Herr Merz, wenn es schlecht läuft, haben wir im nächsten Jahr Putin und Trump als Präsidenten, einen eskalierten Gaza-Krieg und eine AfD-Mehrheit in den ostdeutschen Ländern. Wollen Sie da wirklich Bundeskanzler werden?
Friedrich Merz: Ihre Aufzählung zeigt, in welcher Zeit wir leben. Die Lage ist schwierig und wird möglicherweise noch schwieriger werden. Dem muss man sich stellen, egal in welcher Funktion.
Die Union will einen Regierungswechsel schon vor dem nächsten regulären Wahltermin im Herbst 2025. Dabei haben Sie noch nicht mal einen Kanzlerkandidaten.
Merz: Wenn die Bundestagswahl früher stattfinden sollte, wäre die Union sofort handlungsfähig. Wir sind gut aufgestellt und auf alle Szenarien vorbereitet. Wir könnten jederzeit in eine vorgezogene Bundestagswahl gehen.
Und wenn erst 2025 gewählt wird? Warum sagen Sie nicht einfach „Ich kandidiere“? CSU-Chef Markus Söder hat sich in der K-Frage selbst aus dem Spiel genommen.
Merz: Wenn es vorerst keine vorgezogene Bundestagswahl gibt, dann treffen wir die Entscheidung im Spätsommer dieses Jahres. Ein früherer Zeitpunkt wäre unklug. Wir werden dabei die engere Führung der CDU einbinden, dazu zählen auch die Landesvorsitzenden. Am Ende wird es einen gemeinsamen Vorschlag von Markus Söder und mir geben.
Nehmen wir an, Sie treten an. Dann wird es ein Duell gegen Kanzler Olaf Scholz. Der könnte mit seiner Taurus-Haltung als besonnener Friedenskanzler Wahlkampf machen. Diese Haltung kommt gut an.
Merz: Auch wir gehen besonnen und abwägend mit diesen Herausforderungen um. Wir kommen nach sorgfältiger Prüfung allerdings zu anderen Ergebnissen als ein Großteil der SPD.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ist hart kritisiert worden für seine Idee, den Ukraine-Konflikt „einzufrieren“. Ist so eine Position nicht in einer Debatte um Krieg und Frieden zulässig?
Merz: Absolut. Die Legitimität einer solchen Aussage spricht ihm ja auch niemand ab. Man muss nur sehen, von wem Rolf Mützenich dafür Beifall bekommt: von SPD, AfD, Linkspartei und BSW. Das sollte den Sozialdemokraten zu denken geben. Hinzu kommt: Wir haben vor genau zehn Jahren den Ukraine-Konflikt mit den Minsker Abkommen schon einmal „eingefroren“. Russland hat die Zeit genutzt, um massiv aufzurüsten, und dann den Krieg erst richtig begonnen.
Das klingt so, als können Sie sich die außenpolitisch robusteren Grünen eher als Koalitionspartner vorstellen als die friedensbewegte SPD?
Merz: Freiheit und Frieden sind die Voraussetzung für alles andere. Ich habe in diesem Punkt Respekt vor den Grünen, sie haben eine tiefe Wandlung durchgemacht. Robert Habeck war der Erste, der von Waffenlieferungen für die Ukraine gesprochen hat. Die Grünen sind in der Lage, die Realitäten sehr schnell anzunehmen, zumindest in der Außen- und Sicherheitspolitik. In der Wirtschaftspolitik und in der Innenpolitik richten die Grünen dagegen großen Schaden an.
Die Mehrheit steht hinter dem Taurus-Nein des Kanzlers. Sie würden dagegen sofort liefern. Könnten Sie denn garantieren, dass wir dadurch nicht Kriegspartei würden?
Merz: Wenn der politische Wille dazu da wäre, wäre es möglich, den Taurus zu liefern, ohne Kriegspartei zu werden. Wenn die Regierung das nicht will, sollte sie ihre Ablehnung aber wenigstens nachvollziehbar begründen und dann eine geschlossene Haltung einnehmen. Wir erleben stattdessen ein regelrechtes Kommunikationsdesaster. Wir sind das einzige Land in der westlichen Welt, das in dieser Art eine Waffenlieferung öffentlich diskutiert. Die Europäer müssten stattdessen mit den Amerikanern hinter verschlossenen Türen über die weitere Unterstützung der Ukraine sprechen und gemeinsame Entscheidungen treffen. Dabei muss gelten: Unterhalb der Schwelle eines Kriegseintritts müssen wir der Ukraine mit allem helfen, was uns zur Verfügung steht, um gegen diesen Angriffskrieg zu bestehen. Ständige öffentliche Diskussionen und Streitereien in der Koalition spielen sicherheitspolitisch nur Putin in die Hand.
Experten rechnen damit, dass die Zahl der ukrainischen Flüchtlinge noch weiter zunehmen wird. Auch deshalb, weil es in Deutschland Bürgergeld für sie gibt. Muss sich das ändern?
Merz: Es geht vor allem darum, den Flüchtlingen mehr Anreize zu geben, schneller in den Arbeitsmarkt zu gelangen. In Deutschland sind von den ukrainischen Flüchtlingen nur 21 Prozent beschäftigt, in anderen europäischen Ländern sind es 60 oder 70 Prozent. In den nächsten Monaten beenden rund 100 000 weitere Ukrainerinnen und Ukrainer ihre Integrationskurse. Wir müssen auch diese Menschen schnell in Beschäftigung bringen.
Die Flüchtlingszahlen aus anderen Ländern sind ebenfalls hoch.
Merz: Die Bundesregierung schafft es immer noch nicht, den illegalen Zuzug über die Grenzen ausreichend zu stoppen. Wir hatten in den ersten beiden Monaten dieses Jahres wieder fast 50 000 Asylanträge. Das heißt: Aufs Jahr hochgerechnet sind wir wieder bei 300.000. Das bringt dieses Land an den Rand seiner Möglichkeiten, von „Integration“ ganz zu schweigen. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, haben wir nicht nur ein Unterbringungsproblem.
Sondern?
Merz: Dann bekommen wir weitere erhebliche gesellschaftliche Konflikte, weil die Unterbringungsmöglichkeiten fehlen, von Wohnraum ganz zu schweigen, weil die Schulen die Kinder nicht mehr aufnehmen können und weil die gesellschaftlichen Konflikte noch weiter zunehmen. Ein größeres Geschenk könnte die Ampel der AfD gar nicht machen. Die Grünen müssen endlich ihren Widerstand gegen weitere sichere Herkunftsländer, gegen die Bezahlkarte und gegen strengere Abschieberegeln aufgeben.
Die Ampel scheint mit den Nerven am Ende. Sollte sie vorzeitig auseinanderbrechen – wann könnte es nach Ihrer Meinung denn Neuwahlen geben?
Merz: Wenn die Bundesregierung vorzeitig scheitert und es tatsächlich Neuwahlen gibt, bietet sich als Termin der 22. September dieses Jahres an. Die Sommerferien wären dann überall vorbei, und mit der Landtagswahl in Brandenburg ist der Tag bereits ein Wahlsonntag.
Glauben Sie, dass es wirklich so kommen wird?
Merz: Die FDP weiß: Wenn sie in der Koalition bleibt, fliegt sie bei der nächsten Bundestagswahl wieder aus dem Parlament. Sie wird nach meiner Einschätzung daher nicht als Teil der Ampel in den Wahlkampf gehen wollen. Sie würde sich damit dem Verdacht aussetzen, dass sie in dieser Koalition weitermachen will. Die Frage ist nur, wann die Liberalen gehen und aus welchem Anlass. Das Volk liebt den Verrat, aber nicht den Verräter.
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