Senegal

Die begehrten Schätze des Sine-Saloum

Fisch essen die Deutschen am liebsten aus Konserven oder Tiefkühlpackungen. Frische Ware macht da einen eher kleinen Anteil aus am Fischverbrauch hierzulande. Das ist in Senegal unvorstellbar, wo Fisch als Hauptnahrungsmittel reich vor Ort lebt – und weitere Interessen weckt

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Manfred Loimeier
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Sine-Saloum. Schillernd brechen sich die Sonnenstrahlen entlang einer eigenartigen Linie auf der Wasseroberfläche des Sine-Saloum, weit draußen im Mündungsdelta dieses Flusspaares in Senegal, Westafrika. Rückwärts liegen die Mangrovenwälder mit ihren kanalartigen Flusspassagen und den breiteren Seitenarmen der beiden Flüsse Sine und Saloum, nach denen die Region benannt ist: Sine-Saloum. Es ist eine Region, die wegen der Vielfalt der Tiere eine touristische Destination ist, die teils Weltnaturerbe der Unesco und UN-geschütztes Mündungsgebiet ist, und: Das Sine-Saloum-Delta ist eine der fischreichsten Gegenden Westafrikas.

Mariama Thior erklärt in der Fischverarbeitungsanlage Dionewar die Produktion von Räucherfisch. Im Bild zu sehen sind die Öfen mit den ausfahrbaren Fächern für die Holzkohle. Dionewar liegt an der Atlantikküste, weshalb hier überwiegend Salzwasserfische verarbeitet werden. © Loimeier

Die eigenartige Linie dort übrigens, wo es hinausgeht auf das offene Meer des Atlantik – das ist die Linie, die sich bildet, wenn die Sine-Saloum-Strömung auf das Salzwasser des Ozeans trifft: Flusswärts ist es ein kräftiges Streben in flachen Wellen, ozeanseitig ein schon etwas aufgewühlter Seegang mit kräuselnden Wogen. In dieser Mischung aus Süß- und Salzwasser leben auch seltene Süßwasserdelfine – noch so eine Besonderheit des Mündungsdeltas Sine-Saloum.

Senegal, Westafrika

  • Die Kleinfischerei, die Küstenfischerei, liefert in Senegal 80 Prozent des lokalen Fischangebots und trägt 11,1 Prozent zu Senegals Bruttoinlandsprodukt bei.
    Senegal hat 17,2 Millionen Einwohner.
  • Zwei Millionen Arbeitsplätze hängen am Fischfang; 600000 Menschen leben direkt vom Fischfang, vier Fünftel davon, 480000, sind Frauen in der Weiterverarbeitung.
  • Fisch ist traditionelles Lebensmittel in Senegal, ein Hauptgericht, und Haupterwerbssektor für zahlreiche Familien. 

Frühmorgens fahren die Fischer in ihren buntbemalten Pirogen hinaus ins Delta oder noch weiter hinaus aufs Meer, um den Fischen zu folgen. Konflikte sind dabei programmiert, denn draußen auf dem Meer sind die Flotten der Hochseefischerei unterwegs – und die wiederum kommen mitunter nah an die Küsten. Aber ganz so eindeutig – die Kleinfischer als die benachteiligten Guten, die Großfischer als die vermeintlich Bösen – ist das dann doch nicht. Die Kleinfischer mit ihren Pirogen würden viel zu weit rausfahren, beschweren sich Großfischer; deren Trawler beachten die 6-Meilen-Schutzzone nicht und fahren zu nah an die Küsten, klagen Kleinfischer. Es sei schwierig, auf offener See die Distanzen zu berechnen, heißt es zugunsten der Kleinfischer, die freilich eine 12-Meilen-Zone besser fänden, in die Trawler nicht fahren dürfen sollten.

Die offizielle Sicht

Beide Positionen sind richtig, beide sind konfliktträchtig. Und offen darüber zu sprechen ist auch nicht ganz einfach. „Es gibt keine direkten Konfrontationen“, sagt etwa Diene Faye, Direktor in Senegals Ministerium für Fischerei. Er erklärt: „Mithilfe der Kennzeichen lassen sich Boote identifizieren“, die Angst vor Strafen und Justizverfahren trage dazu bei, Verstöße und Konflikte zu vermeiden. Viel lieber betont Faye die Erfolge der senegalesischen Regierungen: Schon seit 1998 werden die Fischer in die politischen Entscheidungen einbezogen, werden dezentrale Entscheidungswege wichtiger. Senegal sei schließlich ein wichtiges Exportland für Fisch – nach Europa, Asien und nach anderen afrikanischen Ländern, Mali etwa oder Burkina Faso. 400 000 Tonnen Fisch gingen jährlich in den Export, 80 Prozent davon stellten die Kleinfischer.

Fisch als Fischfutter

Wie viel Fisch nach Deutschland geht? So genau sind die Statistiken dann doch nicht, sagt Faye; exportiert wird der Fisch nach Europa aber als Fischfutter. Als Fischfutter? Ja, als Futter etwa für die Lachsfarmen in Norwegen. Und dann schildert Faye die Vielfalt der Fischwelt vor der Küste Senegals, betont, dass seit dem Jahr 2006 in Senegal keine Lizenzen mehr vergeben werden für das Fischen bestimmter Fischarten, und verspricht sich dann doch: Die älteren Lizenzen von vor 2006 nämlich werden weiter verlängert, deren Besitzer dürfen in den Küstenbereich fahren, dort kann es doch somit zu Konflikten mit Kleinfischern kommen.
„Bien sûr, na klar gibt es solche Probleme“, sagt dazu später ganz offen Mamadou Thiam. Er vertritt als Berater in der Regionalen Entwicklungsagentur Fatick nicht nur die Interessen der Projektpartner der Regierung, sondern auch der Fischer – kurzum: ein Mann, der im Leben steht und weiß, wovon er spricht. Die Kleinfischer fahren mit ihren Pirogen sehr weit hinaus, sagt Thiam freimütig, sehr, sehr weit, viel weiter als bis zur 6-Meilen-Grenze, die sie vor den Trawlern der industriellen Hochseefischer schützen soll.

Konflikte um Netze

Gewinnträchtige alte Lizenzen – eine Steilvorlage für Korruption, mutmaßen die einen, anhaltenden Bedarf des Staates nach Lizenzgebühren vermuten die anderen. Es sei schwierig, an konkrete Daten zu kommen, beklagen die Journalisten Bachir Ndoye vom Radiosender FM Rufisque und Babacar Guèye Diop von der Tageszeitung „Bes Bi le Jour“, der jüngst mit dem Preis für den besten Pressetext 2022 in Senegal ausgezeichnet wurde. Sie können zwar ungehindert regierungskritisch schreiben, aber Transparenz sei seitens der Regierungsvertreter nicht zu erwarten. Und von wegen Kontrolle der Boote – nachts oder auf offener See sei diese gar nicht möglich.

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Fischfang in Senegal - unterwegs im Sine-Saloum

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Ndoye und Diop argumentieren sachlich und bestätigen, dass das Eindringen größerer Schiffe in nahe Küstenbereiche zunehmend verringert wurde und die Lizenzbegrenzung seit dem Jahr 2006 dem Staat Senegal viel Geld kostet. Beide erläutern auch, wie die größeren Konflikte auf dem Meer tatsächlich aussehen: Industriefischer legen große Netze, Schleppnetze, die bis zum Meeresboden reichen. Kleinfischer werfen Netze oberflächennah – und damit anfällig für Zerstörungen durch Fischtrawler. Und beide, Ndoye wie Diop, lehnen die von Kleinfischern geforderte Ausweitung der Schutzzone auf zwölf Meilen ab – das würde ihres Erachtens nur zu Überfischung führen.

Es ist schon kompliziert. Ndoye und Diop erklären, dass die Binnennachfrage nach Fisch in Senegal gar nicht gestillt werden kann, weil zu viel in den Export geht. Im Ausland sind die Preise besser, also warum sollten Fischhändler nicht dorthin verkaufen? Und würde die Regierung die Exporte drosseln, entgingen ihr Zolleinnahmen. Sie könnte dafür die Preise im Land erhöhen, aber das träfe die Gesamtheit der Senegalesen, denn Fisch ist Nationalgericht. Und die Ernährungsgewohnheiten verändern und Lebensmittelalternativen bewerben – ein aussichtsloses Unterfangen.

Weite Wege durch den Schlick

Es geht aber nicht nur um Fisch, sondern auch um Austern, Krebse, Muscheln, Krabben. Wegen des Klimawandels müssen die Frauen, die im breiten, mitunter nicht allzu tiefen Delta Krebse fangen und Austern von den üppig beladenen Mangrovenbäumen sammeln, neuerdings weit hinaus ins Delta waten, durch Schlamm und Schlick mit gelegentlichen Untiefen. Bisweilen so weit, dass sie selbst Pirogen brauchen, um noch Meeresfrüchte finden zu können.

Das ist der Fischmarkt von Fimla, im Norden des Deltas schon etwas landeinwärts an einem Seitenarm gelegen. Die Fische werden zugleich in der Sonne getrocknet, und die Vielfalt des Angebots schließt kleine Rochen oder Meeresschnecken mit ein. © Loimeier


Das Problem dabei, sagt Thiam, ist auch der Rückgang der Mangrovenwälder wegen des Klimawandels. Dadurch wird der Lebensraum der Austern und Fische kleiner, die Böden versalzen und versanden, und Fischer und Fischerinnen gehen immer weiter hinaus aufs Wasser, egal ob Fluss oder Meer.
Dabei ist der Rückgang der Mangroven auch auf die Austernfischerei selbst zurückzuführen. Lange wurden die Mangrovenäste mit Austernbestand einfach abgeschnitten und dann an Land abgeerntet – das ist weniger mühsam als die Plackerei im Wasser mit der schweren Ernte auf dem Rücken. Und auch der Tourismus im Delta ist dabei wenig förderlich – weniger wegen der Bootsfahrten durch das Mangrovengebiet, um Vögel zu beobachten, sondern wegen ufernaher Hotelbauten und der Umweltverschmutzung. Aber auch da tun sich wieder strukturelle Hürden auf, verdeutlicht Thiam: Die Küsten sind im Staatsbesitz, die lokalen und regionalen Behörden können nur Empfehlungen für Ökotourismus aussprechen und haben keine Entscheidungsbefugnis über die (Nicht-)Bebauung von Ufergebieten.

Internationale Projekte

Hier greifen Projekthilfen internationaler Organisationen wie Welternährungsorganisation (FAO), World Wildlife Fund (WWF), Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) oder Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP). Die Non-Profit-Organisation Conservation International (CI) wiederum und ein von 179 Staaten getragener Verbund namens Globale Umweltfazilität (GEF) haben im Jahr 2019 für die Küsten Westafrikas die Coastal Fisheries Initiative (CFI) gegründet.

Die Fischer von Fimla bringen ihren Fang an Land, sichern die Reusen und ziehen dann die Pirogen ans Ufer. Für Garnelen gibt es eigene Fangvorrichtungen, die draußen im Wasser verankert und nachts kontrolliert werden. © Loimeier

718 Kilometer zählt die Küste Senegals, allein im Sine-Saloum-Delta gibt es inzwischen elf geschützte Waldgebiete und vier Meeresschutzzonen. Dort fördert die CFI den Erhalt der Mangroven, hat in den Jahren 2020/21 gemeinsam mit lokalen Behörden und Kommunen rund 175 Hektar neuen Mangrovenbestand ermöglicht und plant weitere 290 Hektar.

Die Fischerinnen von Toubacouta – dem Tor zur Region Sine-Saloum – haben für ihre Austernzucht Holzgestelle gebaut und entlang der Mangrovenufer errichtet. Aber trotz der Ufernähe ist das Waten durch den Schlickboden des Flusses kein Spaziergang. © Loimeier

Die Fischerinnen haben sich seither organisiert und damit begonnen, Mangrovenbestände wiederaufzuforsten. Aber auch kleine Fischfabriken sind entstanden, um in der Weiterverarbeitungskette den Fang besser zu kühlen, zu lagern und zu verkaufen. Fisch wird jetzt nicht nur getrocknet, sondern auch geräuchert, vieles wird eingedost, eingeschweißt, zu Suppen verarbeitet und direktvermarktet. Dabei geht es auch um Wissensvermittlung, um die Grundlagen einer Kosten- und Gewinnrechnung zum Beispiel.

Wertvolle Schutzzonen

Klar ist neuerdings aber auch: Meeresschutzgebiete wirken sich nicht nur auf Kleinfischerei innerhalb, sondern auch auf die Fischbestände außerhalb von Schutzzonen förderlich aus. Zu dieser Erkenntnis kamen jüngst Sarah Medoff und John Lynham von der University of Hawaii, die mit Jennifer Raynor von der University of Wisconsin Daten aus den Jahren 2010 bis 2019 zum Fischbestand im Pazifik ausgewertet haben. Zwar schreiben sie, dass ihre Daten nicht notwendig auf alle Meeresgebiete übertragbar seien; ihre Daten liefern aber die Grundlage dafür, im Schutz von Fischgebieten weniger Beschränkung zu sehen als vielmehr Artenerhalt und Fischreichtum.

Die Reise erfolgte auf Initiative der Deutschen Gesellschaft der Vereinten Nationen. Nach einem Bewerbungs- und Auswahlverfahren wurden fünf Journalisten bei finanzieller Eigenbeteiligung eingeladen.
 

Redaktion Geschäftsführender Redakteur und Mitglied der Chefredaktion

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