Migration

Wieder mehr Kriegsflüchtlinge

Stadt sucht dringend Wohnraum für Menschen aus der Ukraine und anderen Ländern. Gemeinschaftsunterkünfte mit mehr als 300 Personen belegt

Von 
Wolfram Köhler
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Beim Friedensgebet im März demonstrierten viele Viernheimer ihre Solidarität mit der Ukraine. Nun werden weitere Wohnungen für die aus den Kriegsgebieten geflüchteten Menschen gesucht. © bernhard Kreutzer

Viernheim. Kürzlich noch befürchtete Deutschland das Aussterben seiner Bevölkerung. Demografischer Wandel lautete das Stichwort, mit dem beschrieben wurde, dass zu wenige Kinder geboren werden. Doch das hat sich geändert: Erstmals leben laut Statistischem Bundesamt über 84 Millionen Menschen in der Bundesrepublik, 843 000 mehr als noch Ende 2021. Ein Zuwachs von einem Prozent in einem halben Jahr – das gab es noch nie. Grund für die Entwicklung ist vor allem die Zuwanderung aus der Ukraine und anderen Ländern wie Afghanistan, Syrien oder der Türkei. Eine der Folgen: Der ohnehin schon begrenzte Wohnraum wird zunehmend knapper.

Unmittelbar zu spüren bekommt dies auch die Stadt Viernheim. Händeringend sucht sie erneut nach Unterkünften, insbesondere für Geflüchtete aus den ukrainischen Kriegsgebieten. „Der Bedarf ist nach wie vor sehr groß“, sagt Sozialamtsleiter Rudolf Haas. Zwischenzeitlich sei vielleicht der Eindruck entstanden, der Zustrom gehe zurück, heißt es in einer Mitteilung der Stadt. „Doch das Gegenteil ist der Fall, denn längst ist die zweite Welle in Viernheim angekommen.“ Vor dem Sommer waren gut 300 Ukrainerinnen und Ukrainer vor Ort gemeldet, von denen knapp 90 die Kommune wieder verlassen haben. Allerdings holen nach Angaben des Sozialamts jetzt viele geflüchtete Menschen, die geblieben sind, ihre Familienmitglieder aus unsicheren Gebieten in der Ukraine zu sich. Dadurch sei die Zahl der in Viernheim gemeldeten Kriegsflüchtlinge wieder auf etwa 330 angestiegen.

Um ihnen und Familien aus anderen Ländern eine dauerhafte Bleibe anbieten zu können, setzt Haas nach wie vor auf das Projekt „Vermiete doch an die Stadt!“ Die Kommune tritt dabei gegenüber dem Eigentümer als Vertragspartner auf, gibt finanzielle Sicherheit und ist Ansprechpartner für die Vermieter. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs konnten auf diesem Weg 100 Menschen mit Wohnraum versorgt werden. Andere leben laut Haas aber weiterhin – teils unter beengten Bedingungen – bei Freunden oder Viernheimer Gastgebern. Gesucht werden aktuell insbesondere kleinere Einheiten für Ein- bis Zwei-Personen-Haushalte. Unterzubringen seien gerade Mütter mit Kindern oder deren Eltern und Großeltern.

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Timo Schmidhuber
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Sozialamtsleiter Haas appelliert an die Bevölkerung mitzuhelfen und leer stehende Räume zur Verfügung zu stellen. Nach seiner Einschätzung gibt es in Viernheim einige seit längerem nicht vermietete Wohnungen, die für die Unterbringung der Geflüchteten durchaus geeignet wären. Die Stadt garantiere pünktliche Mietzahlung und betreue die Menschen, wirbt er für die Initiative. „Außerdem machen wir keine Mietverträge für die Ewigkeit.“

Positive Erfahrungen

Die Erfahrungen der Beteiligten mit dem Projekt seien bislang überwiegend positiv, erklärt Haas. Es habe zwar auch „ein paar Wehwehchen“ gegeben, räumt er ein. Häufig seien die Konflikte aber auf Missverständnisse zurückzuführen und somit schnell ausgeräumt gewesen.

Laut Rudolf Haas hatte die Stadt unmittelbar nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar mit der Ankunft von etwa 500 Flüchtlingen gerechnet. Dies sei aber nicht eingetreten. Und deshalb konnten die zwischenzeitlich aufgebauten Gemeinschaftsunterkünfte – etwa in einem früheren Bürotrakt der Firma Pfenning – auch ungenutzt wieder geschlossen werden. Drei Gebäude für insgesamt 250 Personen standen damals bereit.

Mittlerweile hat sich gezeigt, dass die Kriegsflüchtlinge ganz gezielt ihre Kontakte zu Familien in Deutschland nutzen und diese dann aufsuchen. „Meistens kommen Leute, die einen Bezug haben“, sagt Haas. Darüber hinaus bestehe der Weg über die Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen. Für die Unterbringung der Menschen, die dort ankommen – ob aus der Ukraine oder anderen Staaten – sind im Anschluss die Landkreise zuständig. Sie erhalten regelmäßig eine Zuteilung vom Land Hessen. Der Kreis Bergstraße betreibt deshalb speziell für Menschen aus der Ukraine eine Gemeinschaftsunterkunft im früheren Luisenkrankenhaus in Lindenfels sowie das Bensheimer Zeltdorf. Nach Angaben des Landratsamts in Heppenheim leben in den beiden Einrichtungen zurzeit 600 Personen.

Darüber hinaus sind dem Kreis seit Mai rund 270 Migranten – vornehmlich aus Afghanistan, der Türkei und Syrien – offiziell zugewiesen worden. Etwa 80 davon wurden auf die Viernheimer Gemeinschaftsunterkünfte verteilt – zwei im Heinrich-Lanz-Ring und jeweils eine in der Bunsen- und der Industriestraße. Der zuständige Dezernent, Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf, erklärt die „überdurchschnittliche Anzahl“ für Viernheim mit der Eröffnung der Sammelunterkunft in der früheren Bekleidungsfabrik Fourman. Aktuell leben 312 Personen in den Viernheimer Einrichtungen.

Das Landratsamt kooperiere bei der Betreuung aller Flüchtlinge intensiv mit den Kommunen, betont Sozialamtsleiter Haas. Gemeinsames Ziel sei es, auch die Zuwanderer, die nicht aus der Ukraine kommen, in Wohnungen zu verlegen. Wenn ihr Asylstatus anerkannt ist, dürfen sie die jeweilige Gemeinschaftsunterkunft des Kreises verlassen und in eigene Räume wechseln.

Kapazitäten ausgebaut

Haas zufolge bleiben diese Menschen, die teilweise schon länger arbeiten, oft in der Gemeinschaftsunterkunft, weil bezahlbarer Wohnraum fehlt. „Dies lässt der Kreis zu.“ Wenn aber die Zuteilungszahlen vom Land an den Kreis steigen und die Sammelunterkünfte an ihre Kapazitätsgrenzen kämen, seien die Kommunen verstärkt angehalten, Wohnraum für bleibeberechtigte Menschen zur Verfügung zu stellen. Eine solche Aktion gab es laut Haas im vergangenen März. Außerdem habe der Kreis Bergstraße seine Kapazitäten ausgebaut sowie neue Unterkünfte geschaffen. Eine davon ist die im Viernheimer Industriegebiet.

Es werde viel versucht, um die Geflüchteten in die Gesellschaft zu integrieren, sagt der Experte. Wichtig seien dabei immer die Sprachkenntnisse. Bei der Vermittlung leiste unter anderem der Viernheimer Verein Lernmobil wertvolle Beiträge. Der nächste Schritt sei dann die eigene Wohnung, erklärt Sozialamtsleiter Haas – „damit die Menschen zur Ruhe kommen und die Kinder lernen können“.

Redaktion

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