Stuttgart. Die Frage der erneuerbaren Energien sieht der Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz als eine Frage der nationalen Sicherheit. Unter Umständen hält er aber auch einen befristeten Weiterbetrieb der Atomkraftwerke für denkbar.
Herr Schwarz, derzeit stellt die Koalition den Doppelhaushalt auf. Die Ministerien scheinen nicht sehr sparwillig. Sollten Sie ein Machtwort sprechen?
Politiker schon als Schüler
Andreas Schwarz brachte es als Jugendgemeinderat in Kirchheim unter Teck zum Sprecher der Jugendgemeinderäte im Land.
2011 zog der Kommunal- und Verkehrsexperte in den Landtag ein. Seit 2016 führt er die Grünen-Fraktion.
Die Gluthitze schreckt den Wirtschaftsjuristen und begeisterten Rennradfahrer nicht ab. Wie jedes Jahr wird der 42-jährige Vater einer Tochter auch in diesem Sommer das Stilfser Joch erklimmen. ral
Andreas Schwarz: Wir können nur das Geld ausgeben, das wir haben. Das müsste eigentlich jeder wissen. Wenn ich mir die Forderungen in Milliardenhöhe anschaue, bin ich frustriert. Da sind mitunter massive Stellenforderungen dabei, die nie und nimmer zu finanzieren sind.
Was sollte sich das Land noch leisten?
Schwarz: Das Land hat einen Risikopuffer gebildet. Das schließt Rücklagen für den Energiepreisanstieg und die Inflation ein, das ist gut. Wir müssen auf Sicht fahren, aber auch Schwerpunkte bei den Investitionen setzen. Das sind für uns Bildung, Klimaschutz und innovative Forschung, um den Wohlstand in unserem Land zu erhalten.
Sie haben das 365-Euro-Jugend-ticket in Baden-Württemberg durchgesetzt. Freut Sie auch der Vorschlag von Bayerns Ministerpräsident Söder, ein 365-Euro-Ticket für alle einzuführen?
Schwarz: Das 365-Euro-Ticket für junge Leute bringt was für den Klimaschutz, es entlastet die Familienkassen, und das Elterntaxi kann in der Garage bleiben. Aber Söders Vorschlag ist einfach nur plump. Ein verantwortungsvoller Ministerpräsident muss auch sagen, wie er seine Vorschläge finanzieren will. Das tut Söder nicht. Ich bin für die Idee des 69-Euro-Tickets, ich finde auch die Modelle in Österreich gut: das Ticket für die Stadt – ein Euro am Tag. Das Ticket für die Region zwei Euro und für das ganze Land drei Euro.
Sollten Atomkraftwerke länger laufen, um über den Winter zu kommen?
Schwarz: Wir lehnen die jahrelange Verlängerung der Atomenergie aus guten Gründen ab. Aktuell hat Minister Habeck einen Stresstest angekündigt. Es geht um Fakten. Sollte er zu einer neuen Bewertung kommen, orientieren wir uns daran. Wir müssen die Bevölkerung gut durch den Winter bringen. Allen sinnvollen Lösungen, die Energieversorgung sicherzustellen, stehen wir offen gegenüber. Unabdingbar ist es, Energie einzusparen und die erneuerbaren Energien auszubauen.
Ministerpräsident Kretschmann plant einen Gas-Krisengipfel. Was erwarten Sie davon?
Schwarz: Ich wünsche mir von den Kommunen, den Stadtwerken und den Wirtschaftsverbänden konkrete Vorschläge für Haushalte und Industrie, an welchen Stellen Energie eingespart werden kann. Wir brauchen hier eine konzertierte Aktion.
Kann es sein, dass sich in Baden-Württemberg Menschen in Turnhallen aufwärmen müssen, weil sie sich zu Hause die Heizung nicht mehr leisten können?
Schwarz: Ein solches Szenario sehe ich momentan nicht. Die Bundesnetzagentur wird darauf schauen, dass alle Teile Deutschlands gleichmäßig mit Gas versorgt werden. Die Sorge, der Süden käme zu kurz, kann man entkräften. Inzwischen kommt auch aus Frankreich, Italien und der Schweiz Gas direkt nach Baden-Württemberg.
Rächt es sich jetzt endgültig, dass das Land beim Ausbau der erneuerbaren Energien hinterherhinkt?
Schwarz: Die Frage der Erneuerbaren ist inzwischen eine Frage der nationalen Sicherheit. Mehr Energieeffizienz und mehr erneuerbarer Strom sind die beste Verteidigung gegenüber Autokraten. Wir wollen bei der Windenergie die Zeit zwischen Planung und Genehmigung halbieren, ich halte daran fest, die Voraussetzungen für 1000 neue Windräder zu schaffen.
Das sind mittelfristige Vorhaben. Was ist mit der Photovoltaik?
Schwarz: Beim Photovoltaikausbau will ich alle Potenziale in Baden-Württemberg stärker nutzen. Die Dächer im Land müssen zu Tankstellen für Sonnenenergie werden. Und Photovoltaik soll auf alle verfügbare Flächen, denn wir brauchen schnell mehr erneuerbare Energie.
An welche Flächen denken Sie da?
Schwarz: Mir schwebt eine Photovoltaikoffensive vor: auf Verkehrsflächen, Lärmschutzanlagen, öffentlichen Gebäuden, Bahnhöfen und überdachten Autobahnrastplätzen. Ich denke auch an schwimmende Photovoltaikanlagen auf Baggerseen. An den Bundesstraßen gibt es Auf- und Abfahrten, die Freiflächen bilden, auf denen man Photovoltaikanlagen einrichten kann. Wir können 300 der 600 Anschlussstellen in Baden-Württemberg dafür nutzen und dort 180 Gigawattstunden erneuerbaren Strom produzieren. Das ist Strom für 51 000 Haushalte. Man könnte allein damit beispielsweise eine Stadt wie Esslingen gut versorgen.
Annalena Baerbock hat angemahnt, die Anstrengungen im Klimaschutz zu verdoppeln. Im Land verzögert sich die Novelle des Klimaschutzgesetzes, warum?
Schwarz: Wir haben bereits festgelegt, dass Baden-Württemberg bis 2040 klimaneutral sein muss. Über die Sommerzeit finden Gespräche über ein weiteres Update statt. Wir werden einen Fahrplan festlegen, wie wir weitermachen. Es gibt für jeden Fachbereich in der Landesregierung klare wissenschaftlich unterlegte Ziele, wie CO2-Emissionen zu reduzieren sind. Mein Ziel ist, dass wir alle Kräfte mobilisieren, um 65 Prozent der Treibhausgase bis 2030 einzusparen und 2040 klimaneutral zu sein. Da muss ein Ruck durch die gesamte Regierung gehen.
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