Mannheim. Rassistische und ausländerfeindliche Parolen, lautes Gegröle, mutmaßlich ein angedeuteter Hitlergruß - und niemand scheint sich daran zu stören. Das zeigt das Video, das seit Donnerstag in Sozialen Medien viral geht und das an Pfingsten auf der Außenterasse der Kultbar „Pony“ auf Sylt entstanden ist. Die jungen Erwachsenen, die ungeniert „Deutschland den Deutschen“ und „Ausländer raus“ grölen, feiern ausgelassen, tragen Sonnenbrillen, blaue und weiße Hemden - nicht unbedingt das Bild, das viele von Rechtsextremisten im Kopf haben dürften. Sind extremistische Ansichten inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen?
Ein Schock, der auch in Mannheim tief sitzt. Auch unter diesen Vorzeichen fand am Samstag auf dem Ehrenhof ein Demokratiefest statt, für das weitaus weniger Menschen begeistert werden konnten, als von den Veranstaltern erwartet.
Der Demokratie auch in Mannheim immer wieder Impulse geben
An die 100 Bierbank-Garnituren stehen auf dem weitläufigen Ehrenhof vor dem Schloss. Selbst am Nachmittag, zum Höhepunkt des Demokratiefests anlässlich „75 Jahre Grundgesetz“, bleibt rund die Hälfte davon aber unbesetzt. Verbände der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in der Metropolregion und der Verein „Mannheim sagt Ja!“ hatten zu der Kundgebung aufgerufen. Im Vorfeld hatten die Organisatoren auch im Gespräch mit dieser Redaktion auf „mehrere tausend“ Menschen gehofft, die über den Tag hinweg das Fest im Ehrenhof besuchen. Bis zu 800 seien es dann allerdings tatsächlich nur gewesen, teilt Mit-Organisator und Grünen-Stadtrat Gerhard Fontagnier dieser Redaktion nach der Veranstaltung mit.
75 Jahre Grundgesetz - das Jubiläum, das am vergangenen Donnerstag begangen worden war - ist mehr denn je nicht nur ein Tag, unsere Verfassung zu feiern, sondern auch ein Tag, um zu prüfen, in welcher Verfassung sie selbst ist. Ein Grund, warum die Kundgebung in Zusammenarbeit mit der Awo forciert wurde, wie Fontagnier sagt: „Es ist nötig, das zu machen und der Demokratie mit solchen Veranstaltungen immer wieder Impulse zu geben.“ Sonst sterbe sie allmählich: „Das ist wie eine persönliche Beziehung: Wenn man die nicht pflegt, ist sie irgendwann zu Ende“, zieht er einen Vergleich heran.
„75 Jahre ist keine Zeit. 75 Jahre ist so gut wie ein Menschenleben. Letztendlich eine Generation“, mahnt Angela Wendt. Die Grünen-Stadträtin gehört ebenfalls dem Kreis der Organisatoren an. „Und die nächste Generation muss ja auch noch etwas davon haben. Wenn die nächste Generation jetzt in Strukturen kommt, die die Generation davor erlebt hat, haben wir nichts gewonnen. Wir haben in Europa gesehen, wie schnell es gehen kann. Wie schnell ein Rechtsruck passiert.“
„Nie wieder ist jetzt“, „Wir feiern Demokratie“, „Monnem ist bunt“ und „Ein Herz für Vielfalt“ prangt auf Plakaten an Bauzäunen am Eingang des Ehrenhofs. Die Awo präsentiert sich an Ständen, ihre Mitarbeiter tragen Shirts, auf denen steht: „100 Jahre Zusammenhalt“, was auf das langjährige Bestehen der Organisation hinweist. Vereine sind präsent, um Werbung in eigener Sache zu machen.
Der frühere Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) und die Zeitzeugin Karla Spagerer halten Reden. Am Abend folgt ein Kulturprogramm mit Livemusik. Familien können Dosen werfen, Jugendliche auf eine Torwand schießen - die allerdings schon am frühen Abend abgebaut wird, während das Kulturprogramm gerade erst beginnt. Vielleicht auch aufgrund des ausgebliebenen Andrangs?
Wahl-Mannheimerin Soffie zieht am Abend etwas mehr Publikum an
Das warme Wetter, den fehlenden Schatten und das parallel stattfindende Stadtfest nennt Wendt im Gespräch als mögliche Gründe für die wenigen Besucherinnen und Besucher. Ob sich Menschen also weniger für Demokratie begeistern ließen als für ein Stadtfest? „Das ist eine gute Frage“, antwortet Awo-Vorstand Alexander Manz nachdenklich. Wie auf die Menschen zugegangen werden kann, die mit dem Fest erreicht werden sollten, nun aber nicht erreicht wurden, weiß auch Wendt nicht: „Auf die Frage haben wir alle keine Antwort.“ Präsenz zeigen, oft und auf unterschiedlichen Plätzen, laute ihre Devise.
Und man müsse sich den Zeitzeugen annehmen. Im NS-Dokumentationszentrum des Marchivum könne man die damalige Zeit Revue passieren lassen, sagt Wendt. „Will man das wirklich nochmal haben? Will ich meine Grundrechte einschränken oder gar verlieren? Will ich in Unfreiheit leben? Will ich im ersten Zug sitzen, der in irgendeiner Weise deportiert wird?“ Wendt spricht von „ganz großen Herausforderungen, die sich uns stellen.“ Sie sagt: „Wir müssen so stark sein, dass wir dieses Armdrücken in die richtige Richtung gewinnen.“
Gegen Abend bildet sich doch noch eine zwar kleinere, aber nicht überschaubare Masse vor der Bühne auf dem Ehrenhof: TikTok-Star und Mannheimerin Soffie tritt mit Live-Musik auf, zieht einige Fans heran und schafft damit Zusammenhalt durch Musik. Für Vorstand Manz ist das Fest nun vor allem ein großer interner Erfolg der Awo. Dadurch neu geschaffene Beziehungen und Vernetzungen könne man nun auch für künftige Kundgebungen nutzen. „Wir als Awo sind ja gar nicht kundgebungserprobt. Von daher, wir lernen. Nächstes Mal neben wir einen etwas kleineren Platz.“
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