„Ich wünsche mir mehr Praktiker im Parlament“

Von 
Karsten Kammholz
Lesedauer: 
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner – mit Maske – beim Redaktionsbesuch in Mannheim. © Christoph Blüthner

FDP-Chef Christian Lindner spricht im Interview über die Masken-Affäre, Nebenverdienste im Bundestag und warum er eine Regierungsbeteiligung der Liberalen nach der Bundestagswahl für möglich hält. Von Karsten Kammholz

Herr Lindner, der Masken-Deal des CDU- Abgeordneten aus Mannheim, Nikolas Löbel, sorgt bundesweit weiterhin für Empörung. Löbel hat seine Ämter aufgegeben. Ist die Sache damit erledigt?

Christian Lindner: Nein. Es geht nicht um die CDU, sondern um die Vertrauenswürdigkeit der Politik insgesamt. Ich empfehle der Bundesregierung, einen unabhängigen Sonderermittler zu einzusetzen, um die Arbeit der Ministerien zu prüfen. Zum Beispiel ein ehemaliges Mitglied des Verfassungsgerichts könnte mit Akteneinsicht aufklären, ob bei den Beschaffungsvorhaben seit Beginn der Pandemie alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Ein entsprechender Bericht könnte noch vor der Bundestagswahl alle Zweifel ausräumen.

Mehr zum Thema

Politik

Verkehrsminister Hermann rüttelt an Schuldenbremse

Veröffentlicht
Von
dpa
Mehr erfahren

Sollte Löbel die 250 000 Euro, die er als Provision erhalten hat, spenden?

Lindner: Das sollte für ihn eine Frage der Ehre und der tätigen Reue sein. Denn angeblich soll er seinen Abgeordnetenbriefbogen genutzt haben, um wirtschaftliche Vorteile bei diesem Geschäft zu erzielen.

Können Sie ausschließen, dass auch FDP-Abgeordnete sich am Maskenhandel bereichert haben?

Lindner: Es gibt keinerlei Verdachtsmomente. Es hat sich auch niemand offenbaren müssen, nachdem wir darum gebeten hatten, etwaige Geschäftstätigkeit anzuzeigen.

Die SPD unterstellt der CDU ein ernstes Korruptionsproblem. Sehen Sie das auch?

Lindner: Solche Äußerungen gab es auch aus den Reihen der Grünen. Ich bin gegen pauschale Verurteilungen. Vor individuellem Fehlverhalten ist keine Organisation geschützt.

Gibt es also gute und böse Nebenverdienste?

Lindner: Selbstverständlich. Wenn ein Abgeordneter zum Beispiel seinen Handwerksbetrieb weiterführt, dann ist es seine berufliche Existenz. Es erhöht die Abhängigkeit von politischen Ämtern, wenn man kein berufliches Standbein behalten darf. Ich wünsche mir eher mehr Menschen aus der Praxis. Hätten wir mehr Praktiker im Parlament, wären die Hilfen von Wirtschaftsminister Altmaier für die Betriebe sicher schneller geflossen.

Die FDP steht derzeit nicht wirklich im Zentrum des öffentlichen Interesses. Warum nicht?

Lindner: Ich habe einen anderen Eindruck. In diesen Zeiten sind die vom Grundgesetz garantierten Freiheiten keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Bürgerrechtspartei FDP ist die einzige seriöse Stimme im Bundestag, die Alternativen zu den dauernden Eingriffen in Grundrechte aufzeigt. Viele Menschen fürchten um ihre Existenz. Für die wirtschaftliche Erholung setzen viele auf uns. Die digitalen Defizite von Schulen und öffentlicher Verwaltung sind nicht mehr zu leugnen. Digitalisierung ist unsere Kernkompetenz. Und dass Bildung die Schlüsselaufgabe der Zukunft ist, damit es keine dauerhaft geschädigte Generation Corona gibt, ist doch allen klar. In dieser Zeit setzen immer mehr Menschen Hoffnung in die FDP, wie ich spüre. Wir haben diese Themen schon intensiv vor der Pandemie benannt, und das merken die Menschen.

In der Krise sehnen sich die Menschen nach dem starken Staat. Das ist doch gar nicht Ihr Konzept.

Lindner: Einspruch, Euer Ehren! Wir sind für einen starken Staat, wenn es darum geht, in den Kernaufgaben zu überzeugen. Ich möchte einen Staat, der die Googles, Apples und Amazons auf den fairen Wettbewerb ausrichtet, so dass sie keine Monopole ausbauen können. Ich möchte einen Staat, der mit exzellenter Digital-Infrastruktur unser Leben erleichtert. Und ich will einen Staat, der uns schützt vor Schicksalsschlägen, für die wir individuell keine Verantwortung tragen. Aber Sie haben in einem Punkt recht: Einen Staat, der die Mittelschicht finanziell übermäßig beansprucht und uns bürokratische Fesseln anlegt, so einen Staat brauchen wir nicht.

Wie bewerten Sie das momentane Berliner Krisenmanagement?

Lindner: In der ersten Phase der Pandemie handelte die Regierung schnell und entschlossen. Das CDU-geführte Kanzleramt war gut darin, uns allen Opfer abzuverlangen, was anfangs auch nötig war. Beim dann notwendigen Ausbalancieren von Gesundheitsschutz und gesellschaftlichem Leben hat die Bundesregierung, insbesondere die CDU, aber keinen guten Eindruck gemacht. Impfen, Testen, Hygienekonzepte – bei all den Aspekten, die mehr gesellschaftliches Leben trotz der Notwendigkeit des Gesundheitsschutzes versprechen, bleiben wir unter unseren Möglichkeiten. Israel, aber auch Österreich laufen uns den Rang ab.

Was erwarten Sie konkret?

Lindner: Impfungen – auch bei Haus- und Betriebsärzten – und massenhaft Tests sind der dauerhafte Weg aus der Krise. Aber mit FFP2-Masken und Hygienekonzepten, die in Kultur, Handel und Gastronomie längst entwickelt worden sind, könnten wir Öffnungen schon heute verantworten.

Herr Lindner, Sie hätten seit 2017 regieren und jetzt die Krise selbst managen können …

Lindner: Ja, ich könnte heute Vizekanzler sein. Aber der Preis für meinen Dienstwagen wäre gewesen, dass wir alle Zusagen an unsere Wähler hätten brechen müssen. Keine Steuersenkung, kein Digitalministerium, kein modernes Einwanderungsrecht, keine rationale Energiepolitik, keine Modernisierung der Bildung – wir hätten mit leeren Händen vor die Menschen treten müssen. Eine Jamaika-Koalition hätte in der Konstellation von 2017 vermutlich sowieso keine vier Jahre überlebt. Die Unterschiede zwischen Merkel-CDU und Grünen auf der einen und der freisinnigen FDP auf der anderen Seite werden dieser Tage ja besonders deutlich.

Wenn Jamaika ohnehin gescheitert wäre, haben sie bei der Bundestagswahl im Herbst auch keine Option zu regieren.

Lindner: Die Lage ist eine andere. Armin Laschet und Markus Söder sehen die FDP als bevorzugten Partner, wie beide sagen. Eine kommende Regierungsbildung würde anders ablaufen als die Gespräche 2017.

Die Grünen werden von vielen Wählern als bürgerlichere Partei wahrgenommen als die FDP. Schmerzt Sie das?

Lindner: Das höre ich zum ersten Mal. Die Grünen wollen 30 Milliarden Euro Steuererhöhungen, um ein bedingungsloses Grundeinkommen auszuzahlen. Wir wollen eine Entlastung für die arbeitende Mitte. Die Grünen wollen das Einfamilienhaus vermiesen, wir wollen es für mehr Menschen erreichbar machen. Die Grünen wollen die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie mit Verboten aufs Spiel setzen, wir sind für Technologieoffenheit. Da möge sich jeder sein Bild machen.

Ehemalige Mitarbeit ehem. Chefredakteur

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen