Darmstadt. In der Urteilsbegründung findet Vorsitzender Richter Marc Euler deutliche Worte: „Das sind ungeheuerliche Taten, die Sie da zugegeben haben. Sie haben das Vertrauen, das die Familie in Sie gesetzt hat, auf ungeheuerliche Weise missbraucht.“ Die 2. Große Jugendkammer des Landgerichts Darmstadt hat am Dienstag einen 48 Jahre alten Viernheimer wegen schweren sexuellen Missbrauchs seiner rund 35 Jahre jüngeren Cousine zu vier Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt.
Schwere Tatvorwürfe
Es sind schwere Tatvorwürfe, die im alten Schwurgerichtssaal zur Sprache kommen – so schwer, dass die Eltern des Opfers während der Verhandlung immer wieder um Fassung ringen. Der Cousin des Mädchens muss schon bei der Anklageverlesung aufgewühlt den Gerichtssaal verlassen und schreit dem Angeklagten wütend entgegen: „Du bist Abschaum.“
Auch nach der Urteilsverkündung kochen die Emotionen hoch. Der Cousin stürzt im Flur mit geballten Fäusten auf den Verurteilten zu und kann nur mit Mühe von seiner Familie zurückgehalten werden. Verteidiger Steffen Lindberg und sein Mandant müssen sich zum Schutz in einem Geschäftszimmer des Gerichts einschließen. Justizwachtmeister sind zunächst nicht erreichbar und stürmen erst einige Minuten später herbei, um die Situation zu klären.
Fünf Jahre lang, von April 2015 bis März 2020, hat sich der 48-jährige arbeitslose Viernheimer an seiner zu Beginn der Taten etwa sechsjährigen Cousine vergriffen. Er hat ihr auf dem Handy pornografische Bilder gezeigt. Mindestens vier Mal hat er auf dem Parkplatz eines Supermarkts, während die Mutter einkaufen war, das Mädchen in dessen Intimbereich angefasst und es vergewaltigt. Außerdem forderte er sie mehrfach auf, ihn unsittlich zu berühren. Einmal hat er sich im Garten von Verwandten vor dem Mädchen und dessen Cousine entblößt und onaniert. Erst nach fünf Jahren offenbarte sich das Kind seinen Eltern.
Der 48-Jährige genoss das Vertrauen der Familie, verbrachte mit ihr den Alltag. Nach Abschluss der Förderschule machte er eine Bäckerlehre und arbeitete zehn Jahre in dem Beruf, bis er nach eigener Darstellung durch eine Firmenfusion den Job verlor, dann einige Ein-Euro-Jobs machte und zuletzt Hartz IV bezog. Als 2106 seine Mutter starb, nahm sich die Familie der Schwester seiner verstärkt an. Nach Darstellung der Mutter des Opfers, seiner Tante, habe er nie zuvor ein pädophiles Interesse gezeigt.
„Typischer Fall“
„Es ist ein typischer Fall – mal wieder“, sagt Oberstaatsanwalt Wolfgang Sattler. Der Angeklagte habe sich als naher Verwandter – die Cousine nannte ihn wegen des großen Altersunterschieds „Onkel“ – das Vertrauen des Mädchens erschlichen und es missbraucht. Nach Abwägung der Umstände fordert Sattler vier Jahre und sechs Monate. Rechtsanwältin Anne Patsch, Nebenklagevertreterin für die Eltern des Opfers, schließt sich der Forderung an.
Ein typischer Fall ist es auch für Strafverteidiger Steffen Lindberg, der vier Jahre für tat- und schuldangemessen hält. Der Angeklagte habe gerade noch die Kurve bekommen und ein Geständnis abgelegt. „Mein Mandant bedauert sein Verhalten zutiefst, entschuldigt sich und ist bereit, die Verantwortung für seine Taten zu übernehmen“, sagt Lindberg, der das Mandat relativ kurzfristig im Verlauf des Verfahrens übernommen hatte. Mit dem Geständnis erspart er dem jungen Opfer die Aussage vor Gericht. Und nicht zuletzt deshalb kann die Beweisaufnahme zügig vonstatten gehen, so dass die Kammer schon nach zwei Stunden das Urteil sprechen kann.
Lücken in der Sicherheit
„Sie können froh sein, dass Sie die Verteidigung in letzter Minute gewechselt haben“, sagt Vorsitzender Richter Euler. Man sei in der Mitte des Strafmaßes geblieben. An die Adresse des Angeklagten sagt er: „Wenn Ihre Mitgefangenen mitbekommen, was Sie getan haben, dann wird das keine einfache Zeit für Sie im Gefängnis.“
Für Verteidiger Lindberg ist der Angriff auf seinen Mandanten ein Grund, Richter Euler einen Brief zu schreiben. Das Landgericht Darmstadt, so Lindberg, möge doch bitte seine Sicherheitsstruktur überprüfen. Es könne nicht sein, dass es weder einen Alarmknopf gebe noch dass Justizmitarbeiter Wachtmeister auch telefonisch nicht alarmieren könnten.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/viernheim_artikel,-viernheim-viernheimer-wegen-schweren-sexuellen-missbrauchs-verurteilt-_arid,2040926.html