Interview

Bernhard Vogel: "Deutschland darf nicht Teil des Ukraine-Krieges werden"

Bernhard Vogel (CDU) war Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und von Thüringen. Bei einem Besuch in Speyer äußert er sich zur deutschen Wiedervereinigung, zum Erstarken des Rechtsextremismus und zum Krieg in der Ukraine

Von 
Uwe Rauschelbach
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Bernhard Vogel bei der Vorstellung seiner Autobiografie im Historischen Ratssaal Speyer. © Klaus Venus

Bernhard Vogel hat seine politische Lebensbilanz vorgelegt. In seinem Buch „Erst das Land“ zieht er die entscheidenden Linien seiner Karriere nach, die darin gipfelte, dass der Christdemokrat Ministerpräsident zweier Bundesländer - erst in Rheinland-Pfalz, anschließend in Thüringen - war. Ein bislang beispielloser Vorgang; doch im Interview äußert sich ein Politiker, der sein Handeln als Ausdruck eines hohen Pflichtbewusstseins versteht. Gleichwohl bezieht Vogel eindeutig Stellung, etwa was die Folgen der deutschen Wiedervereinigung, das Erstarken des Rechtsextremismus und den Krieg in der Ukraine betrifft.

Herr Vogel, der Titel Ihres Buches lautet: „Erst das Land“. Die AfD plakatiert unterdessen: „Unser Land zuerst“. Worin liegt der Unterschied?

Bernhard Vogel: Der Titel meines Buches bezieht sich auf einen Satz Erwin Teufels, des früheren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg: „Erst das Land, dann die Partei, dann die Person“. Wenn Andere ähnliche Formulierungen verwenden, geht mich das nichts an.

Sie schreiben, die deutsche Wiedervereinigung sei eine Erfolgsgeschichte. Doch gerade in den östlichen Bundesländern ist die AfD stark vertreten. Ist das nicht auch eine Folge von Defiziten im Zusammenhang mit dieser Wiedervereinigung?

Vogel: Ja, natürlich. Die Wiedervereinigung ist, alles in allem, gelungen. Aber es gibt noch immer Schwierigkeiten. Nicht alle Prozesse gelten als abgeschlossen. So sind die Führungsetagen der öffentlichen Verwaltungen nach wie vor häufig von Westdeutschen besetzt. Das wird sich erst in den nächsten zehn Jahren auspendeln. Dieses Beispiel zeigt, dass für die Wiedervereinigung eben auch Opfer erbracht werden mussten.

Zur Person

  • Bernhard Vogel, am 19. Dezember 1932 in Göttingen geboren, ist seit 1960 Mitglied der CDU.
  • Von 1976 bis 1988 war er rheinland-pfälzischer Ministerpräsident.
  • Von 1989 bis 1993 und von 2001 bis 2009 leitete Vogel die Konrad-Adenauer-Stiftung.
  • 1992 wurde er zum Ministerpräsidenten Thüringens gewählt. Dieses Amt gab er 2003 aus Altersgründen auf.
  • Der engagierte Katholik hat mit dem kürzlich im Herder-Verlag erschienenen Buch „Erst das Land. Mein Leben als Politiker in West und Ost“ (416 S., 28 Euro) eine politische Lebensbilanz veröffentlicht.

In Thüringen, wo Sie Ministerpräsident waren, hat die AfD bei den jüngsten Kommunalwahlen gut abgeschnitten. Warum sind gerade die Rechtsextremen dort so stark?

Vogel: Thüringen war schon in der Weimarer Republik ein nicht ganz einfaches Land. Die Tatsache, dass ein Linker in Thüringen Ministerpräsident ist - Bodo Ramelow - hat natürlich Folgen auch für Rechtsaußen und stärkt die AfD. Deswegen muss es gelingen, die Wähler der AfD für die Parteien der Mitte zurückzugewinnen. Nicht alle Wähler, die ihr Kreuz bei der AfD machen, teilen rechtsextremes Gedankengut, sondern sind einfach nur enttäuscht und frustriert.

Stellen Sie sich hinter Forderungen, die AfD verbieten zu lassen?

Vogel: Nein, zumal ich nicht sicher bin, dass die AfD tatsächlich verboten würde. Vielmehr würden die Rechtsextremen gestärkt und aufgewertet, wenn der Antrag scheitern sollte und ein solches Verfahren nicht zum Verbot dieser Partei führen würde.

In jüngster Zeit wurde häufig über Gewalt gegen Politiker, vor allem in ostdeutschen Kommunen berichtet. Warum werden solche Übergriffe gerade dort verübt?

Vogel: Natürlich ist die Gewaltbereitschaft zu kritisieren und zu verabscheuen, im Westen wie im Osten. Aber in den schwierigeren Verhältnissen im Osten ist die Gefahr größer als im Westen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Deutschland nicht seit 1945, sondern erst seit 1990 wieder vereinigt ist. Und noch immer herrschen in beiden Teilen dieses Landes ungleiche Verhältnisse.

Äußert sich in diesen Gewaltexzessen ein grundsätzlicher Demokratieverdruss?

Vogel: Nein, so weit würde ich nicht gehen, zumal es ja erfreulicherweise eine breite Bereitschaft in der Bevölkerung gibt, für den Erhalt der Demokratie auf die Straße zu gehen. Das begrüße ich außerordentlich.

Ist das deutsche Grundgesetz, dessen 75-jähriges Bestehen wir in diesen Tagen feiern, noch zeitgemäß, um es gegen Angriffe von innen wie von außen zu schützen?

Vogel: Das Grundgesetz ist zeitgemäß und ich wünschte mir, dass man es nicht zu oft ändert oder ergänzt. Man sollte es in seiner heutigen Form für die Zukunft belassen.

Steht das Grundgesetz zusehends in Konkurrenz zur europäischen Gesetzgebung?

Vogel: In diesem Konflikt sehe ich das Grundgesetz nicht. Es enthält darüber hinaus klare Positionen, die Deutschland als Teil Europas definieren.

Wohin man in Europa, aber auch weltweit schaut, erstarkt der Autoritarismus. Sind die Menschen von der Freiheit überfordert?

Vogel: Ich kann einen solchen Trend nicht erkennen. Die Idee von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hat sich stattdessen keineswegs weltweit durchgesetzt. Das ist durchaus zu beklagen.

Sie gelten als Politiker mit hohem Pflichtbewusstsein. Gibt es zu wenige Menschen, die bereit sind, sich politisch in die Pflicht nehmen zu lassen?

Vogel: Nein. Erfreulicherweise wächst die Zahl derer, die sich als Demokraten engagieren. Diese Menschen muss man fördern und unterstützen. Und man muss in der Tat immer wieder betonen: Die Demokratie lebt von Demokraten.

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Veröffentlicht
Von
Kilian Harmening
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Soeben hat Emmanuel Macron als erster französischer Präsident nach der deutschen Wende einen Staatsbesuch absolviert. Für wie wichtig halten Sie die deutsch-französischen Beziehungen?

Vogel: Ich halte sie für entscheidend wichtig. Die beiden Länder sind nicht die Vormächte Europas, aber sie sind die treibende Kraft der europäischen Einigung. Und deswegen bin ich sehr dankbar, dass der französische Präsident diesen Besuch in Deutschland gemacht hat und dass er die Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen gerade vor der Dresdener Frauenkirche unterstrichen hat.

Sollten diese Beziehungen auch auf sicherheitspolitischer Ebene intensiviert werden?

Vogel: Ja.

Sie haben sich seit den 1960er Jahren für den deutsch-israelischen Austausch engagiert. Was bedeutet es konkret, dass das Existenzrecht Israels deutsche Staatsräson ist?

Vogel: Dieser Satz von Angela Merkel trifft auch heute zu. Israel gäbe es nicht, wenn die Juden in Deutschland und Europa durch den Nationalsozialismus nicht in diesem Ausmaß verfolgt worden wären. Dass das Existenzrecht Israels deutsche Staatsräson ist, heißt aber nicht, dass jede Aussage eines israelischen Ministerpräsidenten Unterstützung und Zustimmung verdient.

Sie sind kirchlich sozialisiert worden. Braucht Politik einen übergeordneten Rahmen, wie ihn Religion stiften kann? Und was bedeutet es für die Politik, dass die Bedeutung der Kirchen schwindet?

Vogel: Für mich ist der christliche Glaube Voraussetzung für mein politisches Engagement. Dass die Bedeutung der Kirche in Deutschland und Europa abnimmt, ist bedauerlich. Allerdings findet diese Entwicklung keineswegs weltweit statt.

Wie kann der Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, beendet werden und wie zuversichtlich sind Sie, dass das gelingen wird?

Vogel: Ich hoffe, dass Russland diesen Krieg gegen die Ukraine nicht gewinnt. Ich zweifle aber, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen wird. Deswegen glaube ich, dass der Krieg letzten Endes auf diplomatischer Ebene beendet werden wird und nicht durch Waffen.

Sie sind also nicht dafür, dass Deutschland mehr Waffen liefern sollte als bisher?

Vogel: Jedenfalls darf Deutschland nicht in diesen Krieg eingreifen. Wir müssen die Freiheit der Ukraine verteidigen, aber wir dürfen nicht Teil dieses Krieges werden.

Aber wie kann Diplomatie greifen, wenn ein Präsident wie Wladimir Putin gar nicht reden will?

Vogel: Indem der Verlauf des Krieges ihn dazu zwingt.

Freier Autor

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