Berlin. Die Mehrwertsteuersenkung ist das Herzstück des geplanten Konjunkturpakets der großen Koalition. Umso mehr wird darüber jetzt diskutiert – auch unter denen, die es selbst geschnürt haben. Die Formulierung ist eindeutig: „Zur Stärkung der Binnennachfrage in Deutschland wird befristet vom 1.7.2020 bis zum 31.12.2020 der Mehrwertsteuersatz von 19 auf 16 Prozent und von 7 auf 5 Prozent gesenkt.“ Darauf hatten sich die Spitzen der Großen Koalition nach langen Verhandlungen am späten Mittwochabend geeinigt.
Das umfängliche Beschlussdokument mit insgesamt 57 Einzelmaßnahmen zur Ankurbelung der Konjunktur war allerdings noch druckfrisch, als einer der Mitunterzeichner, CSU-Chef Markus Söder, schon wieder davon abwich: Falls sich die Wirtschaft nicht erhole, könne es sein, dass man die Mehrwertsteuersenkung verlängern müsse, erklärte Söder. Dem widersprach die Kanzlerin am Donnerstagabend vehement. Bei einer längeren Laufzeit würde man „solche Schulden machen, die nicht vertretbar sind“, argumentierte Angela Merkel (CDU) im ARD-Fernsehen.
Im Übrigen habe ein Konjunkturprogramm grundsätzlich eine begrenzte Laufzeit, so die Regierungschefin. Ihr Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vertrat exakt die gleiche Linie, was aber seinen Parteifreund Rolf Mützenich nicht davon abhielt, in Söders Horn zu blasen. In einem Interview gefragt, ob er eine Verlängerung der reduzierten Umsatzsteuer ausschließe, antwortete der SPD-Fraktionsvorsitzende: „Man kann in der jetzigen Situation gar nichts ausschließen. Wir werden auch Nachsteuern müssen.“ Mützenich saß bei den Verhandlungen über das Konjunkturpaket ebenfalls mit am Tisch.
Der FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke hält den gemischten Chor im Regierungslager konjunkturpolitisch für kontraproduktiv: „Der nachvollziehbare Ansatz der Regierung ist, Konsum vorzuziehen, um dadurch die Wirtschaft wieder zu stabilisieren. Wer jetzt aber erklärt, dass der Mehrwertsteuersatz über das Jahr 2020 hinaus unverändert niedrig bleiben könnte, der sorgt dafür, dass private Konsumentscheidungen nicht vorgezogen werden“, sagte Fricke dieser Redaktion. Für den Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Sebastian Dullien, macht die Befristung schon aus Kostengründen Sinn. „Würde man die nun reduzierten Sätze beibehalten, würde das pro Jahr den Fiskus etwa 40 Milliarden Euro kosten“, rechnete Dullien vor.
Wäre die Senkung dauerhaft, würde auch der Vorzieheffekt wegfallen. Allerdings gebe es dann auch „keinen Rückschlag in 2021“, sagte der Ökonom unserer Redaktion. „Die Hoffnung wäre, dass die Wirtschaft 2021 insgesamt wieder besser läuft und den etwas schwächeren Konsum verkraften kann“, meinte Dullien.
Bleibt die Frage, ob die Unternehmen die Steuersenkung wirklich an die Verbraucher weiterreichen. Die schon länger beschlossene zeitweilige Mehrwertsteuersenkung auf Speisen in Restaurants jedenfalls wollte die Bundesregierung noch ausdrücklich als Hilfe für die Gastronomen verstanden wissen. Für Restaurantbesucher sinken die Preise demnach also nicht. Dullien erwartet, dass die allgemeine Steuersenkung den Verbrauchern nur zum Teil zugutekommen wird. „Weitgehend weitergegeben werden dürfte sie im Handwerk, wenn Nettopreise ausgehandelt werden und möglicherweise bei sehr teuren langlebigen Konsumgütern wie Autos.“
In anderen Bereichen dagegen würden viele Betriebe davon absehen, nur für sechs Monate neue Preislisten zu drucken, so der Ökonom.
Seit der Einführung des geltenden Mehrwertsteuersystems am 1. Januar 1968 kannte die Umsatzsteuer nur eine Richtung: nach oben. Zu Beginn lag sie bei zehn Prozent, wenige Monate später bei elf Prozent. Weiterer Erhöhungen folgten. Seit 2007 liegt der allgemeine Satz bei 19 Prozent.
Auch der ermäßigte Satz betrug anfangs nur fünf Prozent. Seit 1983 sind es sieben Prozent. Die Mehrwertsteuer ist unter allen Steuerarten die ergiebigste Einnahmequelle für den Staat. Im vergangenen Jahr lag das Aufkommen bei gut 243 Milliarden Euro. Das waren knapp ein Drittel aller Steuereinnahmen in Deutschland.