Speyer. Er war als Erzbischof von München Nachfolger von Kardinal Ratzinger, des späteren Papstes Benedikt XVI. Und eigentlich wollte Kardinal Friedrich Wetter, der 1928 im pfälzischen Landau geboren wurde, überhaupt nichts sagen zum Thema Missbrauch während seiner Amtszeit als Bischof von Speyer (1968 bis 1982). Es brauchte erst mehrere Anläufe und einen unangekündigten Besuch dieser Redaktion in München, ehe er sich am Samstag zehn Minuten Zeit nahm in der Lobby des Mutterhauses der Barmherzigen Schwestern im Stadtteil Laim.
Im vergangenen Dezember hatte der amtierende Bischof Karl-Heinz Wiesemann öffentlich gemacht, dass Wetters damaliger Generalvikar Rudolf Motzenbäcker sich mutmaßlich des vielfachen sexuellen Missbrauchs von Heimkindern aus der 100 Meter entfernten Engelsgasse schuldig gemacht habe. Darauf wiesen Berichte von Opfern unabhängig voneinander hin. Juristisch seien Missbrauchstaten heute verjährt, dennoch rief Wiesemann Betroffene auf, sich auch heute noch beim Bistum zu melden. Seither sind etwas mehr als 20 Briefe aus der gesamten Diözese eingegangen.
Ziehsohn will nichts sagen
Wetter selbst lebte als Bischof in dieser Zeit direkt gegenüber des Doms mit Blick auch auf die Dienstwohnung von Rudolf Motzenbäcker am Edith-Stein-Platz, der dort nach Kenntnis dieser Redaktion auch junge männliche Mitbewohner hatte. Sicher ist, dass mindestens ein Kind aus der Engelsgasse später als sogenannter Ziehsohn im Haushalt des Generalvikars lebte – dies über einen längeren Zeitraum. Der damalige Junge, ein heute 60-jähriger Mann, der sich zu seiner Homosexualität bekennt (Name der Redaktion bekannt), will sich der Presse gegenüber nicht über diese Zeit äußern. Ehrfurchtsvoll nennt er Motzenbäcker nur „den Professor“.
Der damalige Bischof Wetter sagt, dass er keine Kenntnis habe von angeblichen Sexpartys, die ein Opfer Motzenbäckers beschreibt. Der Mann, der heute im Kreis Bergstraße in Südhessen lebt, macht die Ordensschwestern im Kinderheim gar für Zuhälterei verantwortlich, wofür es bisher aber keine hinreichenden Beweise gibt. Kardinal Wetter erinnert sich an eine Feierstunde mit Bürgermeister zu Ehren der Niederbronner Schwestern, in der man deren Wirken in der Stadt Speyer sehr gewürdigt habe.
„Wie die jüngsten Nachrichten in dieses Bild passen, ist mir rätselhaft“, so der Kardinal. Ohnehin war bei dem für sein Alter geistig sehr agilen Mann kein großer Wille spürbar, einen Beitrag zur Aufarbeitung der Vorgänge zu leisten. Auf die Bitte aus der vergangenen Woche hin, sich per Videokonferenz mit der Redaktion zu verständigen, äußerte sein Sekretär, es gebe kein Endgerät mit dem der Kardinal dies tun könne. Überdies könne ein Treffen coronabedingt nicht direkt stattfinden. Der Kardinal würde Fragen lediglich schriftlich beantworten. Dass es im Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern durchaus Endgeräte gibt, bewies man indes im vergangenen Jahr, als Wetter bei der Einweihung des Kardinal-Wetter-Platzes in Landau per Videobotschaft zugeschaltet war.
Im zehnminütigen Gespräch – mit Maske – mit dieser Redaktion am Samstag beschränkte sich Wetter weitgehend auf Kritik an Medien, die mit ihm würdelos umgehen würden. Zu den Opfern von sexuellem Missbrauch äußerte er sich nicht.
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