Das Wichtigste in Kürze
- Die AfD erreicht im Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen 25 Prozent.
- Die Koalition in Berlin steht in der Kritik und zeigt wenig Einigkeit.
- Deutsche wünschen sich stärkere Besteuerung hoher Einkommen und ein Ende sozialer Einschnitte.
Mannheim. Nach der zweitägigen Klausurtagung in Bayern haben die Koalitionäre den „Geist von Würzburg“ beschworen. Doch dieser hat offensichtlich Berlin nicht erreicht. Nachdem Kanzler Friedrich Merz (CDU) erklärt hatte, dass der Sozialstaat in seiner jetzigen Form nicht mehr finanzierbar sei, keilte Arbeitsministerin Bärbel Bas zurück und nannte das alles „Bullshit“.
Seitdem macht sich die „FAZ“ große Sorgen, weil Merz jetzt als „tumber Tor“ dastehen würde. Inzwischen haben sich die zwei Streithähne ausgesprochen, beim gemeinsamen Abendessen ein, zwei Bier zusammen getrunken und duzen sich sogar. Und natürlich soll es in Zukunft insgesamt mit der Kommunikation und dem Umgang miteinander besser laufen. Das zumindest haben Union und SPD nach der Tagung des Koalitionsausschusses in dieser Woche den Menschen versprochen.
Dass sie sich daran halten werden, bezweifelt aber die Mehrheit der Deutschen. 55 Prozent erwarten nicht, dass die Bündnispartner künftig gut zusammenarbeiten werden. Im aktuellen Politbarometer der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen lassen die Befragten ihrem Frust über die Arbeit der schwarz-roten Koalition freien Lauf. Erstmals in der – zugegeben noch jungen – Legislaturperiode steigt die Anzahl der Unzufriedenen mit der Arbeit der Bundesregierung auf mehr als die Hälfte. Gespalten sind die Wählerinnen und Wähler bei der Beurteilung des Kanzlers. Jeweils 46 Prozent meinen, dass er seinen Job eher gut beziehungsweise eher schlecht macht. Vor zwei Wochen gab es von knapp der Hälfte der Befragten ein positives Zeugnis.
„Bundeskanzler Friedrich Merz hat keinen Amtsbonus“
„Die Zahlen machen nicht nur deutlich, wie erkennbar die Zerstrittenheit der Koalition in den Augen der Bevölkerung ist. Die Deutschen trauen es ihr auch nicht zu, dass sie sich wieder aufrappeln“, sagt Matthias Jung von der Forschungsgruppe und vervollständigt seine Analyse: „Der Konsens in der Regierung ist nur gering, deshalb werden die wichtigen Themen in Expertenkommissionen geschoben. Der Kanzler hat keinen Amtsbonus. Die lange Tradition des Verweigerns der Wirklichkeit setzt sich auch in dieser Koalition fort.“
Die Unzufriedenheit der Deutschen mit der Bundesregierung schlägt sich natürlich auch in der Sonntagsfrage nieder. Union (27 Prozent) und SPD (15) bleiben unverändert, dagegen macht die AfD einen Sprung von 23 auf 25 Prozent. Damit liegt sie nicht nur noch knapp hinter der CDU/CSU, die AfD erzielt auch noch einen neuen Höchstwert.
„Dass die AfD so gut abschneidet, ist nicht verwunderlich, denn die anderen Parteien haben offensichtlich nichts im Angebot, das die Wählerinnen und Wähler besonders anzieht“, sagt Jung. Ist für die AfD noch mehr drin? „Selbstverständlich sind für alle Parteien Bewegungen in allen Richtungen möglich“, antwortet er. Jung betont aber: „Umfragen sind ja keine Wahlergebnisse. Es gibt deshalb in dieser Zwischenwahlphase keinen Entscheidungszwang. Diese ist aber immer stärker von einer Proteststimmung geprägt, die extreme Parteien wie die AfD besser bündeln können.“
Richtig interessant wird es deshalb nach Jungs Analyse, wenn die Wähler „Farbe bekennen müssen“. Dazu werden sie aber 2026 mehrere Gelegenheiten bekommen. Im Super-Wahljahr stehen gleich fünf Landtagswahlen an: Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. In diesem Jahr gibt es aber „nur“ eine Kommunalwahl, die nächstes Wochenende im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen auf dem Programm steht. „Bei Kommunalwahlen spielt die Situation in der einzelnen Stadt oder Gemeinde eine besonders große Rolle. Und außerdem liegt NRW ja im tiefen Westen, da ist die AfD eben nicht ganz so stark“, sagt Jung. In den bisherigen Umfragen der Meinungsforschungsinstitute müssen CDU und SPD mit Verlusten rechnen, die AfD würde sich verbessern, aber unter 20 Prozent bleiben.
Der erste Stimmungstest nach der Bundestagswahl hat für Jung keine so große Aussagekraft. Im Prinzip findet er es zweifelhaft, wenn Wahlforscher die Einzelergebnisse in den Kommunen landesweit hochrechnen. Die Forschungsgruppe macht solche Umfragen nicht und hat deshalb auch am 14. September frei.
Mehrheit will die Reichen stärker besteuern
Aber zurück zum Politbarometer. Bei der Frage, ob die Bundesregierung die Wirtschaft wieder ankurbeln kann, überwiegt inzwischen der Pessimismus. Dabei glaubten direkt nach Antritt der Regierung im Mai knapp zwei Drittel, dass die Koalition das schafft, im Juli waren es immerhin 54 Prozent, aktuell sind es 47 Prozent.
In der Sozialpolitik fällt das Urteil der Befragten über die Koalition fast schon vernichtend aus. 72 Prozent trauen es ihr nicht zu, die Probleme im Gesundheitswesen zu lösen. Ähnlich hoch ist mit 75 Prozent die Erwartung, dass Schwarz-Rot keine Reformen bei der Rente und der Alterssicherung in Angriff nimmt.
Und wie steht es um die soziale Gerechtigkeit? Die Antwort darauf birgt politischen Sprengstoff. Für mehr als zwei Drittel der Deutschen überwiegt die Ungerechtigkeit. 68 Prozent sind der Meinung, dass hohe Einkommen stärker besteuert werden sollten. Nur in den Reihen der AfD und der FDP gibt es da gegenteilige Meinungen. 52 Prozent sind gegen soziale Einschnitte, 40 Prozent dafür.
Eine klare Meinung haben die Deutschen auch beim freiwilligen Wehrdienst. 61 Prozent – darunter 79 Prozent der unter 35-Jährigen – sind dafür, allerdings glauben 72 Prozent der Befragten, dass dadurch nicht genügend Soldaten für die Bundeswehr gewonnen werden können. Übrigens fordern 53 Prozent der Befragten, dass sich Deutschland mit der Bundeswehr beteiligen sollte, falls eine Waffenruhe zwischen Russland und der Ukraine durch europäische Truppen abgesichert werden müsste. Aber das ist ja noch längst nicht spruchreif.
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