Schriesheim. Nicht nur der Platz vor dem Historischen Rathaus ist voll. Nein, auch bis in die dorthin führende Heidelberger und die Kirchstraße stehen die Menschen dicht an dicht. Gut 500 schätzen die Polizei und die Moderatorin des Abends, Margrit Liedloff, gleichlautend, einige mittendrin halten 800 für möglich. Egal. Der optische Eindruck ist machtvoll, für die Demokratie, deren Erhalt diese Demonstration am Montagabend gilt.
Die Lautsprecheranlage reicht nicht aus, um auch die Menschen in den Seitenstraßen zu erreichen. Und so gilt auch für diese Veranstaltung wie für viele ähnliche zuvor: Die Organisatoren sind im umfassenden Sinne des Wortes überwältigt vom Andrang. Erst recht, nachdem es bis kurz zuvor heftig regnet, ja schüttet.
Beeindruckende Rede von Mika Kühnle auf der Demo in Schriesheim
„Unsere Demokratie ist in Gefahr, viele Mitmenschen in unserem Land haben Angst“, betont Jan Brüning im Namen von „Gemeinsam für Demokratie“: „Der Faschismus kriecht in unsere Gesellschaft zurück. Und wir müssen erkennen: Nie wieder ist jetzt“, aktualisiert er das Wort der Überlebenden des KZ Buchenwald.
Mehr als 20 Organisationen tragen die Initiative, darunter beide Kirchen, alle demokratischen Parteien, viele Vereine, unter anderem der Kraft-Sport-Verein. „Wir sind ein Verein, der auf Integration und Toleranz setzt“, betont KSV-Chef Claus Breutner. Klar stellt er sich schützend vor die Menschen mit Migrationshintergrund: „Sie sind unsere Nachbarn, Freunde und Kollegen.“
„Eigentlich hätte ich jetzt Training. Eigentlich ist es nicht ganz einfach, in meinem Alter vor so vielen Leuten eine Rede zu halten. Aber es gibt Zeiten, da müssen die Ausreden aufhören“ - so beginnt Mika Kühnle seine wahrlich beeindruckende Rede: „Es ist Zeit dafür, unsere Mitmenschen zu verteidigen“, sagt der Vorsitzende des Jugendgemeinderates: „Ich bin jung. Ich bin der jüngste Redner hier. Aber gerade für uns junge Leute ist es wichtig, jetzt aufzustehen“, mahnt er unter stürmischem Beifall: „Wir haben unsere ganze Zukunft noch vor uns. Und diese Zukunft wird aktiv bedroht. Von Funktionären, die einen Teil meiner Mitschülerinnen und Teamkameraden aus Deutschland vertreiben wollen. So etwas dürfen wir nicht zulassen.“
Der Arbeitskreis Schriesheimer Senioren zeigt das Generationsübergreifende der Aktion: „Von ganz jung bis super alt, würde mein sechsjähriger Enkel sagen“, berichtet ASS-Vorstandsmitglied Winfried Plesch. „Unser Engagement ist ganz direkt betroffen“, sagt seine Mitstreiterin Elisabeth Walter über die Potsdamer Pläne. „Der ASS tritt für ein offenes, inklusives und tolerantes Zusammensein in Schriesheim ein." Und dies werde so bleiben, versichert sie.
Günther Förster macht klar, dass es bei dem rechten Begriff „nichtassimilierte Staatsbürger“ nicht nur um Menschen mit Migrationshintergrund geht: „Sind es vielleicht auch Menschen, die im Talhof leben?“, fragt der Leiter dieser Wiedereingliederungshilfe: „Sind auch sie als nichtassimiliert zu deportieren?“ Schon die Nazis hätten solche Menschen als „Asoziale“ brutal verfolgt.
Roland Dubberke wirft einen instruktiven Blick in die Welt: „Es sind Hunderte von Millionen Menschen, die unter Unterdrückung leiden“, sagt der Sprecher von Amnesty International, „und die sich nach Demokratie und rechtsstaatlichen Verhältnissen sehnen und dafür sogar ihr Leben aufs Spiel setzen."
Es folgen die Vertreter der Parteien. Christiane Haase verweist auf ihre Familiengeschichte, um den historischen Bogen zu spannen: „Meine Oma hat im Zweiten Weltkrieg Jüdinnen und Juden zu Hause versteckt“, berichtet die CDU-Ortsvorsitzende: „Sie ließ meinen Opa, der Maurer war, eine zweite Wand einziehen. Nicht sichtbar, aber doch da, um Menschen zu verstecken, die verfolgt wurden.“ Dies präge sie.
Auch Ulrike von Eicke wählt einen persönlichen Einstieg: „Als die Nachrichten aus Potsdam kamen, hat mein Sohn spontan gesagt: Ich wandere aus“, berichtet die FDP-Ortsvorsitzende. Doch man müsse für die Demokratie hier im Lande kämpfen - „auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind. Aber wir sind uns einig, dass die Abschiebung von Menschen mit Migrationshintergrund niemals sein darf“.
Vergleich mit Nürnberger Rassengesetze von 1935
Patrick Schmidt-Kühnle verweist auf historische Vorläufer des jetzigen rechten Treffens: „Die dortigen Vorschläge erinnern erschreckend an die Nürnberger Rassengesetze von 1935“, sagt der designierte SPD-Vorsitzende. In der Wannseekonferenz 1942 sei dann von einer „Evakuierung der Juden nach dem Osten“ gesprochen worden: „Sie meinten den Völkermord an den Juden. Schon damals waren Verschleierung und Verharmlosung gängige Praxis."
Neben unermesslichem Leid bei den betroffenen Menschen würden die Pläne der Rechten auch die gesamte deutsche Gesellschaft schwächen, macht Fadime Tuncer klar: „Der Wohlstand ist nach dem Krieg nicht mit den Nazis gekommen. Es waren die vielen Millionen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter, zu deren Generation auch ich gehöre, die ihren Beitrag für dieses starke Deutschland geleistet haben“, so die Grünen-Landtagsabgeordnete und fügt unter riesigem Beifall des Publikums zu Recht selbstbewusst hinzu: „Unsere Heimat ist Deutschland!“
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Zivilgesellschaft Schriesheim kann stolz sein auf seine Bürgerschaft