Am Ende bleibt ein Satz besonders hängen: „Wir haben es selbst in der Hand, uns glücklich zu machen. Bis zum Tod.“ Ein kurzer Schreck, denn da ist dieses düstere Wort: der Tod. „Den wir in der heutigen Zeit leider viel zu sehr verdrängen“, sagt Ines Steyrleuthner vom Viernheimer Hospiz Schwester Paterna. Bei ihrer Arbeit spürt sie immer wieder: Der Tod ist nicht das Gegenteil des Glücks. Und wer das Leben genießt, muss den Tod nicht fürchten. Ihre Idee, diese Gedanken in einen unterhaltsamen Kabarettabend anlässlich des Welthospiztages zu packen, klang anfangs wie ein Wagnis. Doch am Samstagabend zeigt sich: es funktioniert.
Kurz vor Beginn der Veranstaltung dringt lautes Stimmengewirr aus der alten TSV-Halle, es wird gelacht. Hier soll es gleich ums Sterben gehen? Abgeschreckt hat das Thema schon mal nicht. Der Raum ist voll besetzt, bis auf den letzten Platz. „Wir hätten noch viel mehr Karten verkaufen können“, sagt Steyrleuthner vom Hospiz-Leitungsteam und schaut sich überwältigt um. Als es losgeht, senkt sich dann doch ein Schweigen über das Publikum, das ein bisschen beklommen wirkt.
Zustimmendes Gemurmel im Saal
Es hält aber nur wenige Minuten. Dann dröhnt das erste Mal Gelächter durch die Halle. Das liegt an Kabarettist Peter Gutschalk aus Lampertheim, der das Stück „Hospiz? Kenn ich ned!“ eigens für diesen Abend geschrieben hat. Ihm gelingt es scheinbar mühelos, das schwere Thema leicht zu machen. Mitten durch die Halle spaziert er zur Bühne - mitten durch die Menschen, über die er den Rest des Abends sprechen wird.
Vom ersten Moment an wirkt sein Auftritt nicht wie ein Theaterstück, sondern wie ein lockeres Gespräch mit seinem Publikum. Verstärkt wird das noch durch seinen Lampertheimer Dialekt. Die Besucher können gar nicht anders, als ihm zu antworten. Immer wieder geht ein zustimmendes Murmeln durch den Raum, wenn Gutschalk sich und allen Zuschauern ironisch den Spiegel vorhält. Immer wieder bringt er die Besucher zum Lachen, manchmal vervollständigt das Publikum sogar unwillkürlich seine Sätze.
Eigentlich kein Wunder, denn es geht um das Leben, das schließlich jeder kennt. Und Gutschalk schildert es so, dass sich die meisten Zuhörer darin auch bestens wiedererkennen. Sei es in dem täglichen Stress, der einen aufzufressen droht. In der ständigen Suche nach Glück. Oder ganz simpel in der Art, die Zeitung aufzuschlagen und als allererstes auf die Todesanzeigen zu schauen. Gelächter schallt an dieser Stelle mal wieder durch den Raum. Anscheinend geht es nicht nur Gutschalk so. Als hätte er sein Publikum gerade zufällig auf der Straße getroffen, kommt er ins Plaudern. Eher zufällig, so scheint es, fällt ihm dabei sein früherer Kumpel Berthold ein, dessen Todesanzeige er kürzlich in der Zeitung entdeckte. Und als dessen letzte Adresse das örtliche Hospiz angegeben war. „Hospiz? Kenn ich ned!“, sagt Gutschalk verblüfft. Was hatte sein Freund nur da gewollt, in einem Haus, in dem nur gestorben wird? „Er hatte doch Familie“, empört sich Gutschalk.
Doch dann sinkt der Kabarettist auf einen Stuhl auf der Bühne und erzählt weiter. Wie er von einer Sterbebegleiterin im Hospiz erfuhr, warum Berthold sich dafür entschieden hatte, dort seine letzten Tage zu verbringen. „Er hat zu ihr gesagt: Dort hab ich den ganzen Tag Leute um mich, die sich um mich kümmern. Die mich aber auch in Ruhe lassen, wenn ich das brauche. Da bin ich kein Patient, da bin ich Gast.“
Schwelgen in Erinnerungen
Wie viele Trauende pendelt er bei seiner Erzählung zwischen Fassungslosigkeit („Und jetzt stirbt der einfach!“) und lustigen Erinnerungen. Das Publikum folgt Gutschalk durch dieses Auf und Ab, schweigt nachdenklich, wenn der Kabarettist ernsthaft spricht, bricht in Lachen aus, wenn er in Kindheits-Erinnerungen schwelgt, die alle kennen: von wilden Radtouren mit den Jungs, von langen Nächten in Partykellern als Jugendlicher mit Schwarzlicht und Stehblues, von „Willst du mit mir gehen“-Zetteln, die in der Schule an Mädchen gereicht wurden.
„Der Berthold wusste sich glücklich zu machen“, resümiert Gutschalk und erzählt, dass sein Kumpel das auch noch kurz vor dem Tod geschafft habe. Einen Kinoabend im Hospiz habe er organisiert, die Stimmung müsse grandios gewesen sein, „am Ende haben alle eine Polonaise durchs Haus gemacht.“ Und einen letzten Traum habe er sich erfüllt: mit dem Porsche nach Frankreich fahren. „Fünfmal wurde er geblitzt, aber er hat gesagt: Ist mir doch egal!“ Wieder hallt Gelächter durch die Halle.
Berthold ist fiktiv, die Anekdoten sind wahr
Was den Vortrag umso berührender macht: Berthold ist zwar fiktiv, die Anekdoten, die Gutschalk erzählt, sind aber wahr. Bei seinen Besuchen im Hospiz hat der Lampertheimer Kabarettist sie gehört und daraus und aus allem anderen, was er in dem Haus in der Seegartenstraße spürte, erlebte und hörte sein Stück geschrieben. Was für ihn dabei klar wurde, gibt er am Ende seinem Publikum mit: „Der Berthold hat’s verstanden. Wir müssen uns selbst das Leben schön machen. Vom ersten Moment bis zum letzten.“
Genau das setzen die Besucher danach auch prompt um. Denn Fabienne Partsch an der Harfe und Sängerin Megan Hill, die bereits Gutschalks Auftritt musikalisch umrahmt haben, schenken den Zuhörern im Anschluss ein intimes kleines Konzert mit vielen schönen Momenten durch ihre Interpretation bekannter Lieder wie „Fix you“, „Crazy“, „Wish you were here“ oder Eigenkompositionen wie „Upside down“ von Megan Hill.
Für beide ist es selbstverständlich, beim Benefizabend zugunsten des Hospizes Schwester Paterna aufzutreten. „Sie haben gesagt: Klar unterstützen wir euch. Wir sind doch Viernheimer Mädels“, erzählt Ines Steyrleuthner von der Hospizleitung, als sie am Ende alle dankt, die den Abend ermöglicht haben. Wie auch dem TSV und der Stadt, die dafür kostenlos die Halle zur Verfügung stellten. Nur zögerlich gehen die Zuschauer nach dem Schlussapplaus nach Hause, viele unterhalten sich noch, der Abend hallt lange nach. Auch in Ideengeberin Steyrleuthner. „Diese Augenblicke, wenn irgendetwas im Raum ist, das man gar nicht so ganz benennen kann, die nennen wir im Hospiz heilige Momente“, sagt sie leise. „Davon gab es heute einige!“
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