Mannheim. Die Fernseh-Interviews wollten Joseph Boyamba und Marc Schnatterer so schnell wie möglich hinter sich bringen. Mikrofon aus der Hand, Stöpsel aus dem Ohr – und schnell zurück zu den Kumpels gesprintet, die parallel mit dem lautstärksten Teil der Waldhof-Fans auf der Otto-Siffling-Tribüne eine ausgelassene Siegerparty feierten. Anlass dafür gab es ausreichend.
Das 1:0 im Drittliga-Topspiel gegen den 1. FC Saarbrücken ging in Anbetracht der Ausgangskonstellation als kleine Sensation durch: Die Waldhöfer maximal müde von 120 Minuten im DFB-Pokal am Mittwoch gegen Union Berlin (1:3 n.V.) und immer noch malträtiert von den Nachwehen des schweren Corona-Ausbruchs im Team. Der Tabellenzweite Saarbrücken ausgeruht, auswärts in dieser Saison noch ohne Niederlage und seit sechs Spielen in Folge ungeschlagen. Aber wer gewann? Der SVW. Und das hatte sehr viel mit einem überragenden Teamgeist zu tun, der die Mannheimer noch sehr weit tragen kann.
„Eine Mannschaft schlägt immer elf Individualisten – und wir haben eine Mannschaft plus Individualisten, die Fußball spielen können“, sagte Trainer Patrick Glöckner nach einem bemerkenswerten Erfolg. Bemerkenswert, weil das Team allen Widerständen mit unbeugsamer Mentalität zu trotzen scheint. „Hier ist jeder für jeden da. Wir sind ein Team. Das ist keine Phrase, das stimmt hier. Sonst könnten wir solche Leistungen wie gegen Union oder Saarbrücken nicht abrufen“, sagte Führungskraft Marco Höger. Die Waldhöfer haben sich eine Wagenburg gebaut, die bisher alle widrigen äußeren Einflüsse von der Mannschaft fernhält.
Proteste gegen Kompp
„Das konnte keiner erwarten. Nach 120 Minuten im Pokal, Corona vorher und was sonst noch auf uns eingeschlagen ist“, erklärte Trainer Glöckner nach dem verdienten Erfolg der Leidenschaft gegen Saarbrücken. Mit den Dingen, die „sonst noch auf uns eingeschlagen sind“, meinte der Trainer wohl die immer noch rätselhafte Trennung von Sportchef Jochen Kientz, die nicht nur im Umfeld hohe Wellen schlägt.
Die Vereinsspitze um Präsident Bernd Beetz und Geschäftsführer Markus Kompp versucht offenbar, die tatsächlichen Gründe für die Trennung vom Manager unter dem Deckel zu halten. Öffentliche Äußerungen zur brisanten Thematik sind laut Auskunft einzelner Spieler nicht erwünscht. Kompps kurzer Auftritt vor dem Team sorgte für mehr Fragezeichen statt für Aufklärung. „Er hat gesagt, dass er zu den Gründen für den Rauswurf nichts sagen darf“, berichtet ein Profi, der anonym bleiben will. Laut einem Bericht der „Bild“-Zeitung soll der Aufsichtsrat Kientz vorwerfen, vor dem Spiel in Braunschweig am 25. September (0:0) einen positiven Corona-Fall „vertuscht“ zu haben. Wer die penible Einstellung des freigestellten Sportchefs – dessen Vater an Covid 19 gestorben ist – zur Einhaltung der Hygieneregeln kennt, für den klingt dieses Gerücht eher nach Rufmord als nach Realität. „Das ist blanker Unsinn. Kientz hat immer fast schon pedantisch auf die Einhaltung der Corona-Regeln geachtet. Von uns Spielern hat auch niemand mitbekommen, dass etwas vertuscht wurde“, sagt der SVW-Profi. Der beurlaubte Sportchef hat mittlerweile den bekannten Sportrechtsanwalt Christoph Schickardt engagiert, möglicherweise treffen sich beide Parteien vor Gericht wieder.
Es passt ins Bild der schlechten Außendarstellung, die die Führungsetage des SVW abgibt, dass es bisher auch keine Informationen zu einer Nachfolgelösung für Kientz gibt – ob jetzt kurz- oder langfristig. Wer soll den Kader für die nächste Saison planen oder Verstärkungen in der Winterpause an Land ziehen? Niemand weiß es. Kompp blieb dem Saarbrücken-Spiel am Samstag fern, was vor dem Hintergrund der enorm angespannten Situation im Club viele Beobachter verwunderte.
Der Geschäftsführer verpasste deshalb, wie er in einer konzertierten Aktion der organisierten Fanszene zum Rücktritt aufgefordert wurde. „Du stellst deine Karriere über den Verein“, „Wir gedenken den Bauernopfern von Markus Kompp“, „Nicht komppatibel mit dem SVW“ oder „Der Fisch stinkt vom Kompp her“ war auf über einem Dutzend Anti-Kompp-Spruchbändern unter anderem zu lesen. In der Lesart zumindest eines Teils der Waldhof-Anhänger gilt der Geschäftsführer als der entscheidende Drahtzieher hinter dem Kientz-Rauswurf. Kompps Vertrag läuft am Saisonende aus.
Gewinner Glöckner
Von all diesen Störgeräuschen lässt sich die Mannschaft jedoch nicht beeindrucken. Corona-Krise, grenzwertige körperliche Belastung, Kientz-Debatte – egal, das Team zieht vorbildlich durch. „Wir sind einfach eine Familie und stehen zusammen“, sagte Saarbrücken-Torschütze Boyamba leicht pathetisch. Von einem „verschworenen Haufen“, sprach Trainer Glöckner und Marcel Costly ergänzte: „Selbst die Corona-Situation hat uns noch einmal stärker gemacht. Das Team ist noch einmal enger zusammengewachsen. Das zeichnet uns aus.“
Bis zum nächsten Spiel beim SC Freiburg II am Samstag können die Mannheimer in einer kompletten Trainingswoche die zuletzt immens hohe Belastung regulieren – und ein bisschen regenieren. In der darauffolgenden Länderspielpause will Glöckner alle durch die Corona-Zeit entstandenen körperlichen Defizite aufarbeiten. Der Fußballlehrer ist einer der großen Gewinner der vergangenen Wochen – er hat es geschafft, das Team schadlos durch die schwere See zu manövrieren.
Markige Ansagen in Richtung Aufstiegskampf sind von Glöckner trotzdem weiterhin nicht zu vernehmen. „Für mich ist die Tabelle echt unwichtig. Du musst die Leistung durch die ganze Saison kriegen. Jetzt kommen der Herbst und der Winter, die Plätze werden schlechter. Da werden wir sehen, wie wir das annehmen“, sagte er.
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