Politisches Engagement

Bürgernetzwerk will Viernheimern eine Stimme geben

Das Bürgernetzwerk Viernheim plant, bei der Kommunalwahl am 15. März 2026 anzutreten. Ein Gespräch über Motive und Ziele – gespickt mit jeder Menge Kritik an Politik und Stadtverwaltung.

Von 
Martin Schulte
Lesedauer: 
Wollen neue Wege beschreiten (v.l.): Michael Kosbau, Bekir Atak, Sabine Martin und Wolfram Theymann. © Martin Schulte

Viernheim. In Viernheim wird zu vieles über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden. Die Parteien in der Stadtverordnetenversammlung sind festgefahren. Politik geschieht unter Verschluss. Die Pfade sind ausgetreten. Der Stadtverwaltung mangelt es an Kreativität und Innovationswillen. Und überhaupt: Mit der Bevölkerung wird nicht ausreichend gesprochen, ihr wird nicht genug zugehört. Soweit die Zusammenfassung der Pressekonferenz des Bürgernetzwerk Viernheim. Diese neue freie Wählergemeinschaft will zur Kommunalwahl am 15. März kommenden Jahres antreten. Ziel: die stärkere Einbeziehung Bevölkerung.

Kommentar Ritt auf der Frustwelle

Veröffentlicht
Kommentar von
Martin Schulte
Mehr erfahren

Als Kopf der Initiative darf Wolfram Theymann betrachtet werden. Es ist kein Unbekannter in Viernheim. Der Parteilose ist bei der Bürgermeisterwahl zusammen mir drei weiteren Bewerbern an Matthias Baaß (SPD) gescheitert. Außerdem arbeitet er sich in seinen Leserbrief regelmäßig an der Stadtverwaltung ab.

Sabine Martin zählt zu der Gruppe. Sie war bis vor kurzem im Vorstand der Viernheimer CDU, mittlerweile gehört sie auch der Partei nicht mehr an. Michael Kosbau, früher bei der SPD, heute beim Bündnis Sahra Wagenknecht, macht ebenfalls mit. Der Vierte im Bunde beim Pressegespräch am Donnerstagabend in der Kulturscheune ist Bekir Atak. Er war zuvor nicht politisch aktiv.

Herrscht „großer Unmut“ in der Viernheimer Bevölkerung?

Die Formulierung „großer Unmut in der Bevölkerung“ macht unzählige Male die Runde bei diesem Gespräch. Keine Frage, wer daran schuld ist: Stadtverwaltung und Politik. Auf die Bitte um Konkretes sagt Atak: „Die Neugestaltung des Tivoliparks zum Beispiel. Da hätten viele Menschen sich gerne eingebracht. Sie blieben aber außen vor.“ „Es gab schon einen Beteiligungsprozess. Aber die Vorschläge wurden nicht aufgenommen“, behauptet Theymann. Wieder fällt „großer Unmut der Gesellschaft“.

Bei der Gestaltung des Tivoliparks hätten viele gerne mitgeredet, meint das Bürgernetzwerk. © Martin Schulte

Er wolle selbst etwas tun, nicht nur zuschauen, begründet Bekir Atak sein Engagement beim Bürgernetzwerk. Und, so wie ihm, ergehe es vielen anderen Bürgern. Sie wollten sich konstruktiv beteiligen – und eben nicht zur zuschauen. Bei der Neugestaltung der Innenstadt habe auch keine wirkliche Bürgerbeteiligung stattgefunden, sagt er.

Wolfram Theymann fährt mit dem Gehweg-Parkverbot fort. „Diese Kampagne hat schon ihren Sinn. Sie ist aber schlecht umgesetzt.“ Wenn Parkplätze wegfielen, müsse der öffentliche Nahverkehr eine Alternative bieten. Aber das sei nicht der Fall. Er führt weiter das Neubaugebiet Nordweststadt II ins Feld, das zahlreiche Bürger ablehnten. Dann kommt die Erhöhung der Grundsteuer B. Viernheim habe sein Sparpotenzial nicht genutzt, sondern Steuern erhöht, statt endlich freiwillige Leistungen zu kassieren. Welche das sein könnten, sagt er nicht.

Den Hinweis auf die knappen finanziellen Ressourcen der Kommune quittiert er mit: „Ich bin nicht so tief drin im Haushalt, wissen Sie. Das ist kein spannendes Buch.“

Michael Kosbau wirft ein, die Kommunalpolitik mache sich an übergeordneter Stelle nicht wirklich stark für eine bessere finanzielle Ausstattung der Stadt. Wie auch, schließlich würde man unter Parteikollegen nicht auf den Putz hauen. Das Argument der Kommunen, sie seien durch Wiesbaden und Berlin unterfinanziert, hält Kosbau deshalb für „Verschleierungstaktik“.

Aus vorgetragen Gründen hat sich das Bürgernetzwerk gegründet. Atak skizziert, was die Gruppe sich vorgenommen hat. „Widerstand gegen starre Strukturen klassischer Parteien“, heißt es etwa in seiner Präsentation. Jedes Chart endet mit einer „Metapher“ (Atak). Dieses schließt mit: „offene Fenster für Ideen, statt geschlossener Türen“.

Bürger-Workshops für gemeinsame Lösungen

Das Bürgernetzwerk beabsichtigt, eine Vielfalt von Formaten zur Beteiligung zu entwickeln. Experten sollen Wissen nach Viernheim bringen, Bürger in Workshops gemeinsame Lösungen erarbeiten können. Offene Gesprächsrunde soll es geben, allerdings ohne Verpflichtung.

Da Demokratie aktive Beteiligung vor Ort brauche, sind als Einstieg Leserbriefe und Diskussionen beabsichtigt. Ziel: „Bürger sollen sich nicht machtlos fühlen“. Die Metapher hier: „Demokratie als Mitmachstück, nicht als Theateraufführung“. Das will das Netzwerk besser machen, als andere: „Nicht nur reden, sondern zuhören und handeln“. Und Theymann: „Es gibt politische Aktivitäten in der Stadt, das sehen wir an den Interessengruppen mit gegensätzlicher Ausrichtung, wie bei Nordweststadt II. Diese Kräfte wollen zusammenbringen und nutzen.“

Im Anschluss an das Pressegespräch findet gleich der erste Workshop mit Bürgern statt. Sie können auf einem großen Flipchart markieren, was Viernheim bereits bietet, auf dem anderen, was ihnen fehlt. Theymann erklärt den Sinn: „Wir wollen eine Vision entwerfen für Viernheim. In welchem Viernheim wollen wir leben.“

Wie von Teilnehmern zu hören ist, sind die rund 40 Leute beim Workshop doch entfernt von der Dimension, die Theymann gerade noch postuliert hat. Im Kern sei es bei der Diskussion um Partikularinteressen Einzelner gegangen. Wobei Parkverbote und Strafzettel den größten Raum eingenommen hätten.

Redaktion Reporter.

Copyright © 2025 Südhessen Morgen

VG WORT Zählmarke