Erst hatte Ben Matschke Erfolg bei den Eulen Ludwigshafen, jetzt bei der HSG Wetzlar. Vor der Partie bei den Rhein-Neckar Löwen spricht der Heddesheimer über sein Erfolgsgeheimnis und einen Wunsch von Handball-Bundestrainer Alfred Gislason.
Herr Matschke, wie fühlt es sich an, am Sonntag (16.05 Uhr) mit Wetzlar bei den Rhein-Neckar Löwen erstmals als Favorit anzutreten?
Ben Matschke (lacht): Es ist ein bisschen verrückt, dass Sie mir diese Frage stellen.
Warum?
Matschke: Weil der Löwen-Kader aufgrund der weit größeren wirtschaftlichen Möglichkeiten mit einer riesigen Qualität gesegnet ist. Ich weiß zwar, dass die Löwen momentan hinter uns in der Tabelle liegen. Aber deswegen sind wir nicht plötzlich der Favorit.
Ich hatte gehofft, dass mit Ihrem Vorgänger Kai Wandschneider auch die Tiefstapelei bei der HSG Wetzlar verschwunden ist.
Matschke: Das hat nichts mit Tiefstapelei zu tun. Ich kann unsere Gesamtsituation ganz gut einschätzen und weiß auch, welches Potenzial die Löwen haben. Es fehlt sicherlich an der Konstanz, aber die grundsätzliche Qualität ist ja da. Die Löwen können an einem guten Tag jede Mannschaft in der Liga besiegen.
Gegen die Topteams Kiel und Flensburg haben aber die Wetzlarer und nicht die Löwen gepunktet. Ihre Mannschaft ist Fünfter, oder?
Matschke: Ja.
Sie schauen also auf die Tabelle.
Matschke (lacht): Ich werde ständig auf diesen fünften Platz angesprochen. Ich muss also gar nicht auf die Tabelle schauen, um das zu wissen. Beschäftigen tue ich mich damit nicht. Das ist nur eine Momentaufnahme.
Dann reden wir nicht über Platz fünf, sondern über Europapokalträume in Mittelhessen.
Ben Matschke
Ben Matschke wurde am 19. Juli 1982 in Heilbronn geboren.
In seiner aktiven Handball-Laufbahn spielte Matschke bis 2007 im Rückraum von Salamander Stuttgart, danach trug er das Trikot der TSG Friesenheim (heute Eulen Ludwigshafen). Mit den Pfälzern stieg er 2010 in die 1. Liga auf.
2013 begann Matschke seine Trainerlaufbahn beim Drittligisten TV Hochdorf. 2015 folgte der Wechsel zu den Eulen, die er 2017 in die Erste Liga und danach dreimal zum Klassenerhalt führte. Seit dieser Saison trainiert er die HSG Wetzlar.
Matschke (macht eine ganz lange Pause): Boah…
Ja? Bitte?
Matschke: Ich schätze die Mittelhessen schon als Realisten ein. Ich finde es toll, wie es gerade läuft. Aber wir haben auch noch sehr viel Arbeit vor uns, in dieser Mannschaft und in jedem einzelnen Spieler liegen noch eine Menge Entwicklungspotenzial. Unser Maßstab ist deswegen weniger die Tabelle, sondern es geht darum, einfach besser zu werden. Und dann schauen wir, was am Ende herauskommt.
Ich verstehe, dass Sie sich galant um eine Antwort zur Europapokalqualifikation drücken wollen. Aber ich frage einfach direkter: Ist das Erreichen des internationalen Wettbewerbs unrealistisch?
Matschke: Sagen wir es mal so: Es wäre ein kleines Handballwunder! Für uns in Wetzlar ist dieses Thema einfach ganz weit weg. Mehr als ein Drittel der Saison muss noch gespielt werden – und es liegen einige Mannschaften hinter uns in der Tabelle, die aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten eine größere Substanz im Kader haben. Da muss man immer damit rechnen, dass diese Teams plötzlich den Schalter umlegen und eine Siegesserie hinlegen. Und wenn diese Clubs uns dann überholen sollten, wäre es irgendwie normal. Deswegen wäre es für uns aber keine schlechte Saison, wenn wir am Ende Siebter, Achter oder Neunter werden. Aber natürlich sind wir maximal ehrgeizig.
Die HSG gilt seit Jahren als Ausbildungsverein. Wird sich an diesem Status irgendwann etwas ändern?
Matschke: Wir sehen uns eher als Weiterbildungsverein, in dem nationale und internationale Talente den nächsten Schritt zu Topclubs machen können. So wie ein Mann, der im Sommer zu den Löwen wechseln wird (Olle Forsell Schefvert: Anm. d. Red.). Die Entwicklung von Spielern, das ist mein beziehungsweise unser Arbeitsauftrag. Ich arbeite mit den Jungs viel im individuellen Bereich, damit sie danach bereit sind für einen Wechsel zu einem Top-Sechs- oder Top-Fünf-Verein. Ach ne, sagen wir lieber Top-Vier-Verein. Weil wir sind ja selbst gerade Fünfter (lacht).
Ketzerisch gesagt: Forsell Schefvert geht nicht zu einem Top-Vier-Verein, sondern zu den Löwen…
Matschke: …die aber die unbedingte Substanz für diese Platzierung haben.
Was bekommen die Löwen mit Schefvert für einen Mann?
Matschke: Olle garantiert keine zehn Tore pro Partie. Aber er kann mit seinen Entscheidungen in Abwehr und Angriff Spiele gewinnen. Hinzu kommt seine ausgezeichnete Mentalität als Handballer. Er ist ein Wettkämpfer, der die Herausforderung liebt und danach giert, Verantwortung zu übernehmen und in der entscheidenden Spielphase auf dem Feld zu stehen. Wenn es um etwas geht, will er dabei sein und Entscheidungen treffen.
Während Schefvert geht, bleibt Ihnen Torwart-Senkrechtstarter Till Klimpke erhalten. Was zeichnet ihn aus?
Matschke: Der Junge ist der Wahnsinn. Man muss bedenken: Till ist erst 23 Jahre alt, spielt aber unglaublich konstant. Das ist in diesem Alter beeindruckend, er ist in seiner Entwicklung sensationell weit. Denn wir wissen, dass gerade auf der Torwartposition Routine sehr hilfreich ist. Johannes Bitter ist 39 Jahre alt, Silvio Heinevetter 37. Sie haben nicht rein zufällig die Szene mehr als ein Jahrzehnt lang geprägt. Die haben etwa 15 Jahre Vorsprung, was das Thema Erfahrung angeht. Das muss man wissen, um das alles einordnen zu können. Bei Till macht sich bemerkbar, dass er als 20-Jähriger schon Stammtorwart bei der HSG Wetzlar war. Im Januar hat er bei der Europameisterschaft gespielt, diese Nominierung hatte er verdient. Till wird der Mann der Zukunft im deutschen Nationalteam sein.
Sie haben bislang überall Erfolg, müssen es also wissen: Was zeichnet einen guten Trainer aus?
Matschke: Er muss authentisch sein. Mit all seinen Stärken und Schwächen. Es geht erst einmal weniger um richtig oder falsch, sondern um Glaubwürdigkeit, um ein eigenes Profil. Jeder muss wissen, wofür ein bestimmter Trainer steht.
Das scheint bei Ihnen zu klappen. Wie lautet Ihr Erfolgsgeheimnis?
Matschke: Mein Beruf als Lehrer (Matschke unterrichtet zwei Tage in der Woche an der Schwetzinger Carl-Theodor-Schule: Anm. d. Redaktion) hilft mir im Trainerjob. Davon bin ich überzeugt. Moderation, Kommunikation – das sind wichtige Themenfelder innerhalb einer Mannschaft.
Und was ist die größte Herausforderung für einen Trainer?
Matschke: Soziale Kompetenz. Ein Trainer trägt die Verantwortung für den gesamten Kader. Es geht darum, alle Spieler mitzunehmen und jedem eine Rolle zuzuweisen. Wenn man ein Spiel gewinnt, ist es in der Regel so, dass fünf, sechs Spieler trotzdem unzufrieden sind, weil sie wenig Einsatzzeit hatten. Das ist grundsätzlich meine Entscheidung, die ich zu verantworten habe. Aber ich muss meine Entscheidungen auch erklären, mit den Spielern reden, allen das Gefühl geben, dass ich auf sie zähle und ihnen eine gewisse Wertschätzung entgegenbringen. Weil – so abgedroschen es auch klingen mag: In einer langen Saison braucht man wirklich jeden.
Bundestrainer Alfred Gislason äußerte zuletzt den Wunsch, dass in der Bundesliga doch bitte mehr junge deutsche Spieler ihre Einsatzmöglichkeiten bekommen.
Matschke: Einem jungen Spieler eine Chance zu geben, ist die eine Seite. Auf der anderen gibt es einen wahnsinnigen Ergebnisdruck. Ein Trainer erhält selten ein Kompliment, wenn er dreimal einem Talent eine Chance gegeben und dafür auch dreimal verloren hat. Denn dann ist der ganze Verein unzufrieden. Ich glaube ohnehin, dass das Thema ein wenig komplexer ist und es da in Deutschland vielleicht sogar um eine Grundsatzfrage geht.
Wie meinen Sie das?
Matschke: Ich kann das ganz gut vergleichen: Ich habe in meiner Ludwigshafener Zeit knapp 20 deutsche Juniorennationalspieler trainiert. Die haben aber alle nebenbei etwas anderes als Handball gemacht. Ausschließlich auf die Karte Profi-Sport hat keiner gesetzt, sondern jeder hat lieber noch ein Studium oder eine Ausbildung nebenbei gemacht. Ich glaube, dass das etwas mit unserer deutschen Kultur zu tun hat, mit unserer Vorliebe für Disziplin, Planung und Ordnung. Ich frage Sie: Welcher Papa sagt in Deutschland zu seinem 20-jährigen Sohn ‚Ich finde es gut, dass du nach Ungarn gehst, um Handballprofi zu werden’?
Da wird es nicht viele geben.
Matschke: Eben. Und genau hieraus entsteht leider zu oft eine zeitliche Verzögerung bei der Entwicklung unserer Toptalente. Denn ein 20-jähriger Schwede ist dazu bereit, mit dem Ziel Handballprofi nach der Schule die Koffer zu packen und nach Deutschland zu gehen. Der will das unbedingt. Sein ganzer Fokus ist dem Leistungssport untergeordnet. Wir müssen es schaffen, den jungen deutschen Talenten frühzeitig einen Karriereplan aufzuzeigen. Sie müssen wissen: Um es in die Bundesliga, die stärkste Liga der Welt, zu schaffen, stehen sie weltweit in direkter Konkurrenz zu allen anderen Talenten auf ihrer Position.
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