Schriesheim

Wie eine Verkehrsinsel in Schriesheim zum kleinen Biotop wird

Der Bewuchs einer Verkehrsinsel auf der Kreisstraße 4242 in Schriesheim ist insektenfreundlich umgestaltet worden. Dafür wurde der Rhein-Neckar-Kreis nun vom Landesverkehrsministerium geehrt

Von 
Konstantin Groß
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Zeremonie auf der nunmehr insektenfreundlich gestalteten Verkehrsinsel mit Landrat Stefan Dallinger (l.) und Staatssekretärin Elke Zimmer (r.). © Bild. Konstantin Groß

Tausende passieren sie täglich: die Verkehrsinsel auf der Kreisstraße 4242 vor Schriesheim. Aus Richtung Ladenburg geht es von hier geradeaus in die Weinstadt oder rechts ab nach Dossenheim. Manche mögen angesichts des wild sprießenden Bewuchses denken: Da ist aber seit langem nicht gemäht worden. Und sie könnten schließen: Die öffentlichen Grünflächen verfallen immer mehr.

Ganz falsch, muss man ihnen zurufen, das genaue Gegenteil ist nämlich richtig. Denn bei jener Fläche handelt es sich um eine, die bewusst weitgehend naturbelassen bleibt. Ziel: Insekten eine Heimat bieten. Und um eine, die gerade dadurch dem Landkreis Rhein-Neckar einen Preis des Verkehrsministeriums verschafft hat, der am Dienstag denn auch hier vor Ort übergeben wurde.

„Klimawandel kommt näher“

Welche Bedeutung die Politik dem Thema beimisst, das zeigt die Anwesenheit von Elke Zimmer. Die Staatssekretärin im Landes-Verkehrsministerium beginnt ihre Rede mit vier Ländern, die derzeit von Brandkatastrophen heimgesucht werden: Portugal, Spanien, Italien, Griechenland. Und sagt damit fast alles: „Der Klimawandel kommt immer näher.“

Die Landespolitik hat darauf reagiert: „Baden-Württemberg will 2040 klimaneutral werden“, erinnert die Mannheimer Grünen-Politikerin. Um dies zu erreichen, gibt das gerade ergänzte „Klimaanpassungsgesetz“ konkrete Schritte vor. Für das Verkehrsministerium bedeutet dies etwa: Priorität von Bestandserhaltung vor Neubau sowie Umgestaltung des Straßenbegleitgrüns.

Und der Umfang dieser Flächen von Pflanzen und Gehölzen an Straßenrändern ist gar nicht so unbedeutend: Immerhin 27 000 Hektar, „insgesamt so viel wie ein Viertel der Fläche des Rhein-Neckar-Kreises“, wie die Staatssekretärin erläutert. Diese sollen, wo möglich, insektenfreundlich umgestaltet werden.

Dramatisches Problem

  • Staatssekretärin Zimmer verweist in ihrer Rede auf Studien, wonach der Bestand der Insektenarten in den letzten Jahren um zwei Drittel zurückgegangen ist.
  • Laut Rhein-Neckar-Kreis sind 42 Prozent der heute noch existierenden Insektenarten stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht.
  • Die Folgen ihres Verschwindens wären dramatisch für das gesamte Ökosystem und damit auch für den Menschen: Denn drei Viertel aller Nutzpflanzen sind auf Bestäubung durch Insekten angewiesen.

Um erfolgreiche Initiativen von Landkreisen und Kommunen in diesem Bereich zu honorieren, schreibt die Landesregierung seit fünf Jahren den Wettbewerb „Blühende Verkehrsinsel“ aus. 2020 war der Rhein-Neckar-Kreis mit Verkehrsinseln an der B 45 bei Sinsheim und Meckesheim erfolgreich.

Nun überzeugte der Kreisel vor Schriesheim die Fachjury aus Vertretern des Ministeriums, der Hochschule Nürtingen und Naturschutzverbänden. Bewertet wurden sowohl das fachliche Konzept als auch die konkreten Maßnahmen, zum Beispiel das verwendete Saatgut. Der Lohn: die Auszeichnung „Goldene Wildbiene“ sowohl als Schild für den Kreisel vor Ort als auch als Plakette für die Straßenmeisterei.

„Dass wir nun zum zweiten Mal die Goldene Wildbiene des Landes gewonnen haben und die Auszeichnung von Ihnen persönlich entgegennehmen dürfen“, freut sich Landrat Stefan Dallinger, „das ist eine großartige Anerkennung für das außerordentliche Engagement der Mitarbeitenden unserer Straßenmeistereien.“ Engagement für Biodiversität sei ein wichtiges Anliegen des Kreises: „Für uns ist das kein Sonderthema, sondern gelebte Realität.“ Dass Flächen wie die jetzige an den Ortseingängen, also an zentraler Stelle lägen, sei dafür durchaus symbolisch: „Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance.“

Insgesamt 20 Hektar mit 74 Einzelflächen sind für die Umgestaltung im Blick, erläutert Matthias Knörzer, Leiter des Betriebsdienstes beim Kreis. Seine Leute setzen auf spezielle Pflanzen wie das Gemeine Ferkelkraut, das nun auch der Blauflügeligen Ödlandschrecke Heimat bietet – alles keine bekannten Namen von Tieren und Pflanzen und auch keine bunt blühenden Landschaften. Und dennoch schön, wie Knörzer findet, sofern man Schönheit in der Natur nicht unter rein optisch-ästhetischen Gesichtspunkten begreift.

Ganz sich selbst überlassen bleiben können auch solche Flächen jedoch nicht. „Zweimal im Jahr muss gemäht werden“, erläutert Rainer Kenz, Dienststellenleiter der Straßenmeisterei in Weinheim. Einfach ausgedrückt: Es muss Platz geschaffen werden, damit neue Gewächse austreiben können. Allerdings: Gewässert werden müssen, ja dürfen diese Flächen nicht: Das Ganze ist bewusst auf die neuen klimatischen Bedingungen ausgerichtet.

Vorbildfunktion für Private

Wichtig ist der Staatssekretärin jedoch auch die Vorbildfunktion des Staates für die Bürger und deren Bewusstsein. „Wenn jemand einen solchen Kreisel sieht, dann merkt er: Oh, hier hat sich was verändert“, hofft Zimmer. Und als Besitzer einer Wiese im heimischen Garten oder im Kleingarten könnte man überlegen: Was kann ich selbst machen?

Thomas Hoffmann vom NABU begrüßt die Aktion: „Auch kleine Flächen bringen was, wenn es viele werden.“ Neben dem öffentlichen Straßenbegleitgrün müsse man aber auch die privaten Schottergärten angehen – nicht nur mit Verboten, denn ein solches besteht ja bereits seit 2019, sondern mit Überzeugungsarbeit. Denn nur Bewusstseinsänderung sei eben – ja, verwenden wir ruhig dieses Wort, obwohl es so oft benutzt wird – nachhaltig.

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