Berlin. Es war die hitzigste Debatte, die der neue Bundestag bislang erlebt hat. Knapp zwei Stunden lang diskutierten und stritten die Abgeordneten am Donnerstagmorgen im Reichstag über den von den Ampelparteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP eingebrachten Entwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Der sieht eine Reihe von neuen Regelungen wie eine 3G-Pflicht (geimpft, genesen oder getestet) am Arbeitsplatz oder im öffentlichen Personenverkehr vor, aber auch ein Auslaufenlassen der sogenannten epidemischen Notlage, die der Regierung eine Art Pauschalvollmacht gibt. Deutlich wurde, dass es nicht nur um die Frage geht, wie Corona am effizientesten bekämpft werden kann.
Den Anfang machte die SPD-Abgeordnete und Ärztin Sabine Dittmar. Sie nutzte ihren Auftritt für eine Frontalattacke gegen die Union. Diese wolle an dem „verfassungsrechtlich äußerst problematischen Sonderrecht“ (der epidemischen Notlage) festhalten. „Sie wollen, dass sowohl verfassungsrechtlich als auch epidemiologisch fragwürdige Ausgangssperren und Beherbergungsverbote oder die flächendeckende Schließung von Einzelhandelsbetrieben beibehalten werden“, sagte Dittmar und verstieg sich zur Behauptung: „Auch Maskendeals wären weiter möglich, wenn Sie politische Verantwortung hätten.“
Spahn will nichts gewusst haben
Das war der Auftakt für ein munteres Hin-und-her-Schieben des Schwarzen Peters, wer für die dramatische Situation mit über 65 000 Neuinfektionen politisch Verantwortung trägt. Der Redner der CSU, Stephan Stracke, warf den mutmaßlich künftigen Regierungspartnern vor: „Sie werden der Dramatik der Lage nicht gerecht.“ Mit Blick auf den Gesetzentwurf sagte er: „Heute machen Sie Ihren ersten Fehler.“ Stracke weiter: „Die Zahlen gehen hoch, und Sie reduzieren die Maßnahmen. Das kann nicht gut gehen.“
Das wollte sich die Gegenseite nicht bieten lassen. Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann, erinnerte daran, dass in unionsgeführten Ländern wie Bayern und Sachsen die Infektionszahlen am höchsten sind. „In Wahrheit kämpfen Sie nicht in der Sache gegen Corona“, sagte Buschmann an die Adresse der Union: „Sie kämpfen gegen eine politische Konstellation, die am Werden ist.“
Mehrere Redner der Ampel hielten der Union vor, in den von ihnen geführten Bundesländern die Instrumente der epidemischen Notlage gar nicht zu nutzen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) habe sogar selbst ein Ende der epidemischen Notlage gefordert. Dieser verteidigte sich in einer Kurzintervention: Die Dynamik hätten „nur wenige“ vorhergesagt. Allerdings hatte der Chefvirologe der Charité, Christian Drosten, wie andere Virologen schon im Juli angesichts der niedrigen Impfquote vor einer „Winterwelle“ gewarnt.
Noch droht die Blockade
Als frommer Wunsch erwies sich letztlich die Mahnung von Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt: „An diesem Tag erwarten die Menschen zu Recht, dass wir uns zusammenreißen und handeln.“ Zwar beschloss der Bundestag mit der Mehrheit von SPD, FDP und den Grünen die neuen Corona-Maßnahmen. Die Union hatte aber zeitweise angedroht, das Gesetz am Freitag im Bundesrat blockieren zu wollen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Chaotische Politik