Kommentar Ritt auf der Frustwelle

Das neue Bürgernetzwerk Viernheim will bei der Kommunalwahl im März antreten. Dabei baut es auf den „großen Unmut in der Bevölkerung“. Martin Schulte meint, dass der Hauptakteur diesen Unmut aus Eigennutz gezielt verstärkt.

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Martin Schulte
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Viernheim. Der freiheitlichen Demokratie kann kaum etwas Besseres widerfahren, als dass sich neue politische Kräfte bilden. Solange diese eben freiheitlich-demokratisch denken und agieren. Davon kann man beim Bürgernetzwerk Viernheim, das sich jetzt auf die Kommunalwahl vorbereitet, ausgehen. Ein solches Engagement ist grundsätzlich ehrenwert.

Zumal vor dem Hintergrund der Erkenntnis, wonach sich immer weniger Bürger fürs Gemeinwohl interessieren oder sich gar aktiv dafür einsetzen. Die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit lehren doch gerade, dass der Einzelne sich nur dann öffentlich regt, sofern seine eigenen Interessen betroffen sind. Und die Erfahrung lehrt, wie sehr es in Mode gekommen ist, auf die Stadt und gleich auf den ganzen Staat zu schimpfen. Mitunter reicht ein einziger Strafzettel dafür aus. Als gäbe es da eine Lust, sich mehr oder weniger reflektiert über den Staat aufzuregen. Natürlich, wer nun doppelt soviel Grundsteuer abzuführen hat, als vor deren Reform, dem darf man seinen Groll nicht verübeln.

Als würde eine Frustwelle übers Land schwappen

Auch die Leute, die jetzt 55 Euro bezahlen müssen, wenn sie wie in den Jahrzehnten zuvor auf dem Gehweg in ihrer Straße parken, ärgern sich zu Recht. Das ist keine gute, keine gerechte Lösung. Zumal die Menschen keine Alternative haben. Aber häufig sind es eben schlicht Petitessen, die einen überproportionalen Frust hervorrufen. Als würde eine riesige Frustwelle übers Land schwappen.

Und warum „grundsätzlich ehrenwert“? Wolfram Theymann, der Kopf des Netzwerks, reitet diese Frustwelle. Und er verstärkt sie in der Stadtgesellschaft. Und das ist das Gegenteil von ehrenwert. Seine Leserbriefe – sowie seine Ausführungen bei der Pressekonferenz – machen das deutlich. Sein Bashing von Stadtverwaltung und Politik lässt nicht selten ausreichende Sachkenntnis vermissen. Motto: Immer schön drauf.

Auf die Einlassung des Autors in Sachen Grundsteuer, die finanzielle Lage der Stadt sei denkbar angespannt, sagt er mit einem Lachen: „Ich bin nicht so tief drin im Haushalt. Das ist kein spannendes Buch.“ Kaum oder keine Ahnung von der fiskalischen Realität, aber der Stadt Vorhaltungen machen. Das hat etwas Entlarvendes. Fakten? Bleib mir weg. Ein Charakteristikum von Populismus ist das Negieren von Realitäten und das Befeuern von gesellschaftlicher Unzufriedenheit.

Eine Anschuldigung als dreiste Unverschämtheit

Wolfram Theymanns Strategie setzt einen Keil zwischen Stadt und Bevölkerung. Staatsbürgerliche Räson geht anders: Zusammenzuführen muss das Ziel sein, gerade heute, und zwar nicht nur die Partikularinteressen einzelner, sondern alle Akteure zu verbinden, auch die der Stadt. Apropos: Der Kopf des Bürgernetzwerks verfolgt ebenfalls ein Partikularinteresse: erst ins Stadtparlament, dann ins Bürgermeisteramt.

Den Vogel in Sachen Unmut stiften indes schießt Michael Kosbau ab. Er sagt, sofern Kommunen sich auf eine Unterfinanzierung durch Land und Bund beriefen, handele es sich um „Verschleierungstaktik“. Diese – selbstverständlich nicht belegte – Anschuldigung ist eine dreiste Unverschämtheit. Zu nichts anderem geeignet, als den Leumund der entscheidenden Köpfe zu beschädigen. Und Wasser auf die Mühlen der Unzufriedenen zu schütten. Populismus.

Bleibt festzuhalten: Viernheim ist eine lebenswerte Stadt, die weit mehr Stärken als Schwächen hat.

Redaktion Reporter.

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