Viernheim. Schockiertes Schweigen. Das kennen sie alle, die Mitarbeiter im Viernheimer Hospiz Schwester Paterna. Aber nicht während ihrer Arbeit, sondern außerhalb davon. „Wenn ich von meinem Beruf erzähle, wird es sofort ruhig“, sagt Krankenschwester Yvonne Wiesenbach. „Geht es euch auch so?“, fragt sie ihre Kollegen. „Ja, genau“, rufen die anderen. „Und dann kommt immer: Ich könnte das ja nicht!“, sagt Pfleger Philipp Braun. Gelächter. Nicken. Kaffee wird nachgeschenkt. Aber im Ernst: Wie ist es denn, im Hospiz zu arbeiten? Zu wissen, dass jeder Gast, der dort einzieht, bald sterben wird?
Zeit für die Patienten zu haben, das ist eine große Motivation
23 Menschen arbeiten im Viernheimer Hospiz. Manche schon seit der Eröffnung des Hauses vor fünf Jahren, so wie Susanne Rödel. Die meisten haben vorher jahrelang Erfahrungen in Krankenhäusern gesammelt so wie Stefanie Knapp.
Direkt nach der Ausbildung für die Arbeit im Hospiz entschieden hat sich dagegen Pfleger Philipp Braun, mit 21 Jahren der jüngste in der Runde. Was sie eint: Sie pflegen und begleiten schwer kranke Menschen in deren letzten Lebenstagen. In der heutigen Folge der Serie „HospizLeben“ erzählen sie, wie sie dabei motiviert. Und wie für manchen von ihnen der Tod an Schrecken verloren hat.
Als Krankenschwester Stefanie Knapp nach Jahren im Krankenhausdienst die Stelle im Hospiz antrat, fragte sich die 56-Jährige, ob diese Arbeit die richtige für sie ist. „Aber ich merkte sofort: Diese Arbeit hier habe ich genau so gelernt, als ich Krankenschwester wurde.“ Endlich, nach Jahren der Überarbeitung auf Intensivstationen, in OPs und in der Notfallmedizin, spürte sie: „Hier kann ich wieder Menschen helfen.“ Nicht mehr wie früher im Krankenhaus schnell Medikamente verabreichen und weiter hetzen zum nächsten Bett.“
Hospize in Deutschland
- Im Hospiz können schwer kranke Menschen ihre letzte Zeit bis zum Tod verbringen. Voraussetzung ist, dass sie unheilbar krank sind, ihr Tod naht und sie Palliativpflege brauchen, die zu Hause nicht möglich ist.
- Seit 2009 ist das Hospiz für Krankenversicherte kostenlos. Die Krankenkasse übernimmt 95 Prozent der Kosten, den Rest finanzieren die Hospize durch Spenden.
- Die Zahl der Hospize steigt. Heute gibt es laut dem Deutschen Hospiz- und Palliativverband in Deutschland 260 stationäre Häuser wie das Hospiz Schwester Paterna. Dazu kommen 340 Palliativstationen in Krankenhäusern und 19 spezielle Kinderhospize.
- Mehr als 120 000 Menschen bringen sich bundesweit in der Hospizarbeit ein – hauptamtlich und ehrenamtlich.
Corona war die schlimmste Zeit. „Das Sterben an den Maschinen zu erleben, das konnte ich nicht mehr. In einer Schicht übernahm ich damals vier Patienten und um 11 Uhr waren alle tot. Und ich konnte nichts für sie tun. Da fasste ich den Beschluss: Ich muss da raus,“ sagt sie. Ihre Kollegin Susanne Rödel nickt. Auch sie kennt das Arbeiten im Krankenhaus. „Im Krankenhaus zu sterben ist viel schlimmer“, sagt sie. Denn mangels Pflegekräften seien dort Menschen im Moment des Todes meist ganz allein, während sich im Hospiz in jeder Schicht mindestens zwei Pflegekräfte um die zehn Gäste kümmern.
„Das Hospiz ist ein Ruhepol im Vergleich zum Altersheim, wo ich während der Ausbildung gearbeitet habe“, sagt Pfleger Philipp Braun. „Dort waren wir zu zweit für 40 Patienten verantwortlich!“ Schon der erste Blick ins Hospiz überzeugte ihn: „Es war einfach unfassbar schön, welche Fürsorge dort möglich ist.“ Im Hospiz können sich die Mitarbeiter intensiv um jeden Gast kümmern. „Ich habe Zeit hier“, erklärt Braun. „Ich kann mich auch einfach mal mit den Gästen hinsetzen und erzählen.“
Für die Kranken da zu sein - das verstehen die Hospizmitarbeiter nicht nur pflegerisch, sondern vor allem menschlich. So wie Krankenschwester Yvonne Wiesenbach, der eine Frau anvertraute, dass sie sich durch ihre Krankheit nicht mehr weiblich fühle: „Da habe ich gesagt: Ich schminke dich!“, erzählt sie.
Ob es eine solche Aktion ist oder auch nur eine tröstende Hand auf einer Schulter - Susanne Rödel bringt auf den Punkt, um was es für sie und ihre Kollegen geht: „Ich will den Menschen Lebensqualität geben.“ Auch wenn das bedeutet, deren Schicksal nahe an sich heranzulassen. So wie es Stefanie Knapp mit der ersten Frau erlebte, die sie im Hospiz betreute: „Sie war 15 Jahre jünger als ich, das war schwer für mich“, erzählt sie. Was die Pflegerin besonders forderte: „Sie hatte Fragen, die mich an meinen Grenzen brachten. Zum Beispiel wollte sie wissen, wie sie trotz eines Katheters noch einmal mit ihrem Partner intim werden könne. Ich wusste erst nicht: Was soll ich sagen?“ Doch dann reagierte Knapp ganz praktisch, eben menschlich: Sie zog den Katheter und schenkte der Patientin so den Moment der Nähe.
Und ja: Der Tod der Menschen, denen sie so nahe kommen, mache sie auch traurig. „Wir haben zusammen geweint. Ich fand es so ungerecht. Sie war noch so jung“, erinnert sich Knapp zum Beispiel an den Moment, als das Leben ihres ersten Gastes endete. Aber alle, die im Hospiz arbeiten, haben auch gelernt, mit diesen Momenten umzugehen. „Normalerweise ziehe ich das mit dem Kasack aus und nehme nichts mit nach Hause“, sagt Philipp Braun. Aber es gebe auch Ausnahmen. „Dann kann ich aber mit meinen Eltern reden. Die hören mir zu.“ In einem sind sich alle drei einig: Das Schwerste ist es für sie nicht, die Menschen gehen zu lassen, die sie betreut haben. „Schwer ist es, wenn jemand nur ganz kurz bei uns war und wir keine Chance hatten, etwas für ihn zu tun“, sagt Susanne Rödel.
Leben wird kostbarer durch die Konfrontation mit dem Tod
Den Tod als ständiger Begleiter im Arbeitsalltag zu haben, macht die drei nicht traurig. Er hat aber trotzdem Einfluss auf ihr Leben: „Ich habe dadurch gelernt, wieder mehr auf meine Lebensqualität zu achten“, sagt Riedel. Auch im Dienst. „Wir lachen viel, untereinander und mit den Gästen“, sagt Philipp Braun. Gemeinsam feiern sie das Leben, weil sie wissen, dass es schnell vorbei sein kann. Das hat vielen Mitarbeitern auch die Angst vor dem eigenen Tod genommen. „Ich bin dankbar für mein Leben“, sagt Philipp Braun.
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