Interview

Mannheimer Experte: "Die AfD rückt immer mehr nach rechts"

Die AfD steigt nicht nur in den Umfragen, sondern hat jetzt sogar die erste Landratswahl gewonnen. Warum die AfD auch in der Mitte der Gesellschaft populärer wird, verrät Politikwissenschaftler Thomas König aus Mannheim

Von 
Walter Serif
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Die AfD ist im Höhenflug. © dpa

Mannheim. Herr König warum sind Rechtsparteien mit Autokraten an der Spitze in Europa so erfolgreich?

Thomas König: Mit einfachen Aussagen wie „Unser Volk zuerst“ mobilisieren Rechtsparteien in Zeiten großer Verunsicherung eher emotional als inhaltlich. Besonders wenn das Krisenmanagement der anderen Parteien enttäuscht, werden Rechtsparteien eher emotional als aus inhaltlicher Überzeugung gewählt.

Früher hieß es immer, in Deutschland hätten Rechtsparteien keine Chance, weil ihnen eine Führungspersönlichkeit fehle. Warum ist das bei der AfD jetzt anders?

König: Die AfD hat lange Zeit über ihren Kurs gestritten, profitiert aber nun davon, dass das Krisenmanagement der anderen Parteien führungslos erscheint. Jede Partei will „ihre“ Krise auf Kosten der anderen lösen. Die Grünen also das Klima, die SPD den Wohlfahrtsstaat, die FDP die Schulden und die Union die Wirtschaft. Weil Krisenmanagement aber nur gemeinsam funktioniert, kann die AfD die „lachende“ Dritte sein wie bei der Migrationskrise.

Sie meinen den Streit zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Innenminister Horst Seehofer über den Kurs in der Asylpolitik?

König: Bei solchen Auseinandersetzungen gibt es eine inhaltliche und eine emotionale Dimension. Inhaltlich kann man durchaus über die richtige Lösung streiten, aber wenn dieser Streit dazu führt, dass eine Krise entsteht oder ihr Management nicht funktioniert, dann kann das nicht nur verunsichern, sondern sogar verängstigen. Die Menschen gewinnen dann den Eindruck, dass man in der Krise steckenbleibt und nicht vorankommt. Und genau das ist damals passiert.

Aber danach ging es mit der AfD wieder bergab.

König: Weil es in der Partei damals einen Richtungsstreit gab und der Krisendruck nachließ. Und jetzt erleben wir wieder das Gegenteil, wobei Aufstieg der einen immer Abstieg des anderen bedeutet, wenn es nur auf einer Seite stockt.

Liegt das nur am Heizungsgesetz?

König: Nein, nicht nur. Das Grundproblem ist eher, dass wir in der Ampel-Koalition drei sehr unterschiedliche Parteien haben, die sich als Manager verschiedener Krisen sehen. Sie müssen in der Koalition gemeinsam handeln, werden am Wahltag aber individuell verantwortlich gemacht. Deshalb kommt es ständig zu diesem Trittbrettfahrereffekt, bei dem sich jeder mit der Priorisierung „seiner“ Krise auf Kosten des anderen profilieren will.

Wäre die AfD noch stärker, wenn Alice Weidel oder Tino Chrupalla ähnliches Format wie Giorgia Meloni oder Viktor Orbán hätten, oder spielt das keine Rolle?

König: Das spielt eine große Rolle. Das gilt für Meloni in Italien, Orbán in Ungarn, aber auch für Erdogan in der Türkei. Erdogan ist für mich das beste Beispiel dafür, dass diese charismatischen Führungspersönlichkeiten vor allem in unsicheren Zeiten emotional mobilisieren können. Erdogan gewinnt Wahl für Wahl zuletzt sogar trotz Wirtschaftskrise, Krieg und Erdbeben.

Auf der einen Seite rückt die AfD immer mehr nach rechts, auf der anderen Seite sehen wir, dass sie immer populärer wird in der Mitte der Gesellschaft.

Normalerweise kommen Rechtsparteien wegen der Wirtschaftskrise an die Macht, Erdogan wurde aber wiedergewählt, obwohl er doch für diese Wirtschaftskrise mitverantwortlich ist.

König: Weil es eben diese beiden Dimensionen gibt und die emotionale Bindung vor allem für die Mobilisierung von enttäuschten und verängstigen Menschen wichtiger ist als die inhaltliche Kompetenz. Gerade diese emotionale Identifikation mit einer Partei oder Persönlichkeit spielt eine immer größere Rolle. Nehmen Sie Donald Trump. Es kommt bei ihm gar nicht auf die Positionen oder die Inhalte an. Deshalb spricht man auch von affektiver und nicht so sehr von positionaler Polarisierung. Wenn es um Führung oder Führerschaft geht, ist die emotionale Komponente entscheidender.

Wenn die AfD eine emotionale Führungspersönlichkeit hätte, wäre sie also noch erfolgreicher?

König: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Das hängt aber natürlich auch immer vom Gegenspieler, also den anderen Parteien und Persönlichkeiten ab. Wenn ich auf der einen Seite einen Kanzler wie Olaf Scholz habe, der eher wenig emotional rüberkommt, entsteht eine Lücke, die auf der anderen Seite gefüllt werden kann. Das sind die Grundzüge der Spieltheorie. Man spielt gegen- und miteinander.

Die AfD hat zwar keine emotionale Führungspersönlichkeit, denkt aber jetzt über eine eigene Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten nach.

König: Das macht aus Sicht der AfD schon Sinn. Ein Kandidat kann die emotionale Bindung und Identifikation verstärken und dadurch Anhänger mobilisieren. Die AfD würde außerdem mehr mediale Aufmerksamkeit erfahren und könnte sich als ebenbürtige Alternative vor einem großen Publikum präsentieren. Zusätzlich würde die AfD damit ihre Absicht unterstreichen, Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen, um eine andere Agenda für das Krisenmanagement umzusetzen.

Nächstes Jahr stehen drei Landtagswahlen im Osten Deutschlands an. Warum ist die AfD dort so erfolgreich, in einer Umfrage landete sie sogar mit 32 Prozent auf dem ersten Platz. Jetzt hat sogar ein AfD-Politiker eine Landratswahl in Thüringen gewonnen.

König: Wenn es wie im Osten eine ganze Region gibt, in der viele Menschen das Gefühl haben, sie würden vernachlässigt, ist das der emotionale Nährboden für einfache Aussagen wie „Unser Volk zuerst“. Die Landratswahl in Thüringen mit einer Wahlbeteiligung von fast 60 Prozent, in der bundespolitische Themen eine größere Rolle als landespolitische Themen gespielt haben, bestätigt meine These. Früher konnte im Osten die Linke dieses Vernachlässigtenpotenzial emotional mobilisieren, inzwischen hat ihr die AfD da den Rang abgelaufen. Die Leute im Osten denken „Die anderen Parteien favorisieren den Westen, und wir sind die Vernachlässigten“. Daraus schlägt die AfD Kapital, weil sie den Menschen sagt: Wir schützen euch. Und viele glauben das dann.

Thomas König



  • Thomas König wurde am 2. Februar 1961 in Münster geboren.
  • König ist seit 2007 Professor für Politikwissenschaft und Europäische Politik an der Universität Mannheim. Zuvor hatte er eine Professur in Speyer.
  • Seit 2017 ist Thomas König auch Mitglied in der renommierten Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina

Die AfD wird immer radikaler.

König: Das ist das Paradoxe auf der inhaltlichen Dimension: Auf der einen Seite rückt die AfD immer mehr nach rechts, auf der anderen Seite sehen wir, dass sie immer populärer wird in der Mitte der Gesellschaft. Da stellt sich die Frage: Ist die Mitte rechter geworden?

Das glaube ich nicht.

König: Ich auch nicht. Es ist wohl eher so: Die AfD, die mittlerweile geschlossen, wenn auch inhaltlich rechts auftritt, vermittelt das Gefühl, die Sorgen und Ängste der Menschen wahrzunehmen. Dass die AfD damit Erfolg hat, ist natürlich ein Armutszeugnis für die anderen Parteien. Die müssten nicht nur in ihren eigenen Reihen für mehr Geschlossenheit sorgen, um nicht die Ängste in der Bevölkerung noch zu verstärken. Sie müssten auch eine Strategie verfolgen, die nicht nur die inhaltlichen, sondern auch die emotionalen Widersprüche der AfD aufdeckt.

Russland?

König: Ja. Man kann die Nähe der AfD zu Putin weder aus rechtsradikaler Sicht inhaltlich nachvollziehen noch schützt sie emotional das deutsche Volk vor der russischen Aggression, die nicht nur in der Ukraine, sondern vor allem in Syrien die Flüchtlingswelle verursacht.

Haben Sie Angst vor der AfD?

König: Nein, ich würde auch nicht in Alarmismus verfallen. Unsere Demokratie ist sehr stabil. Wir haben das Problem, dass es den Parteien immer schwerer fällt, Wählergruppen mit Migrationshintergrund oder niedrigen Einkommen zu mobilisieren. Auch deshalb war die Beteiligung an der OB-Wahl in Mannheim, der zweitgrößten Stadt Baden-Württembergs, erschreckend gering.

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Die AfD ist nicht nur rechts- populistisch, es gibt rechtsradikale bis rechtsextreme Strömungen.

König: Wenn Sie an den Flügel von Höcke mit seinem rassistischen Sound denken, stimmt das schon. Interessant ist aber, dass die Texte auf der Homepage oft moderater sind als die Position, die die Politiker und Politikerinnen vertreten. Auch beim Wahl-O-Mat hat die AfD sich angewöhnt, ihre Positionen weniger radikal zu formulieren. Mir haben Leute schon mit Erstaunen erklärt, dass sie vom Wahl-O-Mat zu AfD-Wählern gemacht wurden.

Können Sie ein Beispiel nennen?

König: Ja. Auf der AfD-Homepage gibt es ein klares Bekenntnis zur Westintegration und zur Nato. Das widerspricht klar dem Putin-Kurs. Und es gibt in der Partei Stimmen, die aus der Nato austreten wollen.

Oder aus der EU.

König: Da heißt es auf der Homepage, dass die Partei eine Reform der EU anstrebt …

… worüber man durchaus mal reden könnte …

König: . . . genau. Das hört sich viel moderater an, als die Forderungen von Höcke, der die AfD immer mehr vor sich hertreibt. Gegenwärtig diskutiert die AfD allerdings, ob sie die Forderung nach einer Auflösung der EU ins Programm für die nächste Europawahl aufnehmen will.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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