Hintergrund

Probleme in der Fanszene des SV Waldhof: Gräben in der Kurve

In der Fanszene des SV Waldhof haben sich Gräben aufgetan - die aber anders gelagert sind, als man nach den jüngsten Vorkommnissen rund um den Neonazi-Eklat im Carl-Benz-Stadion vermuten würde

Von 
Alexander Müller
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Blick auf die Waldhof-Fans auf der Otto-Siffling-Tribüne beim Heimspiel am vergangenen Samstag gegen RW Essen. © Michael Ruffler/PIX

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Mannheim. Es gibt angenehmere Themen für eine Recherche. Wer als Journalist an interne Informationen aus der Fanszene eines Fußballvereins gelangen will, stößt in der Regel auf eine Mauer des Schweigens. Bei den Ultra-Gruppierungen gehört es zum eigenen Selbstverständnis, nicht mit den Medien zu sprechen. Andere Fans wollen – wenn überhaupt – nur anonym zitiert werden. Fast niemand will sich öffentlich exponieren, wenn es Probleme in der Kurve gibt. Auch in der Fanszene des SV Waldhof haben sich Gräben aufgetan – die aber anders gelagert sind, als man nach den jüngsten Vorkommnissen im Carl-Benz-Stadion vermuten würde.

Die Affäre um den Rücktritt von Stadionsprecher Stephan Christen, der vor dem DFB-Pokalspiel gegen den 1. FC Nürnberg am 18. Oktober dem verstorbenen Neonazi Christian Hehl die Mannschaftsaufstellung widmete, hat den SVW erschüttert und alte Wunden aufgerissen. In den 90er-Jahren galt der Waldhof als Verein, in dem rechtsextreme Strömungen im Fanblock zumindest geduldet wurden. Dieses Image waren die Mannheimer losgeworden – mit einer Selbstreinigung der Kurve nach Gründung der traditionell antifaschistisch ausgerichteten Ultras, durch die Arbeit des Fanprojekts oder den vom DFB mit dem Julius-Hirsch-Preis ausgezeichneten Fanclubs „DoppelPass – Waldhof-Fans gegen Gewalt und Rassismus“. Geschäftsführer Markus Kompp hat den SVW als offenen und toleranten Club in der Mitte der demokratischen Gesellschaft positioniert.

„Unkontrollierbare Halbstarke“

Im Zuge des Hehl-Eklats kehrten jedoch die alten, braunen Geister zumindest für einen Abend zurück. Im Carl-Benz-Stadion gab es neben dem Fehltritt des Stadionsprechers auch noch Banner mit Beileidsbekundungen für den toten Neonazi, in den sozialen Netzwerken entlud sich ein ekliger Shitstorm der Entrüstung über den Christen-Abgang. Der bizarre Tenor vieler Beiträge: Hehl sei in erster Linie Waldhof-Fan gewesen, seine politische Gesinnung dürfe keine Rolle spielen. Und schon lag der Verdacht in der Luft: Kippt die Waldhöfer Fanszene wieder nach rechts ab?

Eine These, die mit der Realität nichts zu tun hat. Der Mannheimer Polizei liegen „keine Anhaltspunkte“ für einen Rechtsruck unter den SVW-Fans vor, wie ein Sprecher dieser Redaktion sagt. Auch vom Fandachverband „Pro Waldhof“ (PW) und dem beim Sportkreis angesiedelten Fanprojekt ist zu hören, dass es keine Versuche von Rechtsaußen gebe, die Anhängerschaft des Vereins zu unterwandern. „Wir haben kein wachsendes Problem mit rechtsextremen Fans. Ich fand es auch sehr befremdlich, dass das Magazin ,11 Freunde’ einen Artikel zu dem Thema veröffentlicht hat, der meilenweit an der Realität vorbei ging“, sagt Martin Willig vom Fanprojekt. Die Schlussfolgerung liegt nahe: Dem rechten Spektrum zugeneigte Waldhof-Fans stellen weiterhin eine winzige Minderheit dar.

Das heißt im Umkehrschluss allerdings nicht, dass es keine ernsthaften Probleme in der Fanszene gäbe. Ein langjähriger SVW-Anhänger berichtet davon, dass eine neue Generation von überwiegend jungen Fans dafür gesorgt habe, dass es sowohl bei Heim- als auch bei Auswärtsspielen im Waldhof-Block zunehmend ruppig und aggressiv zugehe. „Das sind testosteron-gesteuerte Halbstarke, die sich von den Älteren nicht mehr kontrollieren lassen“, sagt er. Der massive Konsum von Alkohol und Drogen sorge bei dieser Gruppe für eine zusätzliche Enthemmung. Auch Gewalt gehört bei den neuen Problem-Fans offenbar wieder zu einem normalen Mittel der Auseinandersetzung. „Die wollen einfach mal die Sau rauslassen, und denen ist es auch egal, wenn sie dem Verein damit schaden“, sagt ein Szenekenner.

Neue Regeln für Grußbotschaften

Der bereits zitierte langjährige Waldhof-Fan bedauert es sehr, dass der Zusammenhalt im Fanlager gelitten habe. „Früher war es so: Wenn wir zusammen in der Kurve stehen, zählt nur noch Blau-Schwarz. Das gilt leider nicht mehr“, sagt er und berichtet von verbalen Anfeindungen und Bedrohungen aus dem Kreis der neu dazugestoßenen Jüngeren gegen andere SVW-Fans. Ein Beispiel für die Verrohung der Sitten: Beim letzten Spiel der Vorsaison in Wiesbaden im Mai kam es nach Abpfiff zu einer heftigen Schlägerei im Mannheimer Block. „Da war Hopfen und Malz verloren“, sagte Kapitän Marcel Seegert damals.

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Von einer „kleinen Randgruppe“ spricht Martin Willig vom Fanprojekt im Zusammenhang mit der neuen Gruppe. „Das sind junge Fans, die die Regeln im Block noch nicht verinnerlicht und ihren Platz in der Szene noch nicht gefunden haben. Teilweise sind darunter auch Fußball-Touristen, die kommen und was erleben wollen. Die würde ich gar nicht unserem Fanlager zurechnen. Damit haben wir schon Probleme“, sagt er. Bei „Pro Waldhof“ beobachtet man die Entwicklung ebenfalls mit Sorge. „Es sind zuletzt relativ viele neue Fans dazugekommen“, sagt PW-Sprecher Sören Runke. Er bestätigt die Probleme im Block, die er zum Teil als Spätfolgen der Corona-Jahre erklärt. Man müsse versuchen, mit der neuen Gruppe in den Dialog zu kommen, um sie in die Fanszene zu integrieren und so zumindest Einfluss auf sie gewinnen zu können. Anfang Dezember gibt es ein Fanclub-Fußballturnier im Soccercenter von Walter Pradt, auch eine zentrale Anlaufstelle für Fans im Stadion steht oben auf der „PW“-Agenda.

Die Risse in der Kurve beim SV Waldhof stehen dabei für einen Trend. „Das ist ein wachsendes Problem, das erzählen uns auch Kollegen an anderen Standorten“, sagt Martin Willig vom Fanprojekt. Bei anderen Vereinen haben führende Ultragruppen offenbar ebenfalls große Schwierigkeiten, den Laden zusammen zu halten. Der Fanforscher Michael Gabriel hat das in einem Interview mit der „FAZ“ so beschrieben: „Es findet eine Verschiebung statt. Die Ultras, die gewaltbereit sind, bekommen mehr Einfluss und gewinnen mehr Follower.“

Der SVW appellierte am Mittwoch in einer Mitteilung noch einmal an seinen Anhang, sich an die „Stadionordnung sowie das von uns erstellte Leitbild“ zu halten. Es gebe „klare Regeln für ein gemeinsames Miteinander“. Als Konsequenz aus dem Hehl-Eklat gibt es künftig ein klares Prozedere für Wunsch- und Grußbotschaften im Stadion. Diese werden zunächst vom Ehren- und Ältestenrat des Vereins geprüft und danach freigegeben oder abgelehnt.

Redaktion Fußball-Reporter: Nationalmannschaft, SV Waldhof, Eintracht Frankfurt, DFB