Alex, erstmals seit Jahrzehnten steht im Sommer keine Saisonvorbereitung für Sie an. Haben Sie schon Angst vor Langeweile?
Alexander Petersson: Nein, nein, nein. Langeweile, die werde ich auf keinen Fall bekommen. Ich werde zwar weiterhin trainieren. Aber in Zukunft kann ich selbst entscheiden, was ich wann mache. Darauf freue ich mich sehr.
Wie endgültig ist der Abschied?
Petersson: Ich hatte ein paar Anfragen, auch eine zur Vertragsverlängerung bei der MT Melsungen, da Timo Kastening noch verletzungsbedingt fehlt. Das Angebot ehrt mich zwar, aber jetzt ist Schluss.
Und was ist, wenn im November ein Verein anruft und einen Rückraum-Linkshänder sucht?
Petersson: Puh…das kann ich jetzt unmöglich voraussagen. Es ist nicht der Plan, dass ich noch einmal spiele. Gerade ein Rückraumspieler hat es schwer, wieder reinzukommen, wenn er ein paar Monate raus ist.
Aber Abwehrspieler, das würde noch gehen.
Petersson (lacht): Das stimmt. Aber ich möchte nicht…noch nicht.
Sie haben erst als 13-Jähriger mit dem Handballspielen angefangen, damals in Ihrer lettischen Heimat Riga. Was haben Sie davor getrieben?
Petersson: Ich habe drei Jahre Fußball gespielt und ein Jahr Quatsch gemacht.
Quatsch gemacht?
Petersson: Ja. Der Handball hat mein Leben in eine bessere Richtung gelenkt. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich nicht den Handball gehabt hätte. Ich habe jeden Unsinn mitgemacht, war in so einer Art Jugendgang. Und da macht man immer mehr Quatsch, je älter man wird. Deswegen war ich froh, dass ich irgendwann den Sport hatte. Er hat mich davon abgehalten, einen falschen Weg einzuschlagen.
Als 18-Jähriger folgte der Wechsel zu KR Grótta nach Island.
Petersson: Das war total wichtig für mich, denn von diesem Augenblick an lag eine große Distanz zwischen mir und diesem drohenden Gangleben in Riga. Ich war plötzlich in einer anderen Welt.
Noch dazu als Handballprofi….
Petersson: Das schon. Aber es lief zunächst anders als erwartet.
Wie denn?
Petersson: Ich dachte mir. Jetzt bist du Profi. Da hast du auch ein Superleben. Aber: Ich habe erst einmal bei einer isländischen Familie gewohnt, so wie ein Austauschschüler. Und mir wurde recht schnell beigebracht, dass ich mit Handball ein bisschen Geld verdienen kann, aber dass ich nebenbei arbeiten muss, wenn es denn ein wenig mehr sein soll. Ich habe mich zunächst wirklich gefragt, was ich hier soll.
Warum sind Sie geblieben?
Petersson: Wir waren zu zweit. Nach ein paar Monaten hat ein Kumpel gesagt, dass er zurück nach Lettland geht. Er hatte dort eine wohlhabende Familie. Diese Aussicht hatte ich nicht. Ich wollte auf keinen Fall zurück, weil ich wusste, dass mein Leben dann vielleicht in nicht so guten Bahnen verläuft. Deswegen habe ich mich durchgekämpft, bei einem Zeltverleih gearbeitet. Das war anstrengend, manchmal acht Stunden am Tag - und das macht bei diesem isländischen Wetter nicht ganz so viel Spaß. Aber aufgeben kam nicht infrage, das habe ich von den Isländern gelernt. Ich musste einfach durchhalten und weitermachen, denn ich hatte diesen Traum von Deutschland und der Bundesliga.
Der sich 2003 mit dem Wechsel zur HSG Düsseldorf erfüllte.
Petersson: Düsseldorf spielte damals in der 2. Liga, ich hatte einmal Training am Tag, oft stand eine Kiste Bier danach in der Kabine. Der Club kümmerte sich um ein Auto und eine Wohnung.
Das klingt gut.
Petersson: Zunächst fand ich das auch super. Aber ich kannte das so aus Island nicht und habe relativ schnell gemerkt, dass ich so mit meiner Karriere nicht vorankomme, dass ich selbst mehr machen und individuell trainieren, in den Kraftraum gehen muss. Da kam der Isländer in mir durch.
Sie erhielten die isländische Staatsbürgerschaft, wurden Nationalspieler. Wie hat sich das eigentlich angefühlt, für ein anderes Land zu spielen?
Petersson: Den Isländern gefiel mein Spielstil, weil ich mein Herz auf dem Feld liegenlasse, wenn ich auf der Platte stehe. Umgekehrt gehört mein Handballherz den Isländern. Ich wollte den Menschen etwas zurückgeben, deswegen war Island immer meine Handballheimat. Aber ich habe Lettland nicht vergessen. Das ist mein Geburtsland. Deswegen habe ich auch nie die isländische Nationalhymne gesungen, das geht einfach nicht.
Warum nicht?
Petersson: Der Hymne gehört zum Vaterland - und das ist für mich nun mal nicht Island. Ich bin da nicht geboren, nicht aufgewachsen und meine Eltern kommen da nicht her. Aber Handball, das ist Island für mich. Wenn die Nationalhymne gespielt wird, denke ich an meine Frau und meine Kinder, die mich immer unterstützt haben und ohne die ich es nie soweit gebracht hätte.
Sie haben fast 20 Jahre in der Bundesliga gespielt. Genauso lange wird über die Belastung debattiert. Hat sich da etwas verändert?
Petersson: Das ist schwer zu sagen, weil ich nicht immer jedes Jahr bei einem Champions-League-Teilnehmer unter Vertrag stand. Als ich jung war, hat mir das auch nichts ausgemacht. Im Gegenteil: reisen und spielen, das war doch geil (lacht). Aber bei den Löwen wurde es damals extrem. Bundesliga, Nationalmannschaft, Champions League. Immer 60 Minuten. Jeden dritten Tag.
Was hat das mit Ihnen gemacht?
Petersson: Ganz ehrlich: Ich habe mir zwischendurch gewünscht, mich zu verletzen, um eine Pause zu bekommen. Das war die einzige Chance, sich mal auszuruhen. Das Pensum war brutal, wir haben unsere Aufgaben wie Roboter erledigt. Da ging der Spaß hin und wieder verloren. Leider hat sich daran bis heute wenig geändert. Wer in der Bundesliga bei einem Champions-League-Club und in der Nationalmannschaft spielt, bekommt keine Pausen mehr. Das ist unfassbar, einfach unmenschlich.
Gibt es Mitspieler, die Sie nach all den Jahren in besonders guter Erinnerung behalten?
Petersson: Ich habe mit vielen tollen Spielern in einer Mannschaft gestanden. Dafür bin ich wirklich dankbar, weil ich von jedem etwas gelernt habe. Aber wenn ich zwei herauspicken soll, dann Bjarte Myrhol und Gudjon Valur Sigurdsson. Sie sind wirklich absolute Vorbilder, einfach ganz große Persönlichkeiten. Sie haben mich inspiriert.