Soziales

Jugendarbeit fehlt Nachwuchs

Corona kann für Verbände und Vereine langfristige Folgen haben, es fehlen bereits Leiter für Freizeiten

Von 
Renate Allgöwer
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Die Pfadfinder in Baden-Württemberg mussten dieses Jahr zum allerersten Mal überhaupt Ferienfreizeiten absagen, weil es zu wenig Betreuer gab. © Jens Kalaene/dpa

Stuttgart. Die Sommerferien sind da. Die Coronabeschränkungen sind aufgehoben. Kinder und Jugendliche wollen endlich wieder etwas mit anderen unternehmen und drängen in Scharen in die Freizeiten und Feriencamps. „Unsere Jungscharlager sind komplett überrannt, sie sind teilweise so gut belegt wie seit Jahren nicht mehr“, sagte Friedemann Berner vom Evangelischen Jugendwerk Württemberg dieser Zeitung. „Wir sehen eine Nachfrage auf Rekordhoch“, bestätigt Stefan Habrik, Bildungsreferent des Bundes Deutscher Pfadfinder in Baden-Württemberg, die Tendenz, die sich bei vielen Anbietern in diesem Sommer zeigt.

Doch nicht jedes Kind, das sich auf ein Ferienlager freute, findet auch einen Platz. Der Jugendarbeit fehlen ehrenamtliche Mitarbeiter. „Wir mussten zum allerersten Mal Freizeiten absagen, weil wir keine Betreuer hatten“, bedauert Habrik. 150 bereits angemeldete Kinder kamen nicht zum Zug. Statt 62 konnten die Pfadfinder im Südwesten nur 55 Freizeiten anbieten.

Bei der Jugend des Alpenvereins (JDAV) im Land sieht es nicht anders aus. „Früher gab es Wartelisten für die sieben Grundausbildungen für Jugendleiter im Jahr“, berichtet Ulrike Hausladen. In diesem Jahr wurde ein Kurs mangels Teilnehmer schon abgesagt, vermutlich fallen noch zwei weitere Schulungen aus, weil es an Anmeldungen fehlt, mutmaßt die beim JDAV für Organisation und Verwaltung zuständige Hausladen.

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Die Jugendarbeit in Württemberg hat bereits im ersten Lockdown 2020 rund 13 Prozent der ehrenamtlichen Mitarbeiter verloren, hat Wolfgang Ilg, Professor an der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg, ermittelt. Manche Vereine und Verbände haben sich von dem Einbruch erholt, doch Ilg erwartet, „dass sich die Effekte der Coronaphase voraussichtlich auch mittelfristig in verringerten Zahlen von Ehrenamtlichen auswirken werden“.

Weitreichende Auswirkungen

Jugendleiter rekrutieren sich häufig direkt aus den Freizeiten, erklärt Jürgen Dorn, Geschäftsführer des Landesjugendrings Baden-Württemberg. Fallen die Freizeiten weg, fällt der Nachwuchs fürs Ehrenamt weg. Langjährige Jugendleiter wiederum haben die Coronapause zur Neuorientierung genutzt und ihr Ehrenamt aufgegeben, meint Friedemann Brenner.

„Die 20er Jahre dieses Jahrhunderts werden ein kritisches Jahrzehnt für die Jugendarbeit“, sagt Dorn, denn die Demografie kommt erschwerend hinzu. In diesem Jahrzehnt werde die Anzahl der 15- bis 25-Jährigen um neun Prozent zurückgehen. Das wird Auswirkungen über die Jugendarbeit hinaus haben. „Die Jugendarbeit ist ein Frühwarnsystem für die Rekrutierung von Ehrenamtlichen“, so Dorn. Wer ehrenamtlich in der Jugendarbeit aktiv war, nimmt mit höherer Wahrscheinlichkeit in späteren Lebensphasen in anderen Bereichen eine ehrenamtliche Aufgabe an, wissen die Experten. „Wir bekommen ein Riesenproblem bei den Ehrenamtlichen“, sagt Marion Deiß vom Sozialministerium. Die Abwärtsspirale könnte sich selbst verstärken. „Wenn sie einmal weg sind, kommen viele Ehrenamtliche nicht wieder.“

Dem will der Landesjugendring etwas entgegensetzen. „The Länd of young Ehrenamt“ heißt das Projekt, das der Dachverband der Jugendverbände im Land anstoßen will, um neue Ehrenamtliche zu gewinnen, neue Formen des Engagements zu ermöglichen und die Engagierten besser zu würdigen. „Ehrenamt braucht hauptamtliche Unterstützung“, betont Jürgen Dorn – gerade in der Jugendarbeit, die mit vielen zusätzlichen Anforderungen konfrontiert ist. In jedem der vier Regierungsbezirke sollte ein hauptamtlicher Ehrenamtsbegleiter installiert werden. Jeder Bezirk sollte sich zudem einen Schwerpunkt geben: Ehrenamt im ländlichen Raum, Engagement junger Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft, Ehrenamt im Sport und neue Formen des Engagements.

Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) zeigt Sympathien für das Projekt. Er sagte dieser Zeitung: „Klar ist: Kinder und Jugendliche hatten es in der Pandemie schwer, und sie mussten auf vieles verzichten. Deshalb müssen wir gerade jetzt die Kinder- und Jugendarbeit und die Jugendsozialarbeit stärken.“

„Länd of young Ehrenamt“

Lucha verweist auf den „Masterplan Jugend“, in dem sich Grüne und CDU dazu bekennen, die Jugendarbeit im Land strukturell und finanziell abzusichern. „,The Länd of young Ehrenamt‘ soll dazu beitragen, Ehrenamtliche zurückzuholen oder neu zu gewinnen, und entspricht damit einem im Masterplan Jugend definierten Schwerpunkt“, sagte Lucha. Außerdem sei die Gewinnung von Nachwuchs für das Ehrenamt ein Schwerpunkt der Engagementpolitik. Erklärtes Ziel ist dem Minister zufolge, „das Netz an professionellen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern noch enger zu knüpfen“. Ob es jedoch, wie vom Landesjugendring gewünscht, zu einer Erhöhung der institutionellen Förderung des Verbands und seiner Mitgliedsorganisationen kommt, ist offen.

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