Interview

Was Günther Oettinger über die Energiepolitik der Bundesregierung denkt

Der frühere EU-Energiekommissar und Südwest-Ministerpräsident (CDU) bescheinigt dem Bund ein verheerendes Krisenmanagement bei der Versorgung mit Gas und Strom. Der schlimmere Winter werde jedoch erst der kommende

Von 
Karsten Kammholz
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Günther Oettinger, hier zu Gast in Mannheim, wirbt für Fracking in Deutschland und eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten. © Michael Ruffler

Mannheim. Herr Oettinger, Sie haben als EU-Energiekommissar 2011 die erste Nord-Stream-Pipeline eingeweiht. Erst elf Jahre her, aber ein Akt wie aus einer anderen Epoche...

Günther Oettinger: Keine Frage. Ich kann mich gut daran erinnern, der damalige russische Präsident Medwedew war in Lubmin dabei. Wir haben nicht annähernd geglaubt, dass Putin eines Tages alles darauf ansetzen würde, sein Gebiet zu erweitern und einen Teil des alten Zarenreichs wieder zu installieren. Jetzt fällt Russland durch seine Isolierung wirtschaftlich auf seine 1930er-Jahre zurück.

Sie als damaliger Energiekommissar mit dem Blick auf ganz Europa hatten keine Befürchtung, Deutschland könne sich zu sehr von Russland abhängig machen?

Oettinger: Unser Ziel aus Brüsseler Sicht war immer, Diversifikation zu ermöglichen – von Routen und Quellen. Wir wollten die Bezugsmenge von einer Quelle, ob Kohle, Öl, Gas, Atomkraft nukleare Brennstäbe oder Solarplatten, nicht allzu hoch schnellen lassen. Wir haben daher zum Beispiel die Erdgasimporte aus Norwegen erweitert, haben auch LNG-Terminals co-finanziert, wovon vor allem Spanien profitiert hat. Deutschland wollte aber keine LNG-Terminals, man hatte schließlich genug Gasimporte.

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Die Welt steht jetzt vor einem weiteren Rätsel. Wer könnte die aktuellen Lecks der Ostsee-Pipelines verursacht haben?

Oettinger: Es ist klar Sabotage – und zwar von Profis verübt. Es muss ein Staat dahinter stecken. Ich glaube nicht, dass die Amerikaner, die immer gegen Nord Stream 1 und 2 waren, auf diesem Wege zum Ziel kommen wollten. Aber da man nichts beweisen kann, will ich meinem Verdacht, dass es die Russen waren, nicht zu viel Raum geben. Fachleute werden über die Sprengstoffspuren und andere Ermittlungen erkennen, wer für die Sprengungen verantwortlich ist.

Wie bewerten Sie die Maßnahmen der Bundesregierung, um ein Energiedesaster in diesem Winter abzuwenden?

Oettinger: Jede Regierung hätte in dieser Zeitenwende ihre größte Mühe. Allerdings sehe ich keine kohärente Zusammenarbeit zwischen den Ministerien. Es geht viel Zeit verloren, weil Wirtschafts-, Umwelt- und Finanzministerium schlecht kooperieren. Erst die Gasumlage, jetzt die Gaspreisbremse, so kann man doch nicht regieren. Die EU beobachtet schon seit Jahren mit Sorge die deutschen Alleingänge in der Energiepolitik.

Zum Beispiel?

Oettinger: Ich nenne nur den ungeordneten Ausstieg aus der Atomkraft nach Fukushima. Oder nehmen wir den verzögerten Ausbau der Stromtrassen von Nord nach Süd oder den Kohleausstieg. Die Deutschen haben immer große Visionen, aber die Umsetzung klappt nicht. Im Übrigen: Nicht dieser Winter, sondern der Winter 2023/2024 wird der schlimmere. Wir werden alle unsere Speicher, die noch mit Nord-Stream-1-Gas gefüllt sind, bis zum Frühjahr leeren. Wir werden dann große Mühe haben, auch nur halbwegs die Versorgung des folgenden Winters vorzubereiten.

Welche schnellen Alternativen gäbe es denn?

Oettinger: Teuer einkaufen auf dem Weltmarkt. Und dann sollten wir anfangen, unser eigenes Gas aus dem Boden zu schöpfen. Aber Fracking-Gas aus Deutschland stünde uns frühestens in drei bis fünf Jahren zur Verfügung. Das führt uns zur grundsätzlichen Frage: Wie lange wollen wir auf Gas setzen? Ich behaupte, weit länger als bisher gedacht. Wir werden im Jahr 2040 noch Gas benötigen.

2016 hat die damalige große Koalition beschlossen, dass Fracking in Deutschland tabu bleibt, Probebohrungen sollten aber erlaubt sein.

Oettinger: Das war extrem kurzsichtig. Bis auf Weiteres werden wir Frackinggas vor allem aus Nordamerika importieren – mit sehr hohen Transportemissionen. Wir sind in unserer innenpolitischen Ablehnung von Fracking nicht glaubwürdig, sondern scheinheilig.

Dann sprechen wir mal über Atomkraft. Wirtschaftsminister Habeck hält am Ausstieg fest und will die beiden Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim bis April 2023 am Netz halten. Reicht das?

Oettinger: Robert Habeck geht in einer Salamitaktik vor, um seinen grünen Parteifreunden so wenig wie möglich zuzumuten, schon gar nicht vor der Niedersachsen-Wahl am Sonntag. Die letzten drei Atomkraftwerke, auch das im Emsland, können und müssen bis auf Weiteres am Netz bleiben.

Die Bundesregierung ist nicht zu beneiden bei einer Inflation von zehn Prozent und einer Rezession im Anmarsch. Ist der Weg des Scholz’schen Doppelwumms der richtige?

Oettinger: Wir erleben jetzt die Gründung eines dritten Schattenhaushalts in kurzer Zeit: Zuerst kam die Umwandlung von nicht benötigen Pandemie-Mitteln in einen Klimafonds, dann die Bundeswehr mit 100 Milliarden, jetzt 200 Milliarden für bezahlbare Energie. Ich habe große Zweifel, ob dieses Vorgehen den Haushaltsregeln entspricht. Das sollen die Richter in Karlsruhe entscheiden. Wir bekommen von der Regierung Subventionen, damit unsere warmen Wohnungen nicht ganz so teuer sind. Wer zahlt dafür? Unsere Kinder. Ich nenne das Betrug an der jungen Generation.

Die Alternative: Wir werden alle sofort ärmer?

Oettinger: Das werden wir ohnehin, ob über Schulden oder die Gasrechnung.

Die Last wird aber mit Schulden auf Jahre gestreckt.

Oettinger: Aber doch nur, wenn es keine Krisen mehr gibt. Ich wäre dafür, den Wettbewerb umgehend zu stärken: Sofort einsteigen ins Fracking, sofort neue Brennstäbe organisieren. Gerade der Wohlstand dieser energieintensiven Metropolregion hängt doch an verfügbarer, bezahlbarer Energie.

Ehemalige Mitarbeit ehem. Chefredakteur

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