Paris. Sie ist alles andere als zurückhaltend. Das war sie nie. Und so analysierte sie ihren Paris-Auftritt auch schonungslos. „Heute war der Tag, an dem es gezählt hat. Heute hätte ich anders performen müssen. Ich habe es nicht auf die Bahn gebracht“, sagte die beste deutsche Sprinterin – ohne Rücksicht auf sich selbst. Gina Lückenkemper wollte unbedingt in das Finale über 100 Meter im Stade de France vor 80 000 Zuschauern. Zwei Hundertstelsekunde fehlten am Ende. Ein Wimpernschlag – nicht mehr.
Lückenkempers Halbfinale war nicht so stark besetzt wie das zuvor mit der späteren Olympiasiegerin Julien Alfred und Weltmeisterin Sha’Carri Richardson. „Sauärgerlich“ sagte die Europameisterin von 2022 in München.
Sie vergab leichtfertig die Chance, einmal bei Olympia ein Sprintfinale zu erleben. Aber sie kam schlecht aus den Startblöcken. Auf den letzten Metern hatte sie dann noch zuzusetzen, aber nicht genug. Es waren nach 11,09 Sekunden doch zwei Hundertstel zu wenig. Sie lächelte nach der vergebenen Chance, wie immer, wenn die Kameras da sind. Aber es sah gequält aus.
„Es hat nicht gereicht, aber es ist eher Ärger und Wut als Enttäuschung. Das musste nicht sein“, sagte Lückenkemper.
Sie wollte als erste Deutsche nach Heike Drechsler 1988 in Seoul in das 100-Meter-Finale. Damit Olympia nicht zur Totalenttäuschung wird, setzt sie nun noch auf die Sprintstaffel. Ob 2028 in Los Angeles noch eine olympische Option ist, lässt sie offen.
Mit der Staffel sind Erfolge verbunden. In München Europameister, in Rio de Janeiro 2016 wurde die Staffel Vierte, in Tokio 2021 Fünfte, Bronze gab bei den Weltmeisterschaften. Lückenkemper hofft also weiter auf einen positiven Ausgang ihrer dritten Olympischen Spiele. Die Vorfreude auf die Staffel ist groß, auch wenn sich Rebekka Haase im Stade de France schon im Vorlauf verabschiedete.
„Wir wollen in den Endlauf“, sagt Lückenkemper. „Es ist und bleibt das große Ziel“, so die 27-jährige Athletin vom SCC Berlin. Sie sieht sogar ein „Luxus-Szenario“: „Wir haben sechs Athletinnen, die alle gut in Form sind. Es ist völlig egal, welche vier auf der Bahn stehen.“ Ganz egal ist ihr das allerdings nur, wenn sie dabei ist.
Alfred begeistert alle mit Triumph über 100 Meter
Olympiasiegerin Alfred gewann indes das erste Gold für den Karibikstaat St. Lucia und wurde von ihren Gefühlen überwältigt. Als Kind war sie barfuß zur Schule gelaufen, Geld hatte die Familie nicht, aber sie machte ihren Weg. Die Inspiration holte sie sich von Usain Bolt. Bei der Finalvorbereitung sah sie sich die Rennen des Superstars ganz genau an. „Usain fasziniert mich.“ Sie gewann das Finale bei strömendem Regen in 10,72 Sekunden, dominierte von Beginn an. Die US-Konkurrenz war ohne Chance.
Auch Zehnkämpfer Leo Neugebauer dachte nach seiner Silbermedaille an seine College-Kollegin: „Ich habe sie noch nicht gesprochen, aber das werde ich noch tun. Ich bin überglücklich, dass sie gewonnen hat. Sie hat sich das so sehr verdient, sie ist von Herzen ein guter Mensch.“ Am nächsten Morgen lieferte Alfred sofort wieder ab. In 22,41 Sekunden gewann sie ihren Vorlauf über die 200 Meter so souverän wie das Finale über 100 Meter.
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