzise, welche Lehren gezogen werden müssen. „Wir müssen uns im Ballbesitzspiel und in der Technik verbessern.“ Für ihn dienten „die Chancen, die wir nicht gut zu Ende gespielt haben“, als nur ein Beleg. Es brauche noch einen Entwicklungsschritt, „damit wir irgendwann eine Mannschaft haben, die solche Turniere gewinnen kann.“ Dafür benötige es aber mehr Talente als Carlotta Wamser und Franziska Kett, die Wück ins kalte Wasser warf – und die sich schneller freischwammen als gedacht.
Bundestrainer Wück nimmt Verband und Vereine in die Pflicht
„Manchmal braucht es nur den Mut, solche Spielerinnen mal zu bringen“, merkte Neuendorf an, der allen Vereinen hierzulande gleich noch riet, „mehr Angebote für Mädchen und Frauen zu schaffen“, um die Nachfrage in die nächsten Wochen und Monaten zu bedienen. Wück sieht Verband und Vereine vor allem in der Pflicht, bei der Talentförderung mehr zu tun. Das klappe bei den Junioren besser als den Juniorinnen, wo es ja auch viel, viel mehr Nachwuchsleistungszentren gebe, mahnte der frühere Nachwuchscoach: „Wir müssen uns verbessern, vor allem im weiblichen Jugendbereich, dass wir gut ausgebildete Talente in die Bundesliga kriegen.“
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar DFB-Frauen werden trotz EM-Aus zu Vorbildern