Medizin

Virologe: "Wir werden mit dem Virus leben müssen"

Von 
Stefanie Ball
Lesedauer: 
Im Labor wird eine Probe auf das Coronavirus getestet. Experten gehen davon aus, dass die Zahl der Infizierten noch deutlich steigen wird. © dpa

Mainz/Mannheim. Der Mainzer Virologe Bodo Plachter hält es kaum mehr für möglich, das neuartige Virus komplett einzudämmen. „Wir werden mit aller Wahrscheinlichkeit mit diesem Erreger leben müssen“, sagte der stellvertretende Direktor des Instituts für Virologie der Universitätsmedizin Mainz. Ob ein Impfstoff bereits im nächsten Frühjahr bereit steht, hält er zumindest für fraglich. „Das wird dauern, vielleicht auch noch länger.“

Herr Professor Plachter, das neue Virus ist in der Welt, wird es von dort eines Tages wieder ganz verschwinden?

Bodo Plachter: Das wird wohl eher nicht passieren. Anders als bei den zwei anderen, ebenfalls noch recht neuen Viren aus der Gruppe der Coronaviren, Sars und Mers, bei denen es gelungen ist, die Verbreitung zu stoppen oder zumindest auf kleiner Flamme zu halten, ist das Tückische am neuen Erreger Sars-CoV-2, dass er sich gut ausbreiten kann.

Warum?

Plachter: Das neue Coronavirus siedelt sich vor allem im oberen Rachenraum an, vermehrt sich dort gut und schnell und wird leicht über Niesen und Husten an andere Menschen weitergegeben. Ehe der Infizierte merkt, dass er krank ist, dauert es außerdem. Die Symptome können leicht mit einer Erkältung verwechselt werden und sind zunächst auch nicht so stark. Bei Sars, das tief in die Lungen eindringt, ist das Krankheitsgefühl viel schneller da, der Patient begibt sich also viel früher in ärztliche Behandlung; ehe jemand mit Sars-CoV-2 merkt, dass er krank ist, hat er womöglich schon viele andere Menschen angesteckt.

Also egal, wie gut wir jetzt eindämmen, Schulen schließen, auf Reisen verzichten, zu Hause bleiben - der Erreger wird bleiben?

Plachter: Wir werden mit dem Erreger leben müssen. Das ist kein großes Drama, es gibt auch andere Erreger, die Atemwege und Lunge infizieren, und irgendwann, in ein oder zwei Jahren, wird es in der Bevölkerung eine Grundimmunität auch gegen diesen neuen Erreger geben.

Wie schlimm wird es bis dahin noch werden?

Plachter: Wir müssen davon ausgehen, dass noch einiges kommt. Im Moment geht es deshalb vor allem darum, einen maximalen Schutz aufzubauen, eine Art Firewall wie am Computer, um uns, vor allem die Personen, die besonders gefährdet sind, alte Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen, zu schützen.

Aber kann beziehungsweise muss man das öffentliche Leben jetzt für Monate lahm legen?

Plachter: Epidemiologisch geht es momentan darum, die Ausbreitung zu verlangsamen. Das klingt alles sehr dramatisch, aber es soll schlicht und ergreifend die Kurve der Neuinfektionen abgeflacht werden, damit wir auch in zwei oder drei Wochen noch gut mit der Situation zurechtkommen. Das heißt, gesunde Erwachsene oder Kinder sind nicht sehr gefährdet, es soll lediglich vermieden werden, dass das Ganze aus dem Ruder läuft. Wir wollen nicht in eine Situation geraten, wie es sie gerade Italien und vermutlich noch schlimmer der Iran erleben, wo selbst Schwerstkranke vielfach nicht mehr ausreichend behandelt werden können.

Wie lange wird der Ausnahmezustand anhalten?

Plachter: Coronaviren, auch das neue, haben die Eigenart, dass sie anders als Grippeviren das ganze Jahr über zirkulieren. Das warme Wetter wird also nicht automatisch eine Entspannung bringen.

In China immerhin, wo das Virus seinen Anfang nahm, geht die Zahl der Neuinfektionen mittlerweile stark zurück, Betriebe nehmen wieder ihre Arbeit auf, ist das auch für Deutschland, für Europa zu erwarten?

Plachter: Noch werden wir in Europa und ganz besonders in den USA mit steigenden Infektionszahlen rechnen müssen. Die Frage ist, wie lange sich das hinzieht. Sobald sich der Anstieg aber verlangsamt, also die Fallzahlen zurückgehen, können eventuell auch die Maßnahmen teilweise wieder aufgehoben werden.

Was nicht heißt, dass das Virus verschwunden ist?

Plachter: Das wird aller Wahrscheinlichkeit nicht passieren. Das Containment, die Chance, die Verbreitung einzudämmen oder gar komplett zu unterbinden, ist vorbei. Es ist allerdings fraglich, ob das überhaupt möglich gewesen wäre, weil das neue Virus dann doch ansteckender ist als eben andere Viren wie Sars und Mers.

Wann wird ein Impfstoff bereit stehen? Im nächsten Frühjahr?

Plachter: Das wird dauern, vielleicht auch noch länger. Man muss solche Impfstoffe vorher auf Verträglichkeit testen, damit nichts schief läuft, und man will wissen, ob es wirklich wirkt. Getestet wird am Menschen, aber das macht man nicht gleichzeitig, sondern gestaffelt. Man wird das Prozedere sicherlich etwas abkürzen, aber es dauert in jedem Fall. Ein Impfstoff ist außerdem kein Allheilmittel. In der aktuellen Situation wird man nicht alle Leute impfen können, dafür hat man gar nicht genügend Ärzte, die ja anderweitig eingebunden sind. Man wird also auch auf andere Medikamente, antivirale Mittel, die bereits zugelassen sind, setzen, aber auch das befindet sich noch in der Testung.

  • Bodo Plachter hat an der Universität Erlangen-Nürnberg Medizin studiert und ist Arzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie.
  • Nach Stationen in Koblenz und Erlangen kam er an die Universitätsmedizin Mainz.
  • Dort ist er inzwischen stellvertretender Direktor der Virologie. Er lehrt medizinische und molekulare Virologie.

Freie Autorin

Thema : Coronavirus - aktuelle Entwicklungen im Überblick

  • Wirtschaft Wie ist es um die Gesundheit der Arbeitnehmer bestellt?

    Atemwegserkrankungen setzen Beschäftigte besonders oft außer Gefecht, psychische Belastungen besonders lange. Sind wir heute kränker als früher? Machen wir öfter blau? Oder gibt es andere Gründe?

    Mehr erfahren
  • Wirtschaft Kartellamt erlaubt Kauf von Curevac durch Biontech

    Warum sehen die Wettbewerbshüter im Zusammenschluss von Biontech und Curevac keine Gefahr für Innovationen? Die Behörde äußert sich klar.

    Mehr erfahren
  • Wissenschaft Viele waschen ihre Hände immer noch häufiger als vor Corona

    Hygiene war während der Pandemie ein großes Thema. Die Mehrheit der Menschen hat sich die Hände währenddessen häufiger gewaschen als vorher – bei vielen ist das so geblieben, wie eine Umfrage zeigt.

    Mehr erfahren

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen