Pforzheim. Plötzlich war alles weg. Die Arbeit war weg, die Freier blieben weg, irgendwann war das letzte Geld weg und wegen des Lockdowns konnte Laura noch nicht einmal zurück nach Hause in die Ukraine zu ihren beiden Kindern. „Es war schlimm“, berichtet die 30-Jährige in gebrochenem Deutsch. Sie arbeitete bereits seit einiger Zeit als Prostituierte im Raum Pforzheim, als Corona kam. Von einem Tag auf den anderen saß sie ohne Einkommen da, Bordelle wurden geschlossen, auf die Straße traute sie sich aus Angst vor dem Coronavirus kaum noch. Viele ihrer Kolleginnen hätten die Miete in ihren Unterkünfte nicht mehr bezahlen können und wären auf der Straße gelandet – wenn es nicht neuerdings die sogenannten mobilen Teams gäbe.
Die nämlich schwärmen seit November vergangenen Jahres mit ihren Mitarbeitern landesweit aus und besuchen Sexarbeiterinnen oder von Menschenhandel, häuslicher und sexualisierter Gewalt betroffene Frauen. Gefördert vom Land kümmern sich inzwischen 24 Teams um diese Klientel. „Wir konnten früher die Betroffenen mangels Finanzierung nicht aufsuchen“, erläutert Claudia Jancura von der Aidshilfe Pforzheim. „Jetzt können wir hinfahren, Hemmschwellen abbauen und zeigen, dass wir für sie da sind.“
Pandemie verstärkt das Problem
Bisher wurden so zwischen November 2020 und Juni 2021 landesweit rund 500 Frauen zusätzlich beraten. „Frauen, die wir sonst in Zeiten von Corona und zeitweisem Lockdown nicht hätten erreichen können“, erzählt Katrin Lehmann, Referentin beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Der Sozialverband koordiniert das Projekt.
Demnach bekam bisher bei weitem nicht jede Betroffene Hilfe im Land: „Das nächste Beratungsangebot ist mitunter 60 bis 70 Kilometer entfernt und dann liegt noch der Schwarzwald dazwischen“, sagt sie. Studien aus den vergangenen Jahren hätten gezeigt, dass die Beratungslandschaft im Südwesten große Lücken aufweise, ergänzt Staatssekretärin Ute Leidig (Grüne). Diese Lücke versuche das Modellprojekt zu schließen. Rund 700 persönliche und etwa 750 telefonische Beratungsgespräche wurden so innerhalb von acht Monaten geführt. Wegen der großen Resonanz sollen die mobilen Teams bis Ende kommenden Jahres gefördert werden.
Dass die Pandemie das Problem der Gewalt gegen Frauen verstärkt, ist nicht neu. Allein im Jahr 2020 war die Zahl der Beratungen in diesem Bereich beim bundesweiten Hilfetelefon um rund 15 Prozent gestiegen. In Baden-Württemberg ergebe sich ein sehr heterogenes Bild, sagt ein Sprecher des Sozialministeriums. Es habe 2020 zeitweise sogar eine geringere Zahl an Fällen bei Beratungsstellen gegeben. Das bedeute aber nicht, dass es weniger häusliche Gewalt gab, sondern man rechne eher mit einer hohen Dunkelziffer.
Laura quälten Zukunftsängste und Ungewissheit. Ihren Kindern konnte sie lange kein Geld schicken und ohne die mobilen Teams hätte sie oft nicht gewusst, wie sie sich etwas zum Essen kaufen soll. „Corona war so viel Stress“, sagt sie. Und in Richtung ihrer Beraterinnen: „Danke, danke, danke.“ lsw
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/politik_artikel,-laender-corona-und-gewalt-an-frauen-_arid,1847287.html