Menschen in Viernheim - Fastnachter Werner Beidinger steht seit 50 Jahren in der Bütt / Politischer Witz statt Ballermann-Rhythmen

Der doppelte Musikprofessor

Von 
Kathrin Miedniak
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© Sandra Usler

Dass Werner Beidinger an Fastnacht immer am Klavier auftritt – ein Zufall, der nur entstand, weil der Viernheimer einmal unter Zeitdruck einen Bühnen-Vortrag entwerfen musste. „Ich dachte, mit Musik vergeht die Zeit schneller“, erklärt der 56-Jährige. Dass aus dem Musikstudent, der sich für seine Büttenreden die Rolle des „Professors der Musik“ ausdachte, später ein echter Musikprofessor an der Universität Potsdam wurde – ein weiterer Zufall, meint Beidinger. „Aber der allergrößte Zufall“, sagt er, „ist, dass ich überhaupt zur Fastnacht kam“.

Schuld daran ist eine Schallplatte mit Büttenreden des Mainzer Fastnachters Rolf Braun. Ein Werbegeschenk, das seine nicht besonders fastnachtsbegeisterte Mutter in den Schrank legte, zwischen Beidingers Märchen-Schallplatten. Fünf Jahre ist er alt, als er die Fastnachtsplatte findet – und so oft anhört, bis er die Büttenrede auswendig kann. „Ich habe das eins zu eins imitiert, mitsamt Mainzer Dialekt“, erinnert sich Beidinger lachend. Zum Geburtstag seiner Uroma trägt er sein Kunststück vor, sehr zur Begeisterung eines Gastes, der Mitglied beim Club der Gemütlichen (CdG) ist. Noch im selben Jahr tritt er zum ersten Mal in der Fastnacht auf. Und hat seitdem nicht mehr aufgehört.

50 Jahre lang ist der Viernheimer Büttenredner. Keine Saison hat er ausgelassen. Als Kind lernte er Jahr für Jahr eine neue Schallplatte mit einer Büttenrede auswendig, als Teenager trat er als Witze reißender „Heiterer Fridolin“ auf, als Student begann er, eigene Texte zu schreiben und sie mit umgedichteten Liedern als „Professor der Musik“ vorzutragen – verkleidet mit einer Gummi-Glatze. „Die habe ich aber schnell weggelassen“, sagt er und schüttelt sich bei der Erinnerung. Stattdessen hat er seit Langem ein anderes Markenzeichen: eine bunte Weste voller Notenschlüssel. „Extra bestellt in Covent Garden in London.“

Aber egal in welcher Verkleidung: Der Viernheimer Fastnachter ist immer heiß begehrt. Als Kind stand er an manchen Abenden auf sieben Bühnen. „Draußen wartete mein Vater, das Auto mit laufendem Motor schon in Fahrtrichtung des nächsten Auftritts gewendet“, erinnert sich Beidinger. Später reiste er kreuz und quer durch Deutschland zu Prunksitzungen und Fernseh-Aufzeichnungen für ZDF oder ARD. Heute sind es zwar nur noch 80 Auftritte pro Saison, aber auch das bedeutet: Jedes Wochenende im Januar und Februar reist er von Potsdam in seine alte Heimat.

Gesetzt ist dabei sein Auftritt bei der CdG-Sitzung im Bürgerhaus. Ein Auftritt, vor dem dann trotz aller Erfahrung ein wenig Lampenfieber aufflackert. „Zu Hause herrscht eben ein gewisser Erwartungsdruck“, sagt Beidinger schmunzelnd. Trotzdem: Stress sei das nicht. Auch nach all den Jahren ist er immer noch fasziniert – von dem Moment, in dem er das Publikum „kriegt“, wie Beidinger es nennt. Wenn ihm alle zuhören, wenn seine Pointen treffen, wenn der Applaus aufwallt. „Wenn vorher Stimmungsmusik gespielt wurde, ist es manchmal schwer, die Aufmerksamkeit zu gewinnen“, erklärt der Routinier. „Aber ich liebe diese Herausforderung.“ Zwei Monate lang im Jahr ist er im Fastnachts-Ausnahmezustand. Danach kehrt der 56-Jährige wieder in sein normales Leben zurück – als echter Professor für elementare Musikpädagogik.

Auf der Jagd nach Themen

Wenn er im Hörsaal steht, Fachaufsätze schreibt oder Vorträge überall auf der Welt hält, ist Fastnacht für ihn ganz weit weg. „Ich denke das ganze Jahr nicht daran“, sagt er. Erst nach Weihnachten ändert sich das. Dann durchforstet Beidinger sämtliche Jahresrückblicke auf der Jagd nach Themen für seinen neuen Bühnenvortrag.

„Manchmal brauche ich lange für meine Texte – und werfe am Ende alle in die Tonne“, sagt er. „Und manchmal entsteht der größte Renner in nur zehn Minuten.“ An seinem Programm feilt der Fastnachts-Experte auch noch während der Saison. Wie gerade jetzt, als er einem Lied über die AfD nach der Thüringen-Wahl eine neue letzte Strophe verpasste. Das ständige Umarbeiten passend zu den aktuellen Geschehnissen ist das Los des politischen Büttenredners – einer aussterbenden Art, wie Beidinger seit Jahren beobachtet.

„Als ich anfing, war ich immer der Jüngste auf der Bühne. Und heute bin ich es oft immer noch“, sagt er und seufzt. Mit Bedauern sieht er, dass es immer weniger Beiträge gibt, wie er sie liebt: politisch, kritisch, mit pfiffigem Wortwitz, eher Kabarett als Klamauk. Und bitte ohne Ballermann-Musik. Die ist nämlich nicht sein Geschmack – da sind sich der Fastnachts- und der echte Musikprofessor absolut einig.

Freie Autorin

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