Schriesheim. Es ist schon ein wenig pikant. Da findet eine Informationsveranstaltung über Windenergieanlagen an der Bergstraße statt, und dies in einem Schriesheimer Gasthaus. Doch auf dem Podium diskutiert als sachkundiger kommunalpolitischer Gestalter der Bürgermeister aus Dossenheim. Der Rathaus-Chef aus Schriesheim sitzt zwar unten im Publikum, sagt aber kein Wort.
So geschehen am Freitagabend im Traditionsgasthaus „Hirsch“. Die Initiative Energiewende Bergstraße e. V. und die Ökostromer Dossenheim haben eingeladen, und der Saal ist voll. Gut hundert Menschen an den Tischen, fast ebenso viele, die mangels Sitzplätzen stehen müssen. Man sieht: Das Thema bewegt.
Warum der Dossenheimer Bürgermeister David Faulhaber auf dem Podium sitzt, wird klar, als er das Wort ergreift. Er ist im Entscheidungsprozess bereits viel weiter als Christoph Oeldorf - sogar bis hin zu Kontakten mit potenziellen Investoren. „Im November wurde das Interessensbekundungsverfahren gestartet“, berichtet er, so dass „wir die Angebote bis Februar 2025 auswählen, im März Bietergespräche durchführen und dem Gemeinderat zur Beschlussfassung vorlegen.“
In Schriesheim ist man davon weit entfernt. Die jetzige Veranstaltung soll für das Anliegen werben. André Baumann, der grüne Staatssekretär im Landesumweltministerium, verweist darauf, dass die Gemeinden vor Ort davon profitieren - durch Pachteinnahmen für das Gelände, auf dem die Anlagen stehen. Und dies in sechsstelliger Höhe: „Die kommen dann keinem Scheich und keinem Machthaber in Russland zu Gute.“ Doch Baumann verhehlt nicht: „Klar, die Anlagen sieht man.“ Und beim Bau gibt es Einschnitte im Wald. Aber es wird wieder aufgeforstet. Gerade um auf Naturschutz Rücksicht nehmen zu können, empfiehlt er, möglichst große Flächen auszuweisen: „Dann ist man in der Detailplanung flexibel.“
Naturschutzverbände sind nicht gegen Windenergieanlagen
Just der Naturschutz wird ja gerne als Argument gegen Windräder angeführt. Julius Schmidt, der für die Naturschutzverbände NABU und BUND spricht, macht jedoch klar: „Wir unterstützen Windenergie, aber sie muss naturverträglich sein.“ Seine Begründung: „Klimaschutz ist Artenschutz. Und duch Tiere sind Opfer des Klimawandels.“ Wie etwa die Gelbbauchunke, die sich nurmehr schwer fortpflanzen kann, da viele Gewässer austrocknen. Allerdings verlangt Schmidt detaillierte Prüfung in jedem Stadium der Planung. Nur wenn man Konflikte früh erkenne, könne man gegensteuern: „Es gibt Lösungsmöglichkeiten.“
„In Baden-Württemberg herrscht gegenüber Windenergie eine ganz andere Stimmung als etwa in Rheinhessen“, beobachtet Micha Jost von der Energiegenossenschaft Starkenburg. Und zwar eine sehr kritische. Sein Ratschlag: „Man muss Betroffene zu Beteiligten machen.“
Einen beeindruckenden Beitrag liefert die Studentin Clara Brombacher. Die Vertreterin von Fridays for Future aus Heidelberg ordnet die Sorgen vor Ort in die weltweite Problematik ein. Und sie macht klar: „Ohne Klimaschutz gibt es keinen Naturschutz. Denn auch die Wälder sind von der Klimakrise betroffen.“
Den Statements folgen die Fragen aus dem Publikum. Dafür kündigt Mit-Organisatorin Margrit Liedloff ein ungewohntes, aber effektives Prozedere an: Die Besucher notieren ihre Fragen auf Kärtchen. Das vermeidet Doubletten sowie Wortmeldungen, die zu Ko-Referaten geraten. Die Sorge vor „Zensur“ ist unbegründet. Moderator Thomas Rinneberg spricht gerade Kritisches an.
Darunter erneut der Naturschutz. Die Forderung nach mehrmaliger Prüfung in jedem Stadium sieht Baumann skeptisch: „Vom Wiegen wird die Sau nicht fett.“ Er verweist auf die Notwendigkeit zügiger Verfahren. Doch wenn geprüft wird, dann ganz detailliert, so versichert er. Dossenheim zum Beispiel hat das sichergestellt, wie Bürgermeister Faulhaber berichtet: „Wenn ein Investor gefunden ist, wird er verpflichtet werden, alle Prüfungen vorzunehmen.“
Flächenverbrauch pro Anlage wird oft zu hoch veranschlagt
Weiterer Diskussionspunkt: der Platzbedarf: „Ein Hektar pro Windrad und vier bis fünf Meter breite Zufahrtswege“, referiert Rinneberg die kursierenden Daten. Die stimmen und auch nicht. „Dauerhaft ist es nur ein halber Hektar“, erläutert Naturschützer Schmidt. Die andere Hälfte wird ja wieder aufgeforstet. Zudem wird Rücksicht auf Brutzeiten genommen, wenn die Bauphasen konzipiert werden. Baumann verweist auf einen anderen Aspekt: „Dank des technischen Fortschritts sind die Eingriffe heutzutage deutlich geringer als noch vor einigen Jahren.“
Und wer baut und betreibt die Anlagen? Ideal ist eine Bürgergenossenschaft wie jene in Starkenburg, für die Micha Jost spricht: „Das ist zwar keine Gelddruckmaschine“, bekennt er. Und außerdem vom Wind abhängig: „Aber drei, vier, fünf Prozent Dividende sind schon drin.“
Die zentrale Frage: Wie viele Windräder entstehen an der Bergstraße? Die Zahl 20 kursiert. Zu viel, korrigiert David Faulhaber: am Weißen Stein würden es vier bis sieben, mit Heidelberg insgesamt höchstens zwölf. Ob Schriesheim mitmacht, das entscheidet sein Rat im Januar. Dann ist auch Bürgermeister Oeldorf nicht mehr nur Zuschauer.
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