Berlin. Bundesfinanzminister Christian Lindner will die Mehrheit der Bevölkerung in den kommenden zwei Jahren steuerlich entlasten. Am Mittwoch legte der FDP-Politiker Eckpunkte für ein Gesetz zum „Ausgleich der Inflation“ vor. In der Koalition abgestimmt ist das noch nicht, SPD und Grüne äußerten Kritik.
Was will Bundesfinanzminister Lindner erreichen?
Sein Vorschlag sei eigentlich „keine Entlastung, sondern ein Verzicht auf Belastung“, sagte Lindner. Das ist so zu verstehen: Wegen der hohen Inflation erhalten viele Beschäftigte deutliche Lohnsteigerungen. Dadurch rutschen manche in eine höhere Einstufung im Steuertarif und zahlen mehr Abgaben, wodurch die Gehaltsaufbesserung teilweise oder ganz aufgefressen wird. Dieser Effekt heißt „kalte Progression“ – ihn will Lindner neutralisieren, ein übliches Verfahren seit 2016.
„48 Millionen steuerpflichtige Bürgerinnen und Bürger“ würden profitieren, erklärte das Finanzministerium. Durchschnittlich betrüge die Entlastung 193 Euro pro Jahr. Alle Einkommensgruppen hätten Vorteile. Prozentual wäre die Entlastung für Geringverdiener mit gut zehn Prozent im Vergleich zu ihrer Steuerlast am größten, absolut in Euro jedoch für Leute mit hohen Verdiensten. Die Reform soll den Bürgerinnen und Bürgern insgesamt rund zehn Milliarden Euro pro Jahr belassen, die sie sonst an die Finanzämter zahlen müssten.
Was soll sich für sehr geringe Einkommen ändern?
Der Bereich der Steuerfreiheit wird ausgedehnt, indem der Grundfreibetrag steigt. Ab „1. Januar 2023 ist eine Anhebung um 285 Euro auf 10 632 Euro vorgesehen“, teilte das Finanzministerium mit. Wer bis zu dieser Grenze jährlich verdient, muss keine Steuer zahlen. 2024 soll der Grundfreibetrag dann um weitere 300 Euro auf 10 932 Euro wachsen. Dieser Schritt ist nicht freiwillig – die Regierung muss das Existenzminimum steuerfrei stellen.
Wie sieht die Wirkung für niedrige Einkommen aus?
Heute gilt der Eingangssteuersatz von 14 Prozent bis zu einem Jahreseinkommen von knapp 15 000 Euro. Künftig soll er bis 15 786 Euro greifen. Auch für Gehälter, die leicht darüber liegen, werden dann weniger Steuern fällig. Ein alleinlebender Arbeitnehmer mit 20 000 Euro brutto würde um 115 Euro jährlich entlastet, heißt es in den Tabellen des Ministeriums.
Was tut sich bei mittleren Gehältern?
Bei 30 000 Euro Jahresgehalt im Jahr 2023 betrüge der Vorteil 172 Euro für Singles, bei 40 000 Euro Verdienst 250 Euro, bei 50 000 Euro brutto 352 Euro, bei 60 000 Euro Lohn schlügen 471 Euro Entlastung pro Jahr zu Buche.
Profitieren auch Wohlhabende und Reiche?
Ja, auch Gutverdiener profitieren. So soll der Spitzensteuersatz von 42 Prozent 2023 erst für Gehaltsbestandteile ab 61 972 Euro (heute 58 597 Euro) und 2024 ab 63 515 Euro gelten. Die höchste absolute Entlastung betrüge 479 Euro jährlich für Singles, die ab 70 000 Euro brutto aufwärts zur Verfügung haben. Darüber steigt der absolute Entlastungsbetrag für Singles nicht mehr an. Doch auch Menschen, die 200 000 Euro oder mehr verdienen, erhalten die 479 Euro. Für sie spielt das im Vergleich zu ihrem Einkommen freilich kaum eine Rolle.
Wie sieht es mit dem Kindergeld aus?
Zusätzlich zur Steuerreform plant Lindner eine Extra-Entlastung für Familien mit Kindern. Das Kindergeld soll in zwei Stufen steigen und vereinheitlicht werden. Im Jahr 2023 soll es für das erste, zweite und dritte Kind monatlich je 227 Euro geben. Ab dem vierten Kind kommen 250 Euro aufs Konto. 2024 sollen die Sätze für das erste bis dritte Kind noch einmal angehoben werden – auf 233 Euro. Die steuerlichen Kinderfreibeträge, die hohe Einkommen begünstigen, steigen ebenfalls.
Gibt es auch Kritik an Lindners Vorschlag?
Die SPD-Linke kritisierte die Steuerpläne als „sozial unausgewogen“. „Ich begrüße und teile das Ziel von Christian Lindner, die von den hohen Preisen betroffenen Menschen weiter zu entlasten“, sagte Wiebke Esdar, Co-Sprecherin der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion. „Allerdings sollte der Finanzminister zielgerichteter vorgehen.“ Der pauschale Abbau der kalten Progression durch die Eckwerteverschiebung würde hohe Einkommen stärker entlasten, kritisierte die SPD-Haushaltsexpertin. „Wer mehr als 100 000 Euro verdient, braucht keine so große Entlastung wie diejenigen, die mit kleinen und mittleren Einkommen aktuell an ihre Grenzen stoßen.“ Auch die Grünen kritisieren diesen Effekt.
Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa begrüßte Lindners Pläne, forderte jedoch Nachbesserungen bei unteren Einkommen. „Ich finde es sehr richtig, dass Herr Lindner sich um die kalte Progression kümmert“, sagte sie. Das könne zum Beispiel helfen, das Personalproblem in der Pflege zu lindern. „Wenn sich bei uns eine Pflegekraft entscheidet, statt bisher 30 jetzt 35 Stunden die Woche zu arbeiten, will sie natürlich auch mehr verdienen“, sagte die Caritas-Chefin. Sie wünsche sich aber, dass der Finanzminister im unteren Einkommensbereich die Schwellenwerte noch stärker erhöhe. „Jede Pflegekraft, die bereit ist, fünf Stunden mehr in der Woche zu arbeiten, löst einen Teil des erheblichen Personalproblems.“
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