Fußball

Deutsche Frauen-Nationalmannschaft: Wenn "Oma" immer noch die Schnellste ist

Eigentlich sollte Sara Doorsoun im deutschen WM-Kader dem fest eingeplanten Verteidigerinnen-Duo um Marina Hegering und Kathrin Hendrich Druck machen. Doch Hegerings Verletzung lässt die 31-Jährige nun mehr in den Fokus rücken

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Frank Hellmann
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Sara Doorsoun gilt als Frohnatur im deutschen WM-Kader. Doch auch auf dem Platz nimmt die 31-Jährige eine wichtige Rolle ein. © Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Offenbar hatte die eine oder andere das Gelände vom Central Coast Regional Sporting & Recreation Complex schon vermisst. Sonst wären die deutschen Fußballerinnen am Donnerstagmorgen wohl kaum mit einem solch breiten Lächeln aus dem Bus gestiegen. Anschließend begann die Trainingseinheit am Rande der Ortschaft Tuggerah mit viel Gekicher.

Dem verbreiteten Frohsinn vor dem zweiten WM-Gruppenspiel am Sonntag (11.30 Uhr/live in der ARD) in Sydney gegen Kolumbien stand der Fakt entgegen, dass Innenverteidigerin Marina Hegering weiterhin nicht die volle Belastung vertrug - und dann kann eine Abwehrchefin nicht eingesetzt werden, wo es doch im Sydney Football Stadium nach Aussage aller zur Sache gehen dürfte.

Alle WM-Spiele 2019 bestritten

„Wir wissen, dass es ein sehr körperbetonter Gegner sein wird, dass wir eventuell den Ball ein bisschen früher spielen müssen, sonst kann es wehtun“, mahnte Abwehrspielerin Sara Doorsoun, die beinahe wie am Fließband die Medienanfragen abarbeitete. Ihre Botschaft für den Härtetest: „Wenn man mich braucht, bin ich da.“

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Eigentlich wollte sie es dem gesetzten Abwehrduo Kathrin Hendrich mit Hegering nur „so schwer wie möglich“ machen, nun ist die 31-Jährige doch mittendrin - wie bei der WM 2019 in Frankreich, als sie alle fünf Spiele bestritt.

Schnelligkeit als größte Stärke

„Wenn ich in der Startelf stehe, erfülle ich meine Aufgabe. Ich definiere mich nicht nur über meine Einsatzzeiten.“ Kein unwichtiger Zusatz der Nummer 23, die definitiv zu den Frohnaturen in Australien gehört. Als beim ZDF-Interview auf der Veranda erst ein Mikrofon streikte und dann ein Trecker über die Rennbahn tuckerte, scherzte sie: „So langsam bin ich nicht!“

Allzu gerne veralbert sich die gebürtige Kölnerin als „Oma“. Wenn sie aber alle anderen bei Sprintübungen abgehängt hat, betont sie auch gerne, wie „fresh und knackig“ sie noch sei. Als ihr größtes Plus nennt sie „ganz klar die Schnelligkeit“.

Harmonische Wohngemeinschaft

Bei der letzten WM half ihr das Tempo, den einen oder anderen technischen Fehler auszubügeln. Ihr Abwehrspiel war damals nicht frei von Risiken, ihr Aufbauspiel hat bis heute Steigerungspotenzial. Als Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg nach dem 6:0 im Auftaktspiel gegen Marokko betonte, eine Sara Doorsoun mache „einfach ihr Ding“, war das als Kompliment für das große Ganze gemeint. Da bringe jemand „eine positive Energie ein. Das tut uns gut.“

Aktuell bewohnt die Verteidigerin ein Apartment mit Torhüterin Merle Frohms - da scheinen sich zwei gesucht und gefunden zu haben. Doorsouns Social-Media-Video von einer Dirty-Dancing-Tanzeinlage landete in den Abruflisten unter den DFB-Frauen weit oben. Keine unwichtige Währung intern. Doch die 46-fache Nationalspielerin weiß auch, wann es ernst wird. Gegen Marokko feierte sie eine gelungene Grätsche mit geballter Faust. Eine Führungsspielerin muss halt auch mal dazwischen fegen - auch neben dem Platz.

Outing vor laufender Kamera

„Sie hat bei uns vergangene Saison auch mal auf den Putz gehauen, wenn es nicht so lief“, erzählt Tanja Pawollek, die Kapitänin von Eintracht Frankfurt. Dorthin war Doorsoun im Januar 2022 gewechselt, als sie beim VfL Wolfsburg nur noch wenig Spielanteile hatte. Ein Schritt zurück, um wieder zwei nach vorne zu machen. Inzwischen hat sie ihren Vertrag als Führungsspielerin der Eintracht bis 2025 verlängert. „Es ist eine Erfolgsgeschichte für beide Seiten“, erklärt ihr Vereinstrainer Niko Arnautis. „Wir haben von ihrer Erfahrung profitiert, sie von unserer Entwicklung.“

Lehren im Fußball sind das eine, Lektionen für das Leben das andere. Offen erzählte Doorsoun im vergangenen Jahr in der Doku „Born for This“ davon, dass sie mit Louise Schaaf - bekannt aus der Fernsehshow „Princess Charming“ - zusammen sei. Ihr aus dem Iran stammender Vater, die Mutter kommt aus der Türkei, wusste zu diesem Zeitpunkt gar nicht, dass sie Frauen liebe.

In der zweiten Staffel sprach sie nun über die Trennung von ihrer prominenten Lebensgefährtin. „Ehrlich, mir geht’s gar nicht so gut. Jetzt habt ihr mich“, stammelte sie unter Tränen und gab zu: „Ich bin immer noch dabei, über mich zu lernen.“ Dass der familiäre Verarbeitungsprozess vor ihrem kulturellen Hintergrund nicht abgeschlossen sein dürfte, ist zu erahnen.

Herzensprojekt mit Tekkal

Doorsoun wird immer wieder darauf angesprochen, wie sie Vorbild für andere Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund sein kann, die Fußball spielen wollen. Ein tiefgreifender Themenkomplex, der ihr nicht mehr so fremd ist wie früher. Sie sagt dann meist, dass es schön wäre, wenn manche Eltern anhand ihres Werdegangs feststellen würden, dass der Sport für deren Töchter gar nicht so verkehrt sei.

Um das Spannungsfeld besser zu verstehen, ist sie mit der Ex-Bundesligaspielerin Tugba Tekkal in den Irak geflogen, hat dort mit Mädchen gekickt. Seit Jahren interessiert sie sich für die Projekte der aus dem Irak geflüchteten Aktivistin, die inzwischen ein großes Netzwerk aufgebaut hat. Doorsoun ist eine auf höchster Ebene aktive Unterstützerin. Gerade erst hat sie in einem Interview der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ versprochen: „Dieser Herzensangelegenheit werde ich weiter verpflichtet bleiben.“

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