Mannheim. Herr Jung, die Ampel regiert jetzt seit einem Jahr. Wie hat sie die Zeitenwende überstanden?
Matthias Jung: Die Zufriedenheit mit der Regierung nimmt in letzter Zeit merklich ab. Dabei dürfen wir nicht vergessen: Der Start des Dreier-Bündnisses aus SPD, Grünen und FDP erfolgte auch nicht auf einem besonders hohen Niveau. Allerdings hat die Ampel das Glück, dass sie auf keine besonders attraktive Opposition stößt, die ihr das Leben schwer machen könnte.
Sie sagen, die Kritik an der Bundesregierung sei gewachsen. Ist das nicht normal in Krisenzeiten?
Jung: Eher im Gegenteil. Gerade in Krisenzeiten können sich die politischen Führungsfiguren besonders profilieren. In der Regel steht dann ein Großteil der Bevölkerung hinter der Regierung. Denken Sie nur an die hohen Popularitätswerte, die Altkanzlerin Angela Merkel hatte. Und sie musste ja mehrere Krisen in ihrer langen Amtszeit durchstehen. Es gibt allerdings schon einen Unterschied zur Ära Merkel: Normalerweise steht die Kanzlerin oder der Kanzler in schwierigen Phasen im Mittelpunkt und dominiert dann auch das andere Personal in einer Regierungskoalition. In der Ampel ist das anders, dort gibt es eben mehrere Protagonisten, die sich nicht von einem Olaf Scholz aus dem Rampenlicht drängen lassen wollen.
Fehlt dem Kanzler die Autorität?
Jung: Sagen wir mal so: Scholz ist ja nicht Bundeskanzler geworden, weil die große Mehrheit der Deutschen sich nach ihm als Regierungschef gesehnt hätte. Olaf Scholz war halt derjenige unter den drei Kandidatinnen und Kandidaten, den sich die Wähler noch am ehesten als Kanzler vorstellen konnten. Er ist folglich nur mit einem relativen kleinen Bonus ins Amt gestartet.
Der Wahlforscher
- Matthias Jung wurde 1956 in Speyer geboren.
- Er studierte Ökonomie, Politik und Mathematik an der Uni Mannheim.
- Jung arbeitet seit 1987 bei der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen. Seit 1994 ist er auch Vorstandsmitglied.
- Das Institut erstellt auch das Politbarometer für das ZDF und diese Redaktion.
- Es gibt von ihm Veröffentlichungen zur Wahlforschung, den Umfrage-Methoden und zur Militärsoziologie.
Lassen Sie uns die vier Protagonisten in der Ampel mal der Reihe nach durchgehen: Kanzler Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner.
Jung: Bei Scholz sehen wir mit Blick auf die regelmäßigen Politbarometer-Daten schon einen merklichen Ansehensverlust. Die Grünen-Größen Baerbock und Habeck haben einen sehr starken Start hinlegen können, in der Zwischenzeit hat aber . . .
… vor allem Habeck wegen der gescheiterten Gasumlage …
Jung: . . . Federn lassen müssen, weil er da keine gute Figur gemacht hat und sich nicht mehr besonders gut profilieren konnte. Habeck hat sich zwar jetzt wieder berappelt, aber wenn wir die vergangenen Wochen und Monate Revue passieren lassen, stellen wir fest, dass diejenigen, die am besten dastehen …
… also Habeck und Baerbock …
Jung: … nur absolut bescheidene Popularitätswerte haben, mit denen man früher keine Spitzenpositionen hätte belegen können. Es sind aber nicht nur die Führungsfiguren der Regierung, die verhältnismäßig schlecht abschneiden. Wenn ich mir den Oppositionsführer der Union, Friedrich Merz, anschaue, der ja von dem Ansehensverlust der Regierung profitieren müsste, dann ist es schon bemerkenswert, dass seine Popularitätswerte konstant im Minus-Bereich liegen.
FDP-Chef Lindner haben Sie jetzt in Ihrer Aufzählung ausgelassen. Seine Werte sind ähnlich grottenschlecht wie die von Merz. Und die FDP krebst in den Umfragen an der Fünf-Prozent-Marke herum. Hat sich für Lindner und die FDP der Eintritt in die Ampel gelohnt?
Jung: Sie hatten ja keinen Spielraum. Die FDP und Lindner konnten sich nicht schon wieder wie 2017 …
… als Jamaika scheiterte …
Jung: . . . der Regierungsbeteiligung verschließen. Aber es ist schon so, dass der permanente Streit, den die FDP mit den Grünen oder der SPD hat, die Liberalen wie einen Fremdkörper in der Regierunge erscheinen lässt. Das liegt daran, dass die Klientel der FDP mit den Grünen und der SPD fremdelt.
Schadet der Streit, den die Liberalen in der Koalition immer wieder vom Zaun brechen, am Ende ihnen selbst am meisten?
Jung: Auf jeden Fall ist es so, dass die Profilierungssucht, die Lindner bei einzelnen Themen immer wieder an den Tag legt, der Koalition insgesamt schadet, weil es zu einer großen Zerstrittenheit im Erscheinungsbild führt. Lindner und die FDP können davon aber nicht profitieren.
Täuscht der Eindruck, dass alle außer der FDP radikale Eingeständnisse machen mussten?
Jung: Das sehe ich nicht so. Die FDP will Steuern senken, und sie beharrt auf der Schuldenbremse. Da hat sie Abstriche machen und auch faule Kompromisse eingehen müssen …
… die berühmten Schattenhaushalte und Sondervermögen …
Jung: … die bei ihren Anhängern nun wirklich nicht gut ankommen.
Lassen Sie uns über den Kanzler reden. Olaf Scholz hat gesagt, die Bürger hätten bei ihm Führung bestellt und würden sie jetzt bekommen. In der Öffentlichkeit wirkt er aber wie ein Zauderer und manchmal wie ein Besserwisser.
Jung: Auf jeden Fall ist die Kommunikation des Kanzlers bei vielen Politikfeldern in Richtung Bevölkerung wirklich verbesserungsfähig.
Ist das alles, was Ihnen zu diesem Thema einfällt?
Jung: Ja schon, das war doch eindeutig.
Wir haben schon von den schlechten Imagewerten von CDU-Parteichef Friedrich Merz gesprochen. Auch sein CSU-Kollege Markus Söder steht nicht besser da. Ist das nicht komisch, denn in den Umfragen steht die Union schon seit Monaten auf dem ersten Platz?
Jung: Sie liegt deshalb vorn, weil wir mit der SPD und den Grünen zwei starke Regierungsparteien haben. Deshalb ist die CDU/CSU momentan mit 28 Prozent an der Spitze. Nur zur Erinnerung: Friedrich Merz hat sich als Ziel die 40-Prozent-Marke auf die Fahne geschrieben. Davon ist die Union ja meilenweit entfernt. Und wenn wir uns die Werte von Merz anschauen, ist es aus heutiger Sicht unvorstellbar, dass er diesen Anspruch wirklich einlösen kann.
Liegt das nicht auch daran, dass eine Oppositionspartei einfach nicht so glänzen kann? Sie kennen ja den alten Spruch der SPD-Legende Franz Müntefering: Opposition ist Mist.
Jung: Das mag sein. Aber das Hauptproblem ist, dass bei der Union kein klarer Kurs sichtbar ist. Mal macht sie der FDP Avancen, dann betont sie wieder die sozialen Komponenten, die Merz nicht glaubwürdig vertreten kann. Nach meiner Meinung kann sich die Union aber nur dann sehr deutlich verbessern, wenn sie wieder einen klaren Kurs der Mitte steuert. Populistische Töne gegen Ausländer und Einwanderung sind jedenfalls nicht die richtige Antwort, um die Wähler in diesem Segment einsammeln zu können.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentare Ampel in drei Krisen