Herr Rülke, sind Sie froh, dass Herbert Diess bei VW seinen Posten als VW-Chef räumen musste?
Hans-Ulrich Rülke: Ehrlich gesagt, ja. Die Strategie von Herrn Diess, nur auf Elektroautos zu setzen, halte ich für falsch. Deshalb finde ich den Wechsel zu Oliver Blume gut. Er vertritt eine Position, die ich teile. Der umweltfreundliche Verbrennungsmotor mit synthetischen Kraftstoffen ist eine Alternative zum Elektroantrieb und hat eine Zukunft.
Blume hat nach seiner eigenen Darstellung auch die Kontakte zu FDP-Chef Christian Lindner spielen lassen und damit ange- geben, dass deshalb die E-Fuels als alternative Energieform im Koalitionsvertrag stehen.
Rülke: Ich habe schon 2021 mit diesem Thema Wahlkampf geführt, übrigens mit Unterstützung von Lindner. Wir brauchen da Herrn Blume nicht. Er hat inzwischen auch eingeräumt, dass er übertrieben hat. Im übrigen ist es mir lieber, dass Lindner privat einen in Baden-Württemberg gekauften Porsche fährt statt einen Mitsubishi oder Daihatsu.
Wie kann denn das Land Baden-Württemberg von einem Volkswagen-Chef Blume profitieren?
Rülke: Er garantiert uns Jobs. Die Strategie von Diess würde bei den Zulieferern in Baden-Württemberg dagegen viele Tausende Arbeitsplätze kosten. Der ehemalige Bosch-CEO Volkmar Denner hat es mal auf den Punkt gebracht mit dem Satz: Für die Diesel-Technologie brauche ich zehn Arbeitsplätze, für die batterie-elektrische Mobilität nur einen. Ich habe die Bosch-Führung dann gefragt: Wie viele Jobs bringen die Wasserstoff-Technologie, Brennstoffzellen oder E-Fuels? Antwort: sechs bis acht.
Die FDP spricht sich bei der Energiewende immer für Technologieoffenheit auf. Hört sich gut an, aber in Wirklichkeit setzt sie doch auf eher exotische Lösungen wie eben E-Fuels oder Wasserstoff.
Rülke: Das sind überhaupt keine exotischen Lösungen. Sie können ohne synthetische Kraftstoffe den Klimawandel nicht bekämpfen.
Warum denn nicht?
Rülke: Das Ziel der Bundesregierung sind rund 15 Millionen E-Autos bis 2030. Das ist ziemlich utopisch. Wir haben im Moment nur 700 000. Und das trotz märchenhafter Subventionen und der Ankündigung, dass der Verbrenner verboten werden soll.
E-Fuels kosten viel Geld und fressen viel Strom bei der Produktion.
Rülke: Gegenwärtig sind sie wirklich teuer. Der Sprit aber auch. Aber selbst wenn wir das 15-Millionen-Ziel erreichen würden, hätten wir ja noch immer 32 Millionen Fahrzeuge ohne Elektroantrieb. Und ohne synthetische Kraftstoffe würden bis in die 2050er, 2060er Jahre noch Millionen Autos fossile Stoffe verbrennen. Es geht also gar nicht um Batterie oder E-Fuels, sondern um E-Fuels oder Benzin.
Was schließen Sie daraus?
Rülke: Es gibt es nur zwei Alternativen: Entweder Ihre Meinung setzt sich durch, also, dass synthetische Kraftstoffe Blödsinn und teuer sind und einen niedrigen Wirkungsgrad haben, deshalb bringen sie nichts. Dann müssen sie aber die Verbrenner noch bis zum Ende mit fossilen Kraftstoffen betreiben. Oder wir schaffen die Wende und machen die Flotte mit synthetischen Kraftstoffen klimafreundlich. Wer das nicht einsieht, dem ist das Klima egal.
Die Gegner von E-Fuels führen aber gute Argumente ins Feld.
Rülke: Die haben aber keine befriedigende Antwort auf die Frage: Was machen wir mit der Bestandsflotte? Es gibt sonst nur eine radikale Lösung.
Und die wäre?
Rülke: Man verbietet sofort alle Verbrenner und zwingt deren Besitzer, diese zu verschrotten. Das traut sich aber keiner. Wir müssen also diese synthetischen Kraftstoffe in großem Umfang herstellen. In Deutschland geht das nicht, da wären sie in der Tat zu teuer und ineffizient. Man könnte aber zum Beispiel in Südamerika mit Windkraft erneuerbare Energie produzieren, sie umwandeln und dann auf Tankern nach Europa bringen. Eine andere Lösung sehe ich nicht.
Andere nehmen lieber die Bahn. Das 9-Euro-Ticket ist ja das Geschenk des Jahres der Ampel-Koalition. Ist es auch ein Erfolg?
Rülke: Zahlenmäßig auf jeden Fall. Deshalb gibt es ja auch eine Debatte darüber, das Ticket zu verlängern.
Mit welcher Haltung gehen Sie in diese Debatte hinein?
Rülke: Wir würden es gerne weiterlaufen lassen. Aber der Bund kann es nicht finanzieren. Das müssen dann schon die Länder machen.
Die haben aber auch kein Geld.
Rülke: Das mag sein.
Für das 9-Euro-Ticket will Lindner auch mit Blick auf die Schuldenbremse nichts ausgeben, für eine höhere Pendlerpauschale aber schon. Wie passt das zusammen?
Rülke: Es ist schon ein Unterschied, ob sie eine Subvention bezahlen oder die Bevölkerung steuerlich entlasten. Die FDP will Letzteres. Das kommt vor allem den Berufspendlern zugute, die ja teilweise auch weite Strecken fahren müssen und deshalb unter den hohen Benzinpreisen besonders leiden. Hinzu kommen auch andere politische Entscheidungen wie in Baden-Württemberg zum Beispiel beim Anwohnerparken. Da gibt es ja Städte, die wollen von 30 auf 400 Euro erhöhen. Diesen Leuten nutzt auch die Kaufprämie für E-Autos nichts, weil dieser Antrieb nicht für große Entfernungen geeignet ist.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat als Dienstwagen einen Mercedes mit E-Motor. Sie sind eher der Verbrenner-Typ?
Rülke: Ja. Am meisten lehne ich den Hybrid ab.
Warum denn das?
Rülke: Die meisten, von denen ich höre, wählen diesen Antrieb nur, weil es dafür Subventionen und eine steuerliche Besserstellung gibt. Das Ladekabel rühren die aber gar nicht an und fahren die Batterie spazieren. Das kostet dann drei Liter mehr Benzin auf 100 Kilometer. So retten wir das Klima bestimmt nicht.
Warum fahren Sie kein E-Auto?
Rülke: Weil Sie dann 100 000 Kilometer fahren müssen, bis sie eine bessere Klimabilanz haben als ein Benziner oder Diesel. Im Strommix ist ja beispielsweise auch verstromte Braunkohle.
Und wenn das E-Auto mit Atomstrom fahren würde?
Rülke: Dann müsste man das nochmal genauer durchrechnen.
Warum wollen Sie die Atomkraftwerke länger laufen lassen, sind aber weiter gegen ein Tempolimit?
Rülke: Weil das eine mit dem anderen nichts zu tun hat.
Sie werfen den Grünen immer vor, diese hätten ideologische Scheuklappen, dabei räumen die ja immer mehr Positionen ab. Bei der FDP bewegt sich aber nichts.
Rülke: Mir hat noch keiner erklären können, was ein Tempolimit bringen soll.
Wenn Sie langsamer fahren, verbrauchen Sie weniger Sprit.
Rülke: Das kann ich als mündiger Bürger selber entscheiden. Es sind nur drei Prozent aller Strecken von einem Tempolimit befreit. Das ist ein reines Symbolthema. Außerdem weiß ich ja, was Ihre Kollegen tun, wenn die FDP ihre Position beim Tempolimit räumt. Dann heißt es: Die Liberalen sind umgefallen. Bei den Grünen passiert das eher nicht.
Wir wissen, dass am Ende immer die Medien schuld sind. Zurück zur Kernenergie.
Rülke: Die FDP hat ja im Koalitionsvertrag unterschrieben, dass wir aus der Kernenergie aussteigen. Dazu stehen wir auch. Aber wir haben jetzt eine andere Lage. Sechs Prozent der Bruttostromerzeugung stammen aus der Atomkraft, in Baden-Württemberg sind es aktuell rund 25 Prozent. Dazu verstromen wir neun Prozent des Gases. Wenn Sie die drei Kernkraftwerke über das Jahresende hinaus weiterlaufen lassen, können wir viel Gas einsparen. Wir könnten dann in den Streckbetrieb gehen.
Was heißt das?
Rülke: Die Lebenszeit der Brennstäbe ist ja begrenzt. Also müssen wir die Strommengen-Produktion jetzt reduzieren und würden dann die Atomkraftwerke beispielsweise ein halbes Jahr länger laufen lassen. Das wäre natürlich auch für das Kernkraftwerk in Neckarwestheim möglich.
Die Atomkraft wird uns nicht retten, wenn die Bundesregierung den Gasnotstand ausruft.
Rülke: Doch sie würde helfen. Die Bundesnetzagentur lehnt es übrigens ab, im Fall der Gasmangellage irgendwelche Abschaltpläne zu entwerfen.
Es gibt aber eine Priorisierung.
Rülke: Es gibt nur eine Priorisierung: Erst muss die Industrie abschalten, dann kommen die Privathaushalte an die Reihe.
Ist das wirklich in Stein gemeißelt? Es gibt doch darüber auch schon eine Debatte. Was hat der BASF-Beschäftigte davon, wenn seine Wohnung warm ist, er dafür aber seinen Job los ist?
Rülke: Man kann so argumentieren. Aber es ist letztendlich eine politische Entscheidung.
Wie ist denn Ihre Position?
Rülke: So schwer es mir fällt, würde ich doch sagen: Wir müssen mit der Wirtschaft anfangen. Wenn ich das Gegenteil sage, lese ich morgen die Schlagzeile …
… Richten Sie Ihre Politik immer nach den Schlagzeilen . . ?
Rülke: . . . Nein, aber ich weiß ja, was daraus gemacht wird. Ich bin ja schon lange im Geschäft.
Sparen Sie selbst zu Hause auch Energie?
Rülke: Einer meiner Söhne duscht zu lange. Als er klein war, hat seine Oma gedroht, ihn hole der Waldrapp. Nun drohe ich ihm: Dich holt der Habeck!
Vertrauen Sie Wirtschaftsminister Robert Habeck?
Rülke: Ich vertraue ihm darin, dass er in der Gaskrise für Versorgungssicherheit sorgen will. Ich glaube aber nicht, dass man darauf vertrauen kann, was die Grünen im Koalitionsvertrag unterschrieben haben.
Sie meinen die Schuldenbremse?
Rülke: Ja. Aber auch Steuererhöhungen oder neue Steuern. Die Grünen versuchen jeden Tag, sich herauszuwinden. Das ist nicht vertrauensbildend. Anders als bei der SPD. Auf die und Kanzler Olaf Scholz ist eher Verlass.
Nehmen wir mal an, dass Sie das Verhalten der Grünen richtig darstellen: Könnte das zum Bruch der Koalition führen?
Rülke: Mein Eindruck ist, dass Christian Lindner nicht bereit ist, die Schuldenbremse aufzuweichen. Sollte das zum Knackpunkt in der Koalition werden, hätte Lindner gewiss die Unterstützung seiner Partei.
Sie meinen wirklich, er würde dann die Koalition beerdigen?
Rülke: Das muss die FDP dann entscheiden.
Letzte Frage: In der Südwest- CDU ist Ihr Image nicht besonders gut. Sie wurden als „AfD-Klon“ bezeichnet. Verletzt Sie das?
Rülke: Wenn ich mal soweit bin, dass ich mich mit der sechsten oder siebten Reihe der CDU auseinandersetze, dann höre ich mit der Politik auf.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/politik_artikel,-laender-fdp-politiker-ruelke-droht-seinem-sohn-mit-robert-habeck-_arid,1978282.html