Berlin. Die Omikron-BA.5-Welle erwischt jetzt reihenweise auch diejenigen, die sich bislang schützen konnten, viele andere auch zum zweiten Mal. Die Folge: Mehr Patienten in den Kliniken – und gleichzeitig massive Personalausfälle in nahezu allen Branchen. In der Ampelkoalition bahnt sich deswegen Streit an.
Mehr als 30 Millionen Corona-Fälle hat das RKI seit Beginn der Pandemie in Deutschland gezählt. Darunter sind auch Fälle, die ein und dieselbe Person betreffen, weil sich jemand zwei- oder sogar dreimal angesteckt hat. Grob überschlagen hatte jeder dritte Deutsche schon Corona. Nach offiziellen Daten. In Wirklichkeit aber liegt die Quote noch deutlich höher. Denn: Das RKI zählt nur die Infektionsfälle, die per PCR-Test nachgewiesen und dann den Gesundheitsämtern übermittelt wurden.
Die deutschen Krankenhäuser geraten immer stärker unter Druck: „Die Belastung steigt stetig, der deutliche Mehraufwand durch die Pflicht zur Isolation nimmt zu“, sagte Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) dieser Redaktion. In deutschen Krankenhäusern werden derzeit mehr als 1300 Patienten mit Covid-19 auf den Intensivstationen und rund 17 000 auf den Normalstationen behandelt. Das seien 7,7 bzw. 15,4 Prozent mehr als in der Vorwoche, so Gaß. Die absolute Patientenzahl sei damit doppelt so hoch wie zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. Mit steigenden Infektionszahlen steige zudem vor allem die Anzahl infizierter Krankenhausmitarbeiter. „In zahlreichen Krankenhäusern müssen planbare Operationen daher verschoben und zeitweise ganze Bereiche abgemeldet werden.“
Doch nicht nur die Kliniken sind stark belastet, auch andere Branchen leiden unter Personalengpässen durch infizierte Mitarbeiter, vor allem dann, wenn sie schon wegen des Fachkräftemangels unter Druck stehen. Im Hotel- und Gaststättenbereich, in den Kitas, in der Pflege. Die Omikron-Variante habe so viel Arbeitsausfall verursacht wie keine Corona-Variante zuvor, erklärte die Krankenkasse DAK am Freitag. Laut Barmer-Krankenkasse stieg die Zahl der Corona-Arbeitsunfähigen je 10 000 Versicherte von 64 Personen Anfang Juni um fast 100 Prozent auf 123 Personen Anfang Juli.
Kassenärzte-Chef Andreas Gassen fordert seit langem, die Isolationspflicht zu kippen. Am Wochenende legte er nach: Die Isolationspflicht sollte aufgehoben werden, dadurch würde die Personalnot vielerorts gelindert. Wer krank ist, solle zu Hause bleiben, wer sich gesund fühle, zur Arbeit gehen.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) widersprach umgehend: „Infizierte müssen zu Hause bleiben. Sonst steigen nicht nur die Fallzahlen noch mehr, sondern der Arbeitsplatz selbst wird zum Sicherheitsrisiko.“ In der FDP sehen das viele komplett anders: „Ich halte es für richtig, über das Ende der Isolationspflicht zu diskutieren“, sagte FDP-Vize Wolfgang Kubicki. Es sei überfällig, den Menschen diese Entscheidung wieder zu überlassen – so, wie es andere europäische Länder schon längst getan hätten.
Die Grünen wollen wie Lauterbach im Prinzip an der Isolationspflicht festhalten: „Wer Corona hat, muss zuhause bleiben. Wenn Menschen zur Arbeit gehen, sollten sie nicht der Gefahr ausgesetzt sein, sich anzustecken“, sagte Grünen-Gesundheitspolitikerin Saskia Weishaupt. „Wir schlittern in einen Herbst, wo die Quarantäne- und Isolationsregeln besonders wichtig werden und letztlich Menschenleben retten werden.“
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/politik_artikel,-politik-sollte-die-isolationspflicht-fuer-infizierte-entfallen-_arid,1977301.html