Energie

Was kostet uns Putins Gaspoker?

Deutschland und die EU versuchen, sich auf einen Lieferstopp aus Russland vorzubereiten. Für Verbraucher und den Staat wird es teuer.

Von 
Michael Backfisch und Theresa Martus
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Ein Anzeige für Temperatur ist in der Anlage des Gasspeichers Wolfersberg (Bayern) an einem der vielen Rohre zu sehen. © Peter Kneffel/dpa

Brüssel/Berlin. Ein gemeinsamer Sparplan aus Brüssel, neue Entlastungspläne in Berlin: Europa und Deutschland bereiten sich vor für den Fall, dass die Gaslieferungen ausbleiben. Worauf sich die europäischen Minister geeinigt haben und was das für Deutschland bedeutet – der Überblick.

Worauf hat sich die EU geeinigt?

Vertreter der EU-Staaten haben sich am Dienstag auf einen Notfallplan zur Senkung des Gaskonsums verständigt. Man habe eine „politische Einigung zur Reduzierung der Gasnachfrage“ erzielt, teilte der tschechische EU-Ratsvorsitz mit, und das mit großer Mehrheit. Ungarn stimmte als einziges Land gegen den Kompromiss.

Der Plan sieht vor, den nationalen Konsum im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 freiwillig um 15 Prozent zu senken. Zudem gibt es einen Notfallplan: Bei weitreichenden Versorgungsengpässen soll die Möglichkeit geschaffen werden, einen Unionsalarm auszulösen und verbindliche Einsparziele vorzugeben. Die EU-Kommission hatte zuvor beides vorgeschlagen. Die Gesetzesänderung muss vor Inkrafttreten noch formell von den EU-Ländern besiegelt werden. Das Europaparlament hat kein Mitspracherecht.

Und welche Ausnahmen gibt es?

Zahlreiche – für einzelne Staaten, aber auch für Wirtschaftssektoren wie die Lebensmittelindustrie. Zypern, Malta und Irland zum Beispiel sollen nicht zum Gassparen verpflichtet werden, solange sie nicht direkt mit dem Gasverbundnetz eines anderen Mitgliedstaats verbunden sind. Bei anderen Staaten sollen zum Beispiel Anstrengungen zur Einspeicherung von Gas, eine drohende Stromkrise und der Verbrauch von Gas als Rohstoff – etwa zur Erzeugung von Düngemitteln – die verpflichtende Einsparmenge reduzieren können.

Hochzufrieden äußerten sich Länder wie Griechenland oder Spanien, die auf Ausnahmen gepocht hatten. Die spanische Energieministerin Teresa Ribera nannte es unmöglich, für politische Fehler Deutschlands zu bezahlen. Der griechische Energieminister Kostas Skrekas sagte, eine Gefahr für die eigene Industrie und den „sozialen Zusammenhalt“ sei nun abgewendet.

Ob allerdings das geplante Einsparziel von insgesamt 45 Milliarden Kubikmetern Gas mit den Ausnahmen erreicht werden kann, ist unklar.

Was heißt das für Deutschland im Herbst?

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wiederholte am Dienstag seine Einschätzung, dass sich Europa auf einen Lieferstopp einstellen müsse. „Sollte es anders kommen, werden wir überrascht sein“, sagte er. „Aber wir sollten nicht mehr überrascht sein, dass Putin den Gashahn zudreht.“ Sollte die deutsche Industrie wegen Gasmangels in eine Schieflage geraten, werden massive Folgen bis hin zu einem Wirtschaftsabschwung befürchtet. „Wenn die Chemieindustrie in Deutschland hustet, kann die gesamte europäische Industrie zum Stillstand kommen“, warnte die französische Energiewendeministerin Agnès Pannier-Runacher.

Die Ausnahmen im europäischen Plan bedeuten, dass Deutschland diesen Winter voraussichtlich deutlich mehr Gas sparen muss als andere Länder, um bei einem möglichen Lieferstopp massive Probleme für die Industrie oder gar eine Rezession zu verhindern. Dies sei „keine Schande“, sagte Habeck. Er verwies auf die „strategischen Fehler“ der Vorgängerregierungen und die hohe deutsche Abhängigkeit von russischem Gas. Zugleich äußerte er sich besorgt über die vielen Ausnahmen.

Wie teuer wird es für die Kunden?

Schon heute liegen die Gaspreise bei Neuverträgen 365 Prozent über dem Vorjahresniveau. Und weitere Einschränkungen oder ein vollständiger Stopp der Gaslieferungen aus Russland würden die Preise vermutlich kurzfristig noch höhersteigen lassen, meint Thorsten Storck, Energieexperte beim Vergleichsportal Verivox. „Die explodierenden Großhandelspreise kommen mit zeitlichem Verzug bei den Haushalten an“, sagt er. „Wie dieser aussieht, hängt jedoch vom jeweiligen Tarif ab.“ Etwa ein Viertel der Haushalte sei in der Gasgrundversorgung. Deren Preise könnten innerhalb von sechs Wochen angepasst werden. Bei Laufzeitverträgen mit Preisgarantie könne es länger dauern. Zu den steigenden Marktpreisen für Gas kommt außerdem die Rettung des Gaskonzerns Uniper, die auf alle Gaskunden umgelegt wird, voraussichtlich mit zwei Cent pro Kilowattstunde. Auf einen Musterhaushalt mit einem Verbrauch von 20 000 Kilowattstunden kommen laut Verivox 400 bis 476 Euro Mehrkosten zu.

Kommen weitere Entlastungen?

Ja. Nur wie die genau aussehen sollen, ist noch offen. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte in der vergangenen Woche eine Wohngeldreform angekündigt. Die SPD-Fraktion machte dazu jetzt konkrete Vorschläge: Laut Bernhard Daldrup, dem wohnungspolitischen Sprecher der Fraktion, soll die zweijährliche Anpassung der Leistung an die allgemeine Mieten- und Verbraucherpreisentwicklung statt 2024 schon 2023 stattfinden. Außerdem sollen Berechtigte einen nach der Haushaltsgröße gestaffelten pauschalen Heizzuschlag pro Quadratmeter Wohnfläche erhalten. Zudem will die SPD die Miethöchstbeträge anheben. Wohnungskündigungen wegen nicht gezahlter Nebenkosten sollen vorübergehend nicht mehr möglich sein. Diese Vorschläge stoßen auch beim –grünen Koalitionspartner auf Zustimmung: „Wir brauchen weitere Entlastungen“, sagte Fraktionschefin Britta Haßelmann unserer Redaktion. Diese müssten sich konzentrieren auf Menschen, die wenig haben.

Sie begrüße die Vorschläge für eine Reform des Wohngelds, Kündigungsmoratorien bei gestiegenen Nebenkosten und den Ausschluss von Strom- und Gassperren. Daneben brauche es aber auch Maßnahmen für mehr Energieeffizienz und Einsparungen wie den –hydraulischen Abgleich von Heizungsanlagen. Mieter und Mieterinnen „haben ein Anrecht auf eine gut funktionierende Heizung und könnten so bis zu 15 Prozent Heizkosten sparen“.

Beim Sozialverband VdK begrüßt man die Pläne von Kanzler und SPD zum Wohngeld, mahnt aber zur Eile. „Die Reform, wie von Olaf Scholz angekündigt, muss zügig vor der Uniper-Umlage kommen“, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele unserer Redaktion. Von Einkommensteuersenkungen zur Entlastung hält sie dagegen wenig. „Die Ärmsten zahlen (fast) keine Einkommensteuer“, sagte Bentele. Eine Erhöhung des Grundfreibetrags helfe zwar einkommensschwachen Menschen, doch sinnvoller aus Sicht des Verbands wäre etwas anderes: Menschen mit kleinen Einkommen würden stark belastet durch indirekte Steuern wie die Mehrwertsteuer, die durch die hohen Preise noch steige. Der VdK fordert deshalb die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf gesunde, pflanzliche Lebensmittel und auf Arzneimittel.

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