Mannheim. Wenn Jannik Kohlbacher durch die Tür kommt, wird es erst einmal dunkel. 1,93 Meter ist er groß, 113 Kilogramm bringt der Modellathlet auf die Waage - und irgendwie sieht es so aus, als bestehe dieser junge Mann nur aus Muskeln. "Er ist eine Maschine im Kraftraum, dort macht ihm keiner was vor. Beim Bankdrücken sind 150 oder 160 Kilo kein Problem für ihn. Er hat ein wahnsinniges Kreuz und richtig Power", sagt Oliver Roggisch. Der Sportliche Leiter der Rhein-Neckar Löwen schätzt die Qualitäten, den Fleiß und das Entwicklungspotenzial des 21-Jährigen, dem der ehemalige Bundestrainer Dagur Sigurdsson sogar eine großartige Perspektive voraussagt: "Er hat das Zeug zur Weltklasse."
Selbstbewusst und fleißig
Das wissen auch die Löwen, weshalb sie Kreisläufer Kohlbacher erwartungsgemäß mit einem Vertrag bis Juni 2021 ausgestattet haben. 2018 kommt der Handball-Europameister von der HSG Wetzlar zu den Badenern und will dort "den nächsten Schritt in meiner Karriere machen". Das klingt zwar erst einmal nach einer gern benutzten Floskel, trifft bei ihm aber tatsächlich zu. Der in Birkenau-Reisen aufgewachsene Rechtshänder ist schon jetzt in der Offensive der beste deutsche Kreisläufer - und somit schlichtweg zu gut für einen soliden Mittelfeld- und herausragenden Ausbildungsclub wie Wetzlar, wo sich schon andere Nationalspieler wie Andreas Wolff (jetzt THW Kiel) und Steffen Fäth (jetzt Füchse Berlin, ab 2018 Löwen) dank Trainer Kai Wandschneider prächtig entwickelten.
"Wenn man sich verbessert, hat das auch immer etwas mit dem Vertrauen des Trainers zu tun. Bei Kai durfte ich Fehler begehen, ohne dass ich sofort ausgewechselt wurde", sagt Kohlbacher, der im vergangenen Jahr einen großen Entwicklungssprung in der Abwehrarbeit machte und mittlerweile auf der Halbposition verteidigen kann. Der Grund für diesen Fortschritt liegt auf der Hand: Er blieb stets auf der Platte, auch wenn mal etwas schief ging. Und genau deswegen ist der Kreisläufer jetzt nicht nur Nationalspieler, sondern auch reif für einen Topverein wie die Löwen.
"Ich freue mich darauf, zu einem absoluten Spitzenclub zu wechseln und in Zukunft um Titel mitspielen zu können", sagt der Odenwälder, der in der Saison 2012/13 ein unglückliches Intermezzo beim Zweitligisten SG Leutershausen hinlegte und nach Unstimmigkeiten außerhalb des Feldes kaum noch spielen durfte. Ganz so schlecht hat er seine Zeit bei der SGL dennoch nicht in Erinnerung behalten, bei den Bergsträßern wurde Kohlbacher endgültig vom Rückraumspieler zum Kreisläufer umgeschult - was sich jetzt auszahlt. Auch von der Zusammenarbeit mit dem damaligen Trainer Holger Löhr habe er außerdem extrem profitiert, sagt der 21-Jährige: "Ich habe sehr viel von ihm gelernt, mich im individuellen Bereich stark entwickelt."
Zu sehen ist das nun in der Bundesliga und in der Nationalmannschaft, wo er aber nicht nur mit seiner Leistung, sondern auch mit seiner Frisur für Aufsehen sorgt. Letzteres allerdings nicht ganz freiwillig. Kohlbacher leidet an kreisrundem Haarausfall, geht damit aber ebenso mutig wie selbstbewusst um und sieht nun ganz anders als noch bei der EM 2016 aus, als er mit einer langen Haarpracht und viel Gel die kahlen Stellen verdeckte. Das war natürlich mit etwas größerem Aufwand verbunden, jetzt sei es pflegeleichter, scherzt Kohlbacher, der seinem Opa Wilfried sehr viel zu verdanken hat und mit dem ihm ein schlimmer Unfall verbindet.
Der Kreisläufer war gerade einmal 15 Jahre alt, als sein Opa ihn vom Elternhaus zum Training beim TV Großwallstadt fuhr. So wie er es immer machte. "Drei Mal die Woche, zwei Jahre lang. Hinfahrt 63 Kilometer, Rückfahrt 63 Kilometer", erinnert sich der Neu-Löwe. Doch dann gab es einen Tag, der alles veränderte. Ein entgegenkommendes Fahrzeug schnitt eine langgezogene Rechtskurve, es kam zum Unfall - mit gravierenden Folgen, vor allem für seinen geliebten Großvater, der ein Bein verlor. "Er lag monatelang im Koma", berichtet Kohlbacher, der sich selbst ein Schädel-Hirn-Trauma zuzog, das Krankenhaus aber nach einer Woche verlassen konnte und nun vor einer großen Karriere steht.
Dafür arbeitet er jeden Tag - "auch wenn mir im Kraftraum eigentlich gar nichts Spaß macht, aber es muss halt sein", sagt der Koloss am Kreis und hat dabei die Worte des ehemaligen Bundestrainers im Ohr: "Ich habe das mit der Weltklasse gehört. Es ist sicherlich noch ein weiter Weg bis dorthin, mir fehlen ein paar Jahre Spielpraxis in der Bundesliga. Aber die Einschätzung von Dagur klingt ganz gut. Er könnte vielleicht recht behalten."
Jannik Kohlbacher
- Jannik Kohlbacher wurde am 19. Juli 1995 in Bensheim geboren.
- Er wuchs in Reisen, einem Ortsteil von Birkenau auf und besuchte die Martin-Luther-Schule in Rimbach.
- Mit dem Handballspielen begann Kohlbacher bei der HSG Nieder-Liebersbach/Reisen. Von 2009 bis 2012 war er für den TV Großwallstadt aktiv, nach einem einjährigen Intermezzo in Leutershausen kehrte er zu den Mainfranken zurück. Seit 2015 spielt Kohlbacher in Wetzlar.
- 2016 wurde der Kreisläufer Europameister.
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