Landtagswahl (mit Videos)

Kretschmann kann sich kürzere Ferien wegen Corona vorstellen

Von 
Karsten Kammholz und Peter Reinhardt
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Für den Grünen-Spitzenkandidaten in Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, ist es ein ungewöhlich anstrengender Wahlkampf. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg sorgt sich um seine an Krebs erkrankte Frau und muss die Corona-Pandemie managen.

Herr Ministerpräsident, die Grünen werden gerade mit Angeboten möglicher Koalitionspartner überschüttet. Kann man sich eine schönere Ausgangslage so kurz vor der Wahl wünschen?

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Ministerpräsident Kretschmann erklärt, warum er für kürzere Sommerferien ist

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Winfried Kretschmann: Ich bin da sehr zurückhaltend, weil ich die Umfragen mit großer Skepsis sehe. Wir müssen abwarten, was am 14. März tatsächlich rauskommt. Ich gehe mit großer Demut auf diesen Termin zu. Niemand weiß, wie sich die Pandemie auf das Wählerverhalten auswirkt.

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Derzeit wächst der Ärger bei den Bürgern über die Corona-Einschränkungen. Droht diese Landtagswahl zu einer Frustwahl zu werden?

Kretschmann: Das ist nicht ausgeschlossen. Den Einen machen wir zu wenig gegen die Pandemie und den Anderen ist es zu viel. Diejenigen, die unter den Maßnahmen sehr leiden, machen sich heftig bemerkbar und bestimmen den Geräuschpegel. Inhaber geschlossener Geschäfte schreiben zum Teil harte, bitterböse Briefe. Auch bei vielen Eltern, die sich um ihre Kinder Sorgen machen, liegen die Nerven blank. Das kann ich alles nachvollziehen. Eine Mehrheit ist ja immer noch mit unseren Maßnahmen einverstanden. Aber wie die Stimmung wirklich ist, lässt sich sehr schwer einschätzen.

Wollen Sie den Wählern nicht sagen, wer Ihr Wunschkoalitionspartner ist?

Kretschmann: Nein. Der Zeitpunkt dafür kommt erst nach der Wahl und bei den Sondierungen mit möglichen Partnern. Wenn man sich das in Deutschland anschaut, koaliert eigentlich jeder mit jedem, außer - Gott sei Dank - mit der AfD. Wichtig ist, dass wir eine stabile und verlässliche Koalition bekommen in diesen schwierigen Zeiten.

Mitten im Wahlkampf stehen Sie privat in einer belastenden Situation, weil Ihre Frau erkrankt ist. Wie geht es Ihnen persönlich?

Kretschmann: Wir haben das öffentlich gemacht, um Spekulationen zu vermeiden. Die Diagnose war ein Schock für die Familie. Aber die Operation ist gut verlaufen, inzwischen haben die Anschlusstherapien begonnen. Meine Frau ist zuversichtlich, dass sie wieder gesund wird. Brustkrebs ist heute eine heilbare Krankheit. Im Hinterkopf hat man das trotzdem immer mit dabei.

Woraus ziehen Sie da die Kraft für den Wahlkampf und die Regierungsgeschäfte?

Kretschmann: Meine Kraft hole ich aus den Aufgaben, die vor uns liegen. Und ich halte einen Tag am Wochenende frei, Wahlkampf hin oder her. Auch unter der Woche versuche ich, einen Abend zu Hause zu sein und habe mein Terminprogramm ein bisschen abgespeckt. Wichtig ist, dass ich ordentlich schlafen kann. Das ist nicht immer der Fall.

Wie sehr blutet Ihnen als Lehrer das Herz bei den Schulschließungen?

Kretschmann: Man muss ein wenig aufpassen, dass einem nicht bei allem das Herz blutet. Das sind notwendige Maßnahmen gegen ein fieses Virus, das die Gesellschaft in ihrer ganzen Breite trifft. Am Anfang habe ich viele Klagen auch für etwas übertrieben gehalten. Ich hatte als Schüler Kurzschuljahre und habe es trotzdem zum Ministerpräsidenten gebracht. Aber jetzt, wo es so lange dauert, fängt mein Herz doch an zu bluten. Denn nicht alle Kinder haben die Unterstützung, die sie brauchen. Da können schon tiefe Schäden in der Bildung und auch bei der Psyche der Kinder entstehen. Wir müssen uns verstärkt um diese Kinder kümmern, wenn der Unterricht wieder normal läuft. Das wird eine große Aufgabe.

Wie lassen sich die Defizite aufholen?

Kretschmann: Das ist in erster Linie Aufgabe der Kultusministerin. Ich plädiere dafür, dass wir uns zunächst mit einer systematischen Diagnostik und Lernstandserhebungen einen Überblick über die entstandenen Lücken verschaffen. Zur Behebung der Defizite braucht es zusätzliche Betreuungsangebote und Sonderprogramme. Vielleicht muss man besondere Formen der Nachhilfe organisieren und dazu Nicht-Lehrkräfte heranziehen. Es muss dabei um eine zielgerichtete Förderung gehen und wir müssen die erreichen, die es auch wirklich brauchen. Man könnte an den Ferien ein bisschen was abknapsen, um Unterrichtsstoff nachzuholen. Solche Überlegungen wird man ernsthaft anstellen müssen.

Also kürzere Sommerferien dieses Jahr?

Kretschmann: Darüber könnte man mal nachdenken.

Warum ist es nicht gelungen, beim Homeschooling mehr gemeinsame Standards herzustellen? Die Qualität war ja sehr unterschiedlich von Lehrer zu Lehrer…

Kretschmann: Die Pandemie hat die Schwächen in der Digitalisierung freigelegt. Wir haben da einen enormen Nachholbedarf. Das meiste haben die Schulen aber bravourös hinbekommen. Die Bildungsplattform Ella ist gescheitert. Bis man das neu anfährt, braucht es Zeit. Leider.

2011 und 2016 haben die Grünen auf das Kultusministerium verzichtet. Überlassen Sie den mit diesem Ressort verbundenen Ärger gerne dem Koalitionspartner?

Kretschmann: Im Gegenteil: Das ist ein heiß begehrtes Ministerium. Jeder Koalitionspartner will das einfach haben. Es ist der Kernbereich der Länder und ohne jeden Zweifel das wichtigste Ministerium. Dafür hätten wir sehr viel anderes hergeben müssen. Aber auch das Wissenschaftsministerium ist sehr wichtig, weil Forschung und Wissenschaft eben auch ein starker Hebel für Innovation sind. Wenn ich nicht Ministerpräsident geworden wäre, wäre ich gerne Kultusminister geworden.

Blicken wir mal über die momentane Pandemiesituation hinaus. Haben Sie schon eine Vorstellung, wie groß der Schaden für die Wirtschaft wird?

Kretschmann: Nein. Der ist sehr schwer abzuschätzen. Gastronomie und Handel haben schwer zu kämpfen. Der Staat kann nur Überlebenshilfen geben. Weil niemand fünf Schnitzel auf einmal essen kann, lässt sich da wenig nachholen. Das ist in anderen Bereichen, wo es um größere Anschaffungen geht, anders. Gut möglich, dass es einen Kaufrausch gibt. Oder die Deutschen toppen ihre Reiselust noch mal. Ich bin schon zuversichtlich, dass es zu enormen Aufholprozessen kommt und viele Bereiche einen Aufschwung erleben, weil die Krise ja durch einen externen Faktor verursacht ist.

Sie sehen die Gesundheitswirtschaft als neues Standbein für Baden-Württemberg. Kann dieser Bereich ein Ausgleich für in der Autoindustrie wegfallende Arbeitsplätze werden?

Kretschmann: Ja. Diesen neuen Schwerpunkt haben uns Ökonomen auch empfohlen. Es geht darum, die Grundlagen des Wirtschaftens breiter aufzustellen. Wir haben schon hervorragende Netzwerke in diesem Bereich, alte wie in Tuttlingen, und neue Projekte in der Region Rhein-Neckar. In diesem ganzen Medizinbereich gibt es schon jetzt eine Million Arbeitsplätze. Die Digitalisierung sorgt für eine ungeheure Dynamik - etwa beim Thema personalisierte Medizin oder Künstliche Intelligenz. Das ist ein echter Wachstumsmarkt. Da wollen wir richtig klotzen.

Die Fusion der Universitätskliniken Heidelberg und Mannheim könnte ein Leuchtturm für die Lebenswissenschaften werden. Unterstützen Sie das Projekt?

Kretschmann: Wir haben ja erst kürzlich mit dem Innovationscampus Rhein-Neckar einen starken strategischen Kooperationsverbund zwischen Hochschulmedizin und außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Bereich der Lebenswissenschaften auf den Weg gebracht. Das Vorbild ist das Cyber Valley der Künstlichen Intelligenz (KI) in Tübingen. Mir ist der Hinweis wichtig, dass die Gesundheitswirtschaft breiter angelegt ist. Ich denke da an ein gemeinsames Dach für die Hochschulmedizin, um im Verbund Stärke zu entwickeln. Dann können wir mit den Großen auf der ganzen Welt konkurrieren. Ein gelungenes Beispiel war die Corona-Kinderstudie der vier Universitätskliniken. Die Idee zur Fusion ist ein charmanter Gedanke. Notwendig ist aber ein echter Mehrwert. Dazu sehe ich einige Hinweise. Vor der Entscheidung müssen wir das uns noch genau anschauen.

Wissenschaftsministerin Theresia Bauer plädiert auch für einen Neubau des Mannheimer Klinikums mit Kosten von mindestens 800 Millionen Euro. Wie stehen Sie dazu?

Kretschmann: Wir haben als Land bereits Verantwortung für die Unimedizin Mannheim übernommen und gerade weitere 12,4 Mio. Euro zur wirtschaftlichen Stabilisierung beschlossen. Ein Neubau ist teuer und bedarf sorgfältiger Überlegungen. Da muss ich mich noch bedeckt halten.

Sie stehen als Person für die politische Mitte, Ihre Partei zieht mit scharfen Forderungen zum Klimaschutz in den Wahlkampf. Wie passt das zusammen?

Kretschmann: Gut. Wir haben viel erreicht. Wir können uns allerdings nicht erlauben, dass es inzwischen sieben Jahr von der Idee bis zur Fertigstellung eines Windparks dauert. Wir müssen schneller werden. Sich ehrgeizige Ziele zu setzen, ist richtig. Da unterscheiden wir uns nicht von den jungen Klimaschützern. Wir wollen ein klimaneutrales Baden-Württemberg. Aber es kommt auf die richtigen Instrumente an. Beim CO2-Preis zum Beispiel haben wir unsere Chance genutzt und nachverhandelt, damit er eine Lenkungswirkung erzielt. Wir müssen immer im Blick haben: Klimaschutz muss wirtschaftsfreundlich sein und sozialverträglich. Diese Aufgabe ist für mich der Antrieb, warum ich noch einmal angetreten bin.

Trotz aller Debatten über die Klimawende steigt die Zahl der zugelassenen Autos. Bauen die Grünen mit ihrer Politik auf falschen Annahmen auf?

Kretschmann: Der Umstieg ist zuerst eine Frage der Alternative, vor allem in den Metropolen. Der öffentliche Verkehr muss preiswerter werden. Dann braucht es mehr Radwege. Wir wollen den Kommunen die Möglichkeit geben, über eine Nahverkehrsabgabe die Preise für Bus und Bahn drastisch zu senken.

Was ist Ihr ganz persönlicher Beitrag zum Klimaschutz?

Kretschmann: Ich habe vor 20 Jahren zu den ersten gehört, die eine Photovoltaikanlage auf dem Dach hatten. Das Elektroauto ist bestellt. Aber ich warte jetzt seit einem geschlagenen Jahr auf die Lieferung. Das nächste Projekt ist eine Pelletheizung. Die kommt im Sommer. Dann sind wir privat weitgehend klimaneutral.

Dritte Amtszeit?

  • Seit 2011 ist Winfried Kretschmann Ministerpräsident in Baden-Württemberg. Am 14. März bewirbt sich der 72-Jährige für eine dritte Amtszeit. Bis heute ist der Schwabe der einzige Grüne, der es an die Spitze einer Landesregierung geschafft hat.
  • Der gelernte Lehrer kam 1984 in den Landtag und ist der dienstälteste Abgeordnete. Ende der 1980er Jahre arbeitete er kurz für den damaligen hessischen Umweltminister Joschka Fischer.
  • Kretschmann ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Vor drei Wochen gab er bekannt, dass seine Frau Gerlinde an Brustkrebs erkrankt ist und er deshalb im Wahlkampf kürzer treten will. (pre)

Ehemalige Mitarbeit ehem. Chefredakteur

Korrespondent Landespolitischer Korrespondent in Stuttgart

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