Viernheim. „Rufen Sie jetzt bitte meinen Mann an. Jetzt gleich!“ So eindringlich bittet die Bewohnerin des Hospizes darum, dass Krankenschwester Yvonne Wiesenbach sofort zum Telefon greift. Obwohl sie sich wundert. So schlecht scheint es der Frau gar nicht zu gehen. Doch die Pflegerin weiß auch: „Manche Menschen sagen: Morgen bin ich nicht mehr da. Und dann kommt es genau so.“ Sie zögert lieber nicht. „Die Frau starb noch am selben Nachmittag. Und ihr Mann war bei ihr“, erinnert sich Wiesenbach.
Hospiz in Viernheim: Unheilbar kranke Menschen verbringen hier ihre letzten Tage
Es ist ein Moment, der Gänsehaut erzeugt. Davon gibt es viele im Viernheimer Hospiz Schwester Paterna. Vor fünf Jahren, am 19. Februar 2019, öffnete das Hospiz seine Tür für seinen ersten Gast. Seitdem verbrachten mehr als 500 unheilbar kranke Menschen, deren Tod nahte, in dem Haus in der Seegartenstraße ihre letzten Tage. Anlässlich des fünfjährigen Jubiläums des Hospizes startet heute die Serie „HospizLeben“, die die Tür ins Hospiz öffnet und uns mitnimmt auf eine Reise mitten ins Leben - bis zum Moment des Sterbens.
Wir besprechen mit unseren Gästen: Wie soll ihr Sterben aussehen?
Düster. „So stellen sich viele Leute den Tod im Hospiz vor“, sagt Pfleger Philipp Braun. „Als würden dort Menschen in einem grauen Betonbunker sterben.“ Sein Blick gleitet dabei über die helle Wohnküche des Hauses, über eine weiche Couch, bunte Vorhänge, einen angeschnittenen Kuchen. Er erklärt: Die Aufgabe eines Hospizes sei es, das genaue Gegenteil eines schrecklichen Ortes zu sein. Neben der palliativen Pflege gehe es darum, es den Gästen noch einmal gemütlich zu machen, ihnen Wünsche zu erfüllen, mit ihnen schöne und lustige Momente zu erleben - und dann auch den allerletzten Moment im Leben des Gastes. Den Moment des Sterbens.
„Wir besprechen mit unseren Gästen: Wie soll ihr Sterben aussehen?“, erzählt Janina Otte, eine der beiden Hospizleiterinnen. Die Antworten fallen so unterschiedlich aus wie Menschen eben sind. „Weißt du noch, die Frau, die an jedem Fuß einen anderen Tanzschuh trug, als sie starb?“, fragt Krankenschwester Wiesenbach. Otte nickt. „Sie hat zwei Tanzsportarten geliebt und wollte beide bei sich haben.“
Niemand soll im Augenblick des Todes allein sein
Nicht jeder Gast begeht seine letzte Reise im Bett. Wie etwa der Mann, der auf der Terrasse zum letzten Mal die Augen schloss, in der Hand ein Glas Weißbier, umringt von Freunden. Oder wie die Großmutter, deren Familie - „da waren um die 40 Personen“, erinnert sich Pflegerin Wiesenbach - sie im Krankenbett in die Hospizkapelle schob und die ganze Nacht Gottesdienst feierte. „Drinnen wurde gesungen, musiziert und gebetet. Und während dieser Nacht starb sie“, erinnert sich die Krankenschwester lächelnd.
Sie hat gespürt, dass wir da waren
Viele solcher besonderen Momente haben sich in die Herzen des Pflegeteams eingraviert. „Da war eine Frau, die von einem Pfarrer gesegnet wurde. Und dann wünschte sie sich, dass auch wir Mitarbeiter sie segnen“, erinnert sich Otte. Dieser Moment soll so sein, wie der Sterbende es sich wünscht. Und: Niemand soll in diesem Augenblick allein sein. „Wenn einer von uns die ganze Schicht bei einem Gast am Bett sitzt, weil es vielleicht zu Ende geht, dann machen die Kollegen den Rest allein. Das ist ganz klar“, sagt Krankenschwester Stefanie Knapp. Manchmal kommen auch alle Mitarbeiter zusammen: „Beim Sterben einer Frau saßen alle, die Dienst hatten, um ihr Bett, bis zum letzten Atemzug“, erinnert sich Yvonne Wiesenbach. „Wir haben nicht geschwiegen, sondern uns Anekdoten von ihr erzählt.“ Sie ist sich sicher: „Sie hat gespürt, dass wir da waren.“
Moment des Alleinseins: Manche schleichen sich in Stille davon
Manch anderer schleiche sich in aller Stille davon. „Sie scheinen extra den Moment des Alleinseins zu nutzen, wenn jemand, der die ganze Zeit am Bett saß, nur kurz auf Toilette geht“, sagt Ines Steyrleuthner, die zweite Leiterin des Hospizes. „Weil sie nur dann gehen können.“ Wieder andere können erst loslassen, wenn alles erledigt ist. Wie der ältere Herr, der beim Einzug ins Hospiz erklärte, er habe noch einen letzten Termin. „Er ging hin und hielt seinen Vortrag, obwohl er kaum noch Luft bekam“, erzählt Krankenschwester Susanne Rödel. „Am nächsten Tag stand er nicht mehr auf. Er hatte nur noch auf diesen Termin hingelebt.“
Doch das Sterben markiert noch nicht den Schlusspunkt eines Lebens im Hospiz. „Nach dem Tod dürfen Menschen in Hessen 36 Stunden im Hospizzimmer bleiben“, erklärt Ines Steyrleuthner. In dieser Zeit wäscht das Team die Verstorbenen, kleidet sie - oft zusammen mit den Angehörigen - so an, wie sie bestattet werden sollen. „Da lackiert auch mal eine Tochter noch der Mutter die Nägel, weil die das liebte. Oder eine Ehefrau knöpft ihrem Mann den Hemdkragen zu.“ In aller Ruhe darf Abschied genommen werden. Erst dann verlässt der Gast das Hospiz. „Durch die Eingangstür, durch die er auch gekommen ist!“
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