Mannheim. Krebs – kaum eine Diagnose macht so viel Angst wie diese. Kein Wunder: Trotz aller Forschungen und Erfolge gehört Krebs noch immer zu den häufigsten Todesursachen weltweit. Doch nicht immer ist eine Erkrankung Schicksal. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg betonen anlässlich des Weltkrebstages am 4. Februar: Mehr als die Hälfte der Fälle – möglicherweise sogar bis zu drei Viertel – können durch einen gesunden Lebenswandel und Früherkennung verhindert oder in einem frühen Stadium besiegt werden.
Lebensstil
„Wir müssen Krebserkrankungen vermeiden, bevor sie entstehen“, betont Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender des DKFZ. Ganz oben steht der Verzicht aufs Rauchen, mit dem jede fünfte Krebserkrankung verhindert werden könnte (siehe Grafik). Es folgen ungesunde Ernährung, das damit verbundene Übergewicht und Bewegungsmangel.
Auf Platz fünf folgen Infektionen. So könnten beispielsweise viele Fälle von Gebärmutterhals- und Leberkrebs durch Impfungen gegen Humane Papillomviren und Hepatitis verhindert werden. Weitere Krebs auslösende Faktoren sind Alkoholkonsum und Umwelteinflüsse. „Insgesamt könnten so fast 40 Prozent der Krebsfälle gar nicht erst auftreten“, sagt Baumann. Er kritisiert, dass nur ein kleiner Teil der Forschungsgelder in Prävention fließt, „obwohl damit sehr große Effekte erzielt werden könnten“.
Früherkennung
Ein weiterer wichtiger Ansatz ist die Früherkennung, nach dem Motto: früh erkannt, früh behandelt. Denn da sind sich die Expertinnen und Experten einig: Je früher ein Tumor entdeckt wird, desto größer ist die Chance, dass er geheilt wird. Wichtig ist hier vor allem, dass Patientinnen und Patienten wirklich profitieren. „Was wir wollen, ist eine frühere Diagnose, die zu mehr Lebenszeit führt“, betont Susanne Weg-Remers, die Leiterin des Krebsinformationsdienstes am DKFZ. Nicht erstrebenswert sei es hingegen, wenn eine betroffene Person nicht länger lebt, aber früher von der Krankheit weiß.
Brustkrebs-Screening
Das wohl bekannteste Früherkennungsprogramm in Deutschland ist das Brustkrebs-Screening. Alle Frauen zwischen 50 und 69 Jahren erhalten alle zwei Jahre eine Einladung für eine Röntgenuntersuchung der Brust, die Mammographie. Zwar zeigen die Zahlen, dass einige profitieren – bei sechs von 1000 Frauen wird ein Tumor entdeckt. Allerdings hat das Screening Grenzen, so genannte falsch-positive Ergebnisse.
Immerhin 24 von 1000 Frauen erhalten einen auffälligen Befund und müssen diesen abklären lassen, obwohl sie keinen Krebs haben. Das ist für Betroffene unnötig belastend.
Deswegen versuchen Krebsforschende inzwischen Algorithmen zu entwickeln, um Risikopatientinnen herauszufiltern. Ihnen könnte die Mammographie eines Tages etwas häufiger, Frauen mit niedrigem Risiko seltener angeboten werden, vermutet Weg-Remers.
Darmkrebs-Screening
Ebenfalls bekannt ist das Darmkrebs-Screening, das in Deutschland seit vielen Jahren angeboten wird. Ab 50 Jahren gibt es einen Anspruch auf einen Test auf Blut im Stuhl. Männer ab 50 und Frauen ab 55 Jahren können außerdem alle zehn Jahre eine Darmspiegelung machen lassen. „Das hat dazu geführt, dass Darmkrebs seit einigen Jahren rückläufig ist“, freut sich Krebsforscher Michael Hoffmeister. Allerdings ist noch deutlich Luft nach oben, nur 20 Prozent der Bevölkerung nehmen tatsächlich das Screening in Anspruch. „Wir brauchen eine deutlich höhere Teilnahme“, fordert Hoffmeister. Das Gute an der Darmspiegelung: Dabei werden tatsächlich Vorstufen erkannt, eine Krebserkrankung kann also verhindert werden.
Lungenkrebs-Früherkennung
Lungenkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Männern – die Heilungschancen sind bescheiden. Entsprechend hofft die Wissenschaft mittels Früherkennung durch Computertomographie Leben retten zu können. Große Studien hätten gezeigt, dass die Sterblichkeit durch Früherkennungsprogramme um etwa 16 Prozent gesenkt werden könne, sagt Rudolf Kaaks, der sich mit seiner Abteilung Epidemiologie von Krebserkrankungen unter anderem der Vorbeugung verschrieben hat. Doch „das Screening hat auch Risiken, etwa falsch-positive Befunde und die Strahlenbelastung“, weiß er.
Deswegen wird es nur bei Menschen mit hohem Risiko durchgeführt, je nach Studie etwa bei Patienten und Patientinnen, die mindestens 20 oder 30 Jahre eine Packung Zigaretten am Tag geraucht haben. „Allerdings werden die Packungsjahre stark diskutiert“, schränkt Kaaks ein und sein Kollege von der Radiologie Stefan Delorme ergänzt: „Wir müssen das noch optimieren.“ Ihm schwebt ein organisiertes Screeningprogramm für Menschen mit hohem Krebsrisiko vor. Untersuchungen asymptomatischer Patienten ohne Qualitätssicherung und ohne eine Abklärung nach medizinischen Leitlinien beim Radiologen findet er hingegen „extrem riskant“.
PSA-Screening
Der PSA-Wert, der einen Hinweis auf Prostatakrebs geben kann, ist schon lange bekannt – ein Screening-Programm aber gibt es nicht. Die Politik in Deutschland kümmere sich einfach nicht, kritisiert Peter Albers, Urologie-Professor in Düsseldorf und Leiter der Abteilung Personalisierte Früherkennung des Prostatakarzinoms. Der Experte findet deutliche Worte. „Wir haben in Deutschland eine völlig unsinnige Früherkennungsstrategie, das ist die Tastuntersuchung.
Doch damit finden wir nicht, was wir finden wollen“, sagt er mit Blick auf das von den Krankenkassen bezahlte Abtasten der Prostata durch den Enddarm.
Viel effektiver sei hingegen der Nachweis des Enzyms PSA im Blut – bei Auffälligkeiten kombiniert mit einem MRT. „Wir wissen seit mehr als zehn Jahren, dass wir durch ein PSA-Screening das Sterberisiko um zehn Prozent senken können“, sagt Albers.
Das Problem: Es gibt auch viele andere Faktoren, die zu einem erhöhten PSA-Wert führen können. Sprich: Die Falsch-Positiv-Rate ist hoch. Trotzdem wirbt Albers für ein Screening, das zwischen 40 und 50 Jahren beginnt. Wer einen sehr niedrigen PSA-Wert habe, bei dem reiche ein erneuter Test fünf Jahre später aus, bei einem mittleren Wert sei eine Wiederholung in zwei Jahren sinnvoll.
Wer einen hohen PSA-Wert habe, sollte eine MRT-Untersuchung erhalten, auch eine Biopsie könne sinnvoll sein. Eines ist dem Experten besonders wichtig: „Wir brauchen ein organisiertes Screening.“ Das bislang praktizierte „wilde, opportunistische Screening“ führe zu nichts und senke auch nicht die Sterblichkeit.
Hautkrebsscreening
In Deutschland haben alle gesetzlich Versicherten ab 35 Jahren alle zwei Jahre Anspruch auf eine Hautkrebs-Früherkennung. Sehr häufig werden dabei Vorstufen erkannt – und zwar bevor es zum Krebs kommt. Studien zeigen allerdings, dass zum einen nicht alle bösartigen Hautveränderungen rechtzeitig diagnostiziert werden. Doch auch eine Überbehandlung kommt vor. „Leider gibt es viele Eingriffe, die nicht sein müssen“, kritisiert DKFZ-Wissenschaftler Titus Brinker. Experten untersuchen nun, ob Künstliche Intelligenz (KI) bei der Diagnose helfen kann. Die KI sei zwar systematisch besser als das hautfachärztliche Screening, allerdings mache auch sie Fehler, sagt Brinker. Er geht davon aus, dass eine KI-unterstützte Untersuchung durch Fachärztinnen und -ärzte in Zukunft die besten Ergebnisse bringen kann.
Bluttest auf Krebs
Tatsächlich gibt es schon heute einige Bluttests zur Krebsfrüherkennung. Darunter ist etwa der „Galleri“-Test, der von der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA als bahnbrechendes Produkt eingestuft wurde. Er erkennt laut Hersteller 50 Krebsarten schon im Frühstadium. Expertin Susanne Weg-Remers ist trotzdem noch zurückhaltend. „Die Bluttests sind derzeit keine Alternative zur gesetzlichen Früherkennung“, betont sie. Zwar hätten erste Studien gezeigt, dass sie sehr zuverlässig erkennen, wenn man nicht erkrankt ist.
Anders herum ist es mitunter schon schwieriger, etwa wenn nach einem positiven Ergebnis der Tumor trotz aller Suche nicht gefunden werden kann. Weg-Remers betont auch hier: Was zählt ist, dass die Patienten mehr Lebenszeit erhalten, nicht, dass sie früher Patienten werden. Mit Blick auf die Bluttests seien erst Studien unter „Real World“-Bedingungen nötig.
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