Mannheim. Der selige Franz Beckenbauer hätte sich die Augen gerieben und gefragt: „Ja, ist denn heut’ schon Weihnachten?“ Im Anschluss an das 6:1 am Samstag gegen Aufstiegskandidat Rot-Weiss Essen stimmten die Waldhof-Fans Peter Alexanders „Schneewalzer“ an, schunkelten dazu wie beim Biathlon in Oberhof. Den „Waldhofwalzer“ tanzten sie Arm in Arm oben auf der OST, der Otto-Siffling-Tribüne. Unten auf dem Feld tanzten die Spieler mit: stimmiges Finale für einen denkwürdigen Tag.
Als die Feierlichkeiten zumindest im Stadion beendet waren, stapfte ein tiefenentspannter Nicklas Shipnoski in die Katakomben. Ein Lächeln auf dem Gesicht, den Spielball unterm Arm. Drei Tore in einer Hälfte, das sei ihm als Profi noch nicht passiert. „Ich bin ein Spieler, der Vertrauen braucht. Zuletzt war es nicht leicht für mich, mit wechselnden Trainern und Systemen. Nach dem 1:0 hat man dann gesehen, was geht, wenn ich mir etwas zutraue.“
Mit seinen drei Toren zum 3:0, 4:0 und 5:1 sorgte der gebürtige Wormser für die Entscheidung auf dem Rasen, erlöste sich persönlich und den SV Waldhof als ganzen Verein. So sehr hatte man im Vorfeld die Bedeutung des Spiels betont und die Verpflichtung gegenüber den Fans, nach zwei torlosen Heimniederlagen wieder abzuliefern. Für Shipnoski endete gar eine elfmonatige Leidenszeit: Seinen letzten Waldhof-Treffer hatte er am 27. Oktober 2024 gegen seinen Ex-Klub Wehen-Wiesbaden erzielt.
Shipnoski und Boyd melden sich eindrucksvoll zurück
Geschichten schrieb das Sieben-Tore-Spektakel zwischen Mannheim und Essen viele. Neben der „Shipnoski-Wiederauferstehung“ war da das erste Saisontor von Terrence Boyd, der von seinem Trainer ein Sonderlob in Sachen Einstellung bekam, als er schon direkt nach dem Spiel weniger ans Feiern, denn ans nächste Spiel am Dienstag in Havelse dachte: „Dass ,T' direkt weiter denkt, ist natürlich überragend. Aber wer ihn kennt, weiß auch, dass er jetzt erst einmal feiern wird. Und das soll er auch.“
Luc Holtz war die Erleichterung anzumerken. Gelöst saß er auf dem Podium bei der Pressekonferenz und analysierte ein Spiel, dessen Verlauf einmal nicht gegen, sondern komplett für sein Team lief. „Wir haben den entscheidenden Tick entschlossener verteidigt“, sagte der Coach. Herausheben wollte er niemanden persönlich, nicht einmal den heimlichen Mann des Spiels.
Noch etwas später als Publikumsliebling Boyd und Dreierpacker Shipnoski kam Niklas Hoffmann vom Rasen Richtung Kabine. Der Abwehrmann hatte über die gesamte Spielzeit vorgelebt, was der Trainer der Mannschaft unter der Woche eingeimpft hatte: Einsatzfreude, Zweikampfstärke, Cleverness. Dies alles demonstrierte der gebürtige Landauer in Perfektion und hätte diese Spitzenleistung kurz vor der Halbzeit fast mit einem Tor gekrönt: Sein wuchtiger Kopfball knallte gegen den Pfosten.
SVW - Essen 6:1 (2:0)
SVW: SVW: Nijhuis – Klünter, Hoffmann, Sechelmann, Voelcke – Sietan (46., Thalhammer) – Ferati, Diakhaby (78., Rieckmann) – Masca (64., Shipnoski) – Okpala (82., Mendes), Lohkemper (82., Boyd)
Essen: Golz – Brumme (46., Bouebari), Rios Alonso, Schultz (84., Müsel), Kostka – Gjasula, Bazzoli, Safi (66., Obuz), Arslan (65., Janssen), Mizuta – Mause (46., Owusu)
Tore: 1:0 Lohkemper (11.), 2:0 Rios Alonso (25., Eigentor), 3:0, 4:0 Shipnoski (76., 80.), 4:1 Janssen (85.), 5:1 Shipnoski (89., Elfmeter), 6:1 Boyd (90.+5)
Gelbe Karten: Klünter, Sietan, Holtz - Kostka, Arslan
Rote Karte: Gjasula (68., Foulspiel)
Beste Spieler: Klünter, Hoffmann, Shipnoski - Kostka, Mizuta
Schiedsrichter: Florian Lechner (Horsntorf)
Zuschauer: 11.007
Dieses Mal ist es der Gegner, der Lehrgeld zahlt
„Wir haben als Mannschaft super funktioniert. Im Training hatten wir angesprochen, dass wir kompakt stehen müssen, und das haben wir unter der Woche noch einmal verfeinert“, sagte Schlüsselspieler Hoffmann. Zusammen kamen die vier, fünf Prozentpunkte, die laut Trainer zuvor gefehlt hatten, vor allem in der Rückwärtsbewegung. Dass dieser Befund dieses Mal auf Gegnerseite gestellt wurde, zeigt, wie nah Erfolg und Elend im Fußball beisammen liegen.
Essens Trainer Uwe Koschinat wählt immer die direkte Botschaft, kritisierte vor allem das Defensivverhalten seiner Mannschaft, „auch wenn ich lange das Gefühl hatte, dass wir jederzeit wieder zurückkommen können“. Bis zum Platzverweis gegen ihren Mittelfeldstrategen Klaus Gjasula (68.) drückten die Essener beim Stand von 2:0 für den Waldhof auf den Anschlusstreffer. Nach der Roten Karte wichen dann die Kräfte der Gäste – vor allem im Umschaltspiel.
Für die Stimmung von Waldhof-Fans und -Mannschaft war das 6:1 Balsam auf die Seele, für die Tabellensituation des SVW nicht weniger wichtig. Durch die Ergebnisse am früheren Samstagnachmittag waren die Blau-Schwarzen zwischenzeitlich auf Platz 16 abgerutscht. Nach dem 6:1 stehen Platz zwölf und zehn Zähler zu Buche, kann man ein wenig durchatmen. Aber, wie Kollege Boyd richtig mahnt, nicht zu lange.
Schon am Dienstagabend um 19 Uhr geht es mit dem Gastspiel beim TSV Havelse weiter. Der Aufsteiger steht zwar auf dem vorletzten Tabellenplatz, zeigte aber mit den jüngsten Unentschieden gegen Primus Duisburg und das hoch gehandelte Rostock, dass man mithalten kann in Liga drei. Den höchsten Drittliga-Sieg seiner Geschichte feierte der Waldhof übrigens daheim gegen die Niedersachsen, ein 7:0 in der Saison 2021/22.
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