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Handball-Boss Bohmann: „Präsenz des Fußballs ist erdrückend“

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Marc Stevermüer
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Frank Bohmann ist seit 2003 Geschäftsführer der Handball-Bundesliga. Bild © picture alliance/dpa

Frank Bohmann hat viel zu tun. Im Interview mit dieser Redaktion spricht der Geschäftsführer der Handball-Bundesliga (HBL) über die Vergabe der TV-Rechte, die Corona-Nachwirkungen und den Status als stärkste Liga der Welt, den er trotz des Weggangs von einigen Stars nicht gefährdet sieht.

Herr Bohmann, ärgern Sie sich?

Frank Bohmann: Warum?

Weil mit dem SC Magdeburg vermutlich keiner der üblichen Verdächtigen Meister wird und es trotzdem keine Spannung an der Spitze gibt, weil der SCM so dominant auftritt.

Bohmann: Der SC Magdeburg gehörte in der jüngeren Vergangenheit auch zu den Titelkandidaten. Es ist allerdings sehr schwer, in der Handball-Bundesliga Meister zu werden. Wir haben seit Jahren einen harten Konkurrenzkampf - auch an der Spitze. Seit 2016 wurden die Rhein-Neckar Löwen, die SG Flensburg-Handewitt und der THW Kiel jeweils zweimal Meister, jetzt kommt vermutlich der SCM dazu. Das spricht für einen ausgewogenen und spannenden Wettbewerb. Diese Ausgeglichenheit hätte die Fußball-Bundesliga sicherlich auch gerne. Es gibt also keinen Grund, sich zu ärgern.

Bringt Magdeburg seinen Vorsprung ins Ziel?

Bohmann: Wir haben gesehen, dass in dieser Liga auch der Aufsteiger TuS N-Lübbecke gegen den THW Kiel siegen kann. Und dass an den letzten Spieltagen viel möglich ist, haben nicht nur die Löwen 2018 erleben müssen (damals verspielte der Club die sicher geglaubte Meisterschaft: Anm. d. Redaktion), sondern auch die Eulen Ludwigshafen mehrfach im Abstiegskampf. Ich lege mich aber trotzdem fest: Deutscher Meister wird in diesem Jahr der SC Magdeburg.

Haben sich angesichts dieser Abwechslung an der Spitze die Play-off-Ideen erledigt?

Bohmann: Das Play-off-Thema wurde nicht zwingend wegen fehlender Spannung diskutiert, sondern um ein interessanteres Format zu haben und damit eventuell noch größeres öffentliches Interesse zu erzeugen. Die Rückmeldung aus den Vereinen war in den vergangenen Jahren aber immer, dass wir am bewährten Spielsystem festhalten, weil wir damit das gerechteste Ergebnis bekommen. Und eines muss auch jedem klar sein: Wollen wir Play-offs, geht das nur mit 16 oder gar 14 Vereinen. Dann müssten wir die Liga reduzieren.

Sie haben den engen Wettbewerb angesprochen. Meine These: Die Liga ist spannender, weil immer weniger Stars in Deutschland spielen und entsprechend alles enger zusammengerückt ist.

Bohmann: Dem widerspreche ich. Die größte Ansammlung an Topstars gibt es nach wie vor in Deutschland. Entsprechend haben und bleiben wir die stärkste Liga der Welt. Es wurde schon der Untergang der HBL prognostiziert, als Nikola Karabatic oder Ólafur Stefánsson die Liga verlassen haben. Aber das ist nicht passiert. Und das wird jetzt wieder nicht passieren. Im Übrigen sind die Clubs als Arbeitgeber auch deswegen so attraktiv, weil hier nicht nur das sportliche Niveau stimmt und verlässlich die Gehälter gezahlt werden, sondern auch das soziale Umfeld für Spieler und deren Familien. In Summe führen alle Faktoren dazu, dass die HBL auch zukünftig für Spieler sehr attraktiv sein wird.

Mit Aalborg in Dänemark und Kolstad in Norwegen drängen aber gerade zwei neue skandinavische Großmächte mit viel Geld auf den Markt und werben einige Spitzenkräfte aus der Bundesliga ab.

Bohmann: Damit müssen wir uns beschäftigen. Wenn ich ehrlich bin: Es schmerzt schon, dass Sander Sagosen den THW Kiel und unsere Bundesliga verlassen wird. Er ist ein Superstar und ein Aushängeschild für den Handball. Bei allen anderen Spielern glaube ich, dass sich gleichwertiger Ersatz finden lässt. Das sehe ich nicht so dramatisch. Außerdem ist das Kommen und Gehen von Spielern etwas ganz Normales im Profigeschäft.

Flensburgs Trainer Maik Machulla merkte allerdings an, dass Spieler wie Magnus Rød oder Gøran Søgard Johannessen bei seinem Verein entwickelt wurden und nun auf dem Höhepunkt ihres Könnens wieder gehen. Werden die deutschen Spitzenvereine zu Ausbildungsclubs für die skandinavische Konkurrenz?

Bohmann: Vom Status eines Ausbildungsvereins sind wir weit weg. Aber klar ist auch, dass deutsche Clubs nicht mehr zwangsläufig ein Magnet für skandinavische Talente sind. Da wird es hier und da zu einem Paradigmenwechsel kommen.

Der wie aussehen kann?

Bohmann: Ich lese immer, dass der eine Bundesligist dieses schwedische Talent und der andere Bundesligist jenen jungen Norweger haben will. Was wir hier in Teilen brauchen, ist eine Bewusstseinsänderung, deren Konsequenz es ist, unsere eigenen Talente noch besser zu fördern und zu entwickeln. Das müssen wir weiter forcieren. Da haben wir als deutscher Handball nach wie vor Nachholbedarf. Norwegen, Dänemark und Schweden machen das seit Jahren exorbitant gut. In diesen Ländern wird ein Toptalent nach dem anderen ausgebildet, damit steigt natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass dadurch mehr Weltklassespieler reifen. Und zwar nicht, weil es dort einen Zaubertrank gibt.

Sondern?

Bohmann: Weil konsequent strategisch gearbeitet wird. Weil zum Beispiel Leistungssport in Norwegen einen anderen gesellschaftlichen Stellenwert hat und in die schulische Ausbildung integriert wird. In den Niederlanden und in Ungarn wird auch so gearbeitet. Bei uns hingegen kaum. Und aus meiner Sicht ist das der Hauptgrund, warum es in anderen Ländern besser klappt mit dem Nachwuchs und wir Gefahr laufen, ins Hintertreffen zu geraten.

Für die Popularität der Liga ist immer der Erfolg der Nationalmannschaft von Bedeutung. Wie finden Sie es denn dann, dass einige deutsche Spitzenspieler nicht mehr für die DHB-Auswahl spielen wollen?

Bohmann: Ich will niemandem einen Vorwurf machen. Richtig ist: Wir brauchen eine bestmögliche Identifikation mit unserer Nationalmannschaft. Da sind wir aber alle gefordert und nicht nur die Spieler selbst oder der Bundestrainer Alfred Gislason, sondern der gesamte deutsche Handball muss dafür eintreten, dass erfahrene Spieler ebenso wie jüngere für unser Nationalteam brennen. Das erschien mir zuletzt bei den erfolgreicheren Nationen ein wenig ausgeprägter.

Die Corona-Pandemie hat die Bundesliga hart getroffen. Was wird die schwierigste Aufgabe in den nächsten Jahren sein?

Bohmann: Es wird eine riesige Herausforderung, die Fans zurück in die Hallen zu holen. Das Thema der Fanrückgewinnung wird uns noch einige Jahre begleiten. Hier müssen wir durch eine Vielzahl von Aktivitäten Vertrauen bei unseren Fans zurückgewinnen.

Wann werden die Vereine wieder das finanzielle Niveau von Vor-Corona-Zeiten haben?

Bohmann: Wir haben die Lizenzierung für die Saison 2022/23 gerade abgeschlossen und befinden uns in etwa auf dem Niveau der Jahre 2017 und 2018. Addieren wir die Etats aller Erstligisten, landen wir bei der nächsten Saison zwischen 105 und 110 Millionen Euro. Vor der Pandemie fiel diese Summe ein wenig höher aus, aber es geht jetzt nicht um Rekorde. Wir befinden uns auf einem richtigen Weg.

Das klingt gut.

Bohmann: Ich bleibe aber gleichzeitig ein vorsichtiger Kaufmann. Das nächste Jahr wird noch schwerer, weil es keine staatlichen Hilfen mehr gibt und weil die Zuschauer noch lange nicht alle zurück sind. Es ist auch schwer absehbar, wie sich die Krise auf unsere Sponsoren ausgewirkt hat. Außerdem steht auf unserer Agenda der Abschluss des Medienvertrags ab der Saison 2023/24. Auch davon hängt vieles ab.

Bis 2023 sind TV-Rechte an ARD und Sky vergeben. Bekanntlich sind die TV-Einnahmen im Gegensatz zum Fußball überschaubar. Die Rede ist von etwa 170 000 Euro pro Verein in einer Saison. Ist da nicht mehr drin?

Bohmann: Die Höhe des Lizenzentgelts hängt von der Nachfrage ab. Wir haben gerade den europäischen Sportrechtemarkt analysieren lassen und festgestellt, dass in jedem größeren Land in Europa in der Regel hinter dem Fußball eine zweite Sportart dabei ist, die Lizenzentgelte in der Größenordnung von 30 bis 70 Millionen Euro pro Saison erwirbt. In England und Frankreich ist das Rugby, in Italien Volleyball, in Spanien Basketball. In Schweden ist Eishockey die Nummer eins und Fußball die Nummer zwei. In Deutschland gibt es für die Sportarten hinter dem Fußball keine Lizenzentgelte in dieser Dimension.

Warum nicht?

Bohmann: Das Free-TV spielt bei uns eine andere und vor allem viel größere Rolle. Oder ich kann es auch umgekehrt sagen: Das Bezahlfernsehen ist in allen anderen Ländern viel etablierter als in Deutschland. Und genau diese Partner zahlen eben die höheren Lizenzentgelte. Am Verhältnis Free- und Pay-TV in Deutschland werden wir als HBL allerdings nichts ändern können. Dennoch ist es unser Ziel, bei den Medienverträgen perspektivisch auch in die Dimensionen vorzustoßen, die in anderen Ländern von der jeweiligen Sportart Nummer zwei erreicht werden. Mit Blick auf den nächsten Vergabezyklus wird das aber nicht gelingen.

Empfinden Sie die Allgegenwart des Fußballs als Problem?

Bohmann: Die extreme Präsenz des Fußballs ist erdrückend. Ich glaube auch, dass für den Fußball weniger mehr sein kann. Erinnern wir uns an den Tennis-Boom Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre. Da wurden gefühlt Tennisturniere aus jeder Kreisstadt übertragen. Das hat den Tennissport letztlich zurückgeworfen. Unabhängig davon glaube ich, dass wir in ARD und ZDF mehr Vielfalt, eben keine Fußballschau, sondern eine Sportschau benötigen.

Bei Welt- und Europameisterschaften und auch beim Final Four im DHB-Pokal wurde zuletzt sehr erfolgreich der Videobeweis eingesetzt. Wann sehen wir diese Technik in der Bundesliga?

Bohmann: Wir bereiten den Videobeweis vor. Das ist aber flächendeckend eine größere Herausforderung. In der Mannheimer SAP Arena ist das nicht sonderlich schwer umzusetzen, in anderen Hallen allerdings schon. Wir brauchen den Videobeweis überall auf hohem technischen Niveau, um eine eindeutige Verbesserung der Entscheidungsqualität zu gewährleisten. Wenn die Bilder nicht gut sind und man wenig erkennt, wird der Videobeweis zurecht schnell in die Kritik geraten. Und dann lassen wir ihn lieber erst mal weg, auch wenn diese Technik sicherlich irgendwann kommen wird. Wir wollen die Anfangsschwierigkeiten, die es in der Fußball-Bundesliga gab, von vornherein lieber vermeiden. Wir werden den Videobeweis deshalb nur dann machen, wenn wir wissen, dass er ausgereift ist.

Redaktion Handball-Reporter, Rhein-Neckar Löwen und Nationalmannschaft

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