Berlin. Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) ist im Dauerstress. Er flog vergangene Woche zweimal von Berlin nach New York und zurück, am Montag ging es nach Polen, die nächsten Auslandsreisen stehen bevor. Beim Interview im Luftwaffen-Airbus A350 erklärt der CDU-Politiker die Bedrohung durch Russland, den Krieg in der Ukraine und Friedenspläne für den Gazastreifen.
Herr Wadephul, Russland verschärft seine Provokationen gegen die Nato, auch gegen Deutschland. Nach den neuen Drohnen-Vorfällen sind viele Bürger besorgt. Sie auch?
Johann Wadephul: Wenn wir unbesorgt wären, wären wir unaufmerksam. Das können wir uns nicht erlauben. Aber das heißt nicht, dass man sich von Sorge zerfressen lassen muss. Wir müssen aufmerksam sein und reaktionsfähiger werden. Das ist ein Prozess. Aber in der Analyse des russischen Verhaltens sind wir sehr klar.
Wie lautet die Analyse?
Wadephul: Russland testet uns jetzt und möchte wissen, was wir uns gefallen lassen. Es sind Eingriffe in unsere Souveränität, deshalb müssen wir reagieren können. Gerade im Bereich der Luftverteidigung werden wir zusätzliche Fähigkeiten aufbauen.
Die bisherigen Reaktionen scheinen Putin nicht beeindruckt zu haben. Müsste man nicht abschrecken?
Wadephul: Ich finde, wir haben sehr angemessen reagiert. Jetzt zu überziehen wäre ein Fehler. Wir erleben es ja schon bei der verbalen Auseinandersetzung, dass Russland versucht, den Spieß umzudrehen – das wäre erst recht der Fall, wenn wir jetzt mit Waffengewalt reagieren würden. Es ist ja gerade das Ziel von Putin, Unruhe zu stiften. Die beste Antwort darauf ist, ruhig zu bleiben. Gleichzeitig darf man nicht davon ausgehen, dass Putin einfach so zurückstecken wird. Wirkungsvolle Abschreckung setzt voraus, dass wir uns zum einen technisch dafür ausrüsten. Im Inland müssen wir zudem auch die rechtlichen Grundlagen schaffen, um etwa Drohnen abzuwehren. Daran arbeitet jetzt das Bundesinnenministerium mit entsprechenden Gesetzentwürfen.
Zur Person
- Johann Wadephul (CDU) ist seit Mai 2025 Bundesaußenminister .
- Zuvor war er Vize-Fraktionschef der Union im Bundestag. Seit 2009 ist er Mitglied des Parlaments.
- Wadephul wurde 1963 in Husum an der schleswig-holsteinischen Nordsee geboren . Der promovierte Jurist hat in Kiel studiert und ist Fachanwalt für Medizin- und Sozialrecht .
- Er ist Oberstleutnant der Reserve, verheiratet und hat drei Töchter . mark
Erhält die Bundeswehr mehr Befugnisse zum Drohnen-Abschuss?
Wadephul: Das muss nicht zwangsläufig die Bundeswehr sein. Wenn Drohnen über kritischer Infrastruktur in Deutschland kreisen, dann ist das zuallererst Gefahrenabwehr. Das kann auch die Polizei machen. Man muss es klären, ob die Landes- oder die Bundespolizei reagieren soll, auf welcher rechtlichen Grundlage und mit welchen technischen Mitteln. Wir müssen wissen, was wir können und was wir dürfen, wenn derartige Dinge passieren.
Hat die Bedrohungslage Konsequenzen für den neuen Wehrdienst?
Wadephul: Ich bin für die sofortige Wehrpflicht! Aber das müssen wir in der Koalition miteinander besprechen. Die Regierung hat Vorschläge gemacht, jetzt sollen die Fraktionen verhandeln und entscheiden, wie das Gesetz aussieht. Und dabei sind natürlich die Gesamtumstände zu berücksichtigen.
US-Präsident Trump traut der Ukraine große Rückeroberungen zu. Ist diese Kehrtwende belastbar?
Wadephul: Für die Ukraine ist das ein Hoffnungszeichen. Präsident Trump und mit ihm die US-Administration haben feststellen müssen, dass Russland den Krieg fortführt, obwohl Trump ja mit dem Alaska-Gipfel schon erhebliche Anstrengungen unternommen hat, um den Krieg zu beenden. Trump lässt sich nicht an der Nase herumführen. Ich gehe davon aus, dass die USA Sanktionen gegen Russland verhängen werden. Es gibt verschiedene Pakete und Vorschläge, die die USA schon gebündelt haben. Europa bereitet unabhängig davon eine Verschärfung seiner Sanktionen vor.
Geht es am Ende doch um eine Verhandlungslösung?
Wadephul: Praktisch jeder Krieg endet mit einer Verhandlungslösung. Die Frage ist nur, zu welchen Konditionen. Die Ukraine hat bereits gezeigt, dass sie russisch besetzte Gebiete zurückerobern kann. Ob und in welcher Weise das möglicherweise für das gesamte ukrainische Staatsgebiet gilt, halte ich heute für spekulativ. Es geht nicht darum, eine jahrelange Fortsetzung des Krieges zu fördern, sondern zu erreichen, dass möglichst schnell die Waffen schweigen und das Sterben aufhört.
Deutschland will mehr Verantwortung übernehmen in der Welt. Was heißt das für uns?
Wadephul: Unsere Interessen in der Welt zu wahren, hat einen Preis. Der Preis, das nicht zu tun, ist aber viel höher. Die Vereinten Nationen leiden darunter, dass sich andere zurückziehen, insbesondere die USA. Das darf Deutschland als zweitgrößter Geber nicht auch noch machen. Wir werden die USA nicht ersetzen können, aber wir sollten schauen, wo es sinnvoll ist, eine Schippe draufzulegen. Aus deutscher Sicht ist es gut angelegtes Geld, in die regelbasierte Ordnung zu investieren.
Muss das Konsequenzen für den nächsten Bundeshaushalt haben?
Wadephul: Daran muss tatsächlich noch gearbeitet werden, das ist Gegenstand der Haushaltsberatungen. Wir müssen prüfen, ob wir mehr in unsere weltweiten Interessen investieren können. Humanität und deutsche Interessen sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Die Gefahrenabwehr und das Verhindern von weiteren Flüchtlingsströmen ebenso. Wir können diese Punkte miteinander verbinden, wenn wir unser Interesse an umfassender Zusammenarbeit deutlich machen. Es eröffnen sich auch große Chancen für Deutschland, eben weil sich andere aus ihrem Engagement zurückziehen. Diese Chancen müssen wir ergreifen, etwa durch Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik, aber auch wirtschaftlich, bei der Versorgung unserer Unternehmen mit Rohstoffen, etwa mit seltenen Erden. Oder indem wir neue Handelspartner gewinnen und neue Absatzmärkte erschließen.
Wie sind die Reaktionen auf ihre Ambitionen zu mehr Verantwortung?
Wadephul: Ich stelle eine große Offenheit gegenüber unserem Land fest. Viele Länder erwarten von uns, dass wir eine Führungsrolle übernehmen. Sie wollen, dass wir uns engagieren und auch in Konflikten vermitteln. Wir werden nicht alle Erwartungen erfüllen können. Ich setze mich aber für einen pragmatischen Ansatz ein, der unsere und die europäischen Interessen definiert und mit den Sorgen und dem Streben anderer Länder verbindet.
Deutschland ist mit der Ablehnung einer Anerkennung Palästinas Außenseiter. Wie bitter ist das?
Wadephul: Wenn unsere Position der Sicherheit Israels dient, dann ist sie richtig. Wir sind in der Frage der Gaza-Politik jedoch sehr klar, wir haben deshalb ja auch das teilweise Waffenembargo gegen Israel verhängt. Und wir haben die Zwei-Staaten-Konferenz in der Sache unterstützt, denn wir sind überzeugt, dass allein die Zweistaatenlösung langfristig Frieden und Stabilität und die Achtung der Menschenrechte auf beiden Seiten gewährleisten kann. Wir haben also eine hilfreiche Position, für Israelis und Palästinenser gleichermaßen. Praktisch alle arabischen Nachbarstaaten erkennen das an und haben während der UN-Generalversammlung das Gespräch mit mir gesucht.
Israel akzeptiert Trumps Plan zur Beendigung des Gaza-Kriegs. Gibt es jetzt einen Waffenstillstand?
Wadephul: Ich bin durch die Entwicklungen der letzten Tage verhalten optimistisch. Der US-Plan für Gaza bietet Hoffnung auf ein Ende der Kämpfe, auf ein Ende des Leids und auf die Freilassung der Geiseln. Diese Chance muss die Hamas nun ergreifen. Wir haben die Verhandlungen von Anfang an mit zahlreichen Gesprächen begleitet. Mit unseren amerikanischen, arabischen und europäischen Partnern eint uns ein gemeinsames Ziel: dauerhafte Sicherheit für Israel und eine politische Perspektive für die Palästinenserinnen und Palästinenser. Gleichzeitig ist klar, dass auch die jetzt vorgeschlagene Lösung nicht unmittelbar umzusetzen sein wird. Es stellen sich sehr viele drängende Fragen des Wie: Wie wird der Gazastreifen zukünftig verwaltet? Wie wird für Sicherheit gesorgt? Wie wird die humanitäre Versorgung wieder hergestellt? Wie wird der Wiederaufbau organisiert? Das wird ein mühsamer Prozess bleiben.
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