Ich male, du malst, wir malen –Friedrich Uthardt bringt Kindern, die vor dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland geflohen sind, Deutsch bei. Und Kunst. „In der Kunst hat ein Kind schnell die Möglichkeit, etwas zu gestalten, so dass es das Gefühl hat: ,Ich kann etwas’.“ Der 73-Jährige ist Lehrer für Deutsch und Geografie oder vielmehr: war. 2014 ging der Oberstudienrat, der am Otto-Hahn-Gymnasium in Karlsruhe unterrichtet hatte, in den Ruhestand.
Plötzlich Pensionär
„Mein Berufskarussell hat sich 42 Jahre lang gedreht, und ich bin leidenschaftlich gern mitgefahren“, sagt Uthardt. Doch im Alter von 65 Jahren hielt das Karussell jäh an, er musste aussteigen und stand plötzlich als Zuschauer daneben. Mit gemischten Gefühlen, einerseits froh, eine echte Erholungspause machen zu dürfen, andererseits wehmütig, weil er nicht mehr in seinem Traumberuf Lehrer arbeiten konnte. Sein Pensum plötzlich von 100 auf null herunterzufahren, sei ihm nicht leicht gefallen. Es müsse einen gleitenden Übergang geben, die Möglichkeit, das Deputat schrittweise zu reduzieren. „So blieben die Kräfte auch länger erhalten.“
Als im Oktober 2015 in Baden-Württemberg ein Rundschreiben mit der Bitte an pensionierte Lehrkräfte erging, sich doch für den Dienst bereitzustellen, hat sich Uthardt gemeldet. Grund war die damalige Flüchtlingskrise, man brauchte Lehrkräfte, die in sogenannten Vorbereitungsklassen (VKL) Deutsch als Fremdsprache unterrichten. Seitdem fährt der 73-Jährige zwei Mal in der Woche für insgesamt zehn Stunden an die Hieronymus-Nopp-Grund- und Werkrealschule nach Philippsburg.
Seinen Idealismus, der ihn Zeit seines Lebens als Lehrer begleitet hat, hat er sich erhalten. „Wichtig ist Geduld.“ Die Kinder, die in seinen Klassen sitzen, seien zum Teil traumatisiert, die müssten erst einmal ankommen. Ein Klassenzimmer sei dafür ein guter Ort. „Das kennen sie von ihrem Herkunftsland, Klassenzimmer, Lehrer, Mitschüler, wir sind eine Gemeinschaft, dort ist mein Platz und da gehe ich morgen wieder hin.“
Aktuell helfen in Baden-Württemberg rund 450 Pensionärinnen und Pensionäre in befristeten Verträgen an den Schulen aus. Weitere Pensionäre, noch einmal 750, sind für „Lernen mit Rückenwind“ tätig. Mit dem Förderprogramm sollen in der Corona-Pandemie entstandene Lernrückstände ausgeglichen werden. Basis für die Bezahlung der „Handschlagslehrkräfte“, wie pensionierte Lehrkräfte auch genannt werden, ist die Übungsleiterpauschale. Auf diese Weise können Pauschalen bis zu 3000 Euro pro Jahr steuer- und sozialversicherungsfrei verdient werden.
Wie das Kultusministerium in Stuttgart betont, wurde diese Summe vor zwei Jahren angehoben, um einen höheren Umfang an Vertretungsstunden zu ermöglichen. Statt vorher 70 Stunden können Handschlagslehrkräfte nun 100 Stunden arbeiten. Daneben kann auch ein befristeter Arbeitsvertrag abgeschlossen werden. Davon machen nach Aussage des Kultusministeriums in Stuttgart viele Pensionäre Gebrauch. Aufgrund des Lehrkräftemangels werden solche Verträge in der Regel auch nicht auf die Hinzuverdienstgrenze von Pensionären angerechnet.
Jedes Jahr Aufrufe an Lehrkräfte
Auch in anderen Bundesländern laufen jedes Jahr Aufrufe an Lehrkräfte, länger zu arbeiten, Teilzeit aufzustocken oder aus der Pension stundenweise an die Schulen zurückzukehren. In Hessen wurden auf diese Weise im laufenden Schuljahr 750 zusätzliche Stellen geschaffen. In Rheinland-Pfalz, wo es – noch – genug Lehrkräfte gibt, um alle Planstellen zu besetzen, waren es rund 100.
Manchmal werden Lehrkräfte aber auch ausgebremst. So erzählt eine Lehrerin aus Baden-Württemberg, die ihren Namen nicht nennen möchte, um ihrer Schule nicht zu schaden, dass sie ein halbes Jahr vor ihrer Pensionierung mit 65 Jahren einen Antrag beim zuständigen Regierungspräsidium auf Verlängerung der Arbeitszeit gestellt habe. Doch die Behörde lehnt den Antrag ab, zwei Mal. Die Gymnasien in ihrem Bezirk seien überversorgt.
Kaum pensioniert – schon zurück
Die Lehrerin geht im vergangenen Sommer in Pension – um nach den Sommerferien als Vertretungskraft zurückzukehren. Dass sie die Krankheitsvertretung für eine schwangere Kollegin übernehmen wird, war bereits vor den Ferien vereinbart worden. Zwei Tage, bevor es im September losging, klingelte dann das Telefon, der Rektor war am Apparat. „Er fragte, ob ich auch noch die Abiturklasse in Deutsch übernehmen könne“, erzählt die Lehrerin. Die Kollegin sei erkrankt. Sie stimmt zu, sie freut sich, denn so kann sie die Projekte noch zu Ende bringen, die der eigentliche Grund für das Hinausschieben der Pensionierung waren.
Gleichzeitig ärgert sie sich. Nicht, weil sie als Krankheitsvertretung jetzt weniger verdiene. „Für mich hängt das nicht am Geld. Es ist wegen der Diskrepanz. Es heißt immer ,Wir brauchen Lehrer!’, doch dann werden die, die arbeiten wollen, nicht gelassen.“
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Für den Fachkräftemangel gibt es keine einfache Lösung