Mannheim. Es mag überraschen: Doch die Vertreter der sieben verschiedenen politischen Gruppierungen im Gemeinderat der Stadt Schriesheim ziehen allesamt eine positive Bilanz ihrer Arbeit – trotz Corona. „Ich würde dem Jahr 2020 die Schulnote 2 geben“, bringt es der Grüne Christian Wolf als Chef der stärksten Fraktion auf den Punkt. Die übrigen stimmen ihm – selten genug – weitgehend zu.
Die positive Bilanz mag damit zusammenhängen, dass die vom „MM“ befragten Fraktionschefs selbst nicht an Corona erkrankt waren. „Aber in meinem Umfeld sind Menschen mit sehr heftigen Symptomen krank geworden“, schränkt Christian Wolf ein: „Auch jüngere.“
Stadträte in Quarantäne
CDU-Fraktionschef Michael Mittelstädt musste zwei Mal in häusliche Quarantäne, da Personen in seinem Umfeld im Verdacht auf eine Corona-Infektion standen. „Wir waren als Familie zehn Tage in Quarantäne“, muss SPD-Fraktionschef Sebastian Cuny ebenfalls berichten.
„Ich war in Quarantäne“, erzählt auch Einzelstadträtin Lissy Breitenreicher von der Bürgergemeinschaft. „Wenn ich darüber nachdenke, waren es die schlimmsten Tage meines Lebens.“ FDP-Fraktionschef Wolfgang Renkenberger fehlt der soziale Austausch mit Freunden auch in Lokalen. „Im Vergleich zu Anderen leben wir immer noch auf der Sonnenseite“, verweist Freie-Wähler-Fraktionschef Bernd Hegmann jedoch auf die Lage in anderen Staaten.
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„Ich war und bin sehr stark von den unverhältnismäßigen Maßnahmen der Regierung betroffen: Meine Grundrechte sind sehr stark beschnitten“, beklagt dagegen AfD-Rat Thomas Kröber die „völlig willkürlichen Maßnahmen“.
Trotz Pandemie Einiges erreicht
Und wie fällt angesichts dessen die politische Bilanz aus? „Wir haben viel erreicht“, bekräftigt Wolf seine Bilanz und nennt unter anderem die Beschlüsse zum Bestattungswald, zur energiesparenden LED-Straßenbeleuchtung und zum Pumptrack.
Auch Michael Mittelstädt äußert sich „unter den gegebenen Umständen sehr zufrieden“. Anders als Wolf macht er dies aber an diesem Punkt fest: „Die Gymnasiumssanierung läuft nach Plan.“ Außerdem nennt er den Breitband-Ausbau in Altenbach und den Lärmaktionsplan.
Bernd Hegmann spricht von einem „durchschnittlichen“ Jahr. Für ihn entscheidend ist der Fortgang der Schulsanierung: „Mit Vergabe der Gewerke in der Dezembersitzung ist jetzt die 70-Prozent-Marke erreicht, bei welcher der Gemeinderat noch eingreifen kann.“ Ein Wermutstropfen ist für ihn der Weggang von Bauamtschef Markus Schäfer.
Auch Sebastian Cuny sieht 2020 „kommunalpolitisch durchaus positiv“. Neben der Schulsanierung verbucht er als Erfolg den von der SPD initiierten Beschluss, keine kommunalen Räume an Organisationen zu vermieten, die die Menschenwürde missachten. „Zu Unzufriedenheit sehe ich keinen Grund“, bestätigt Wolfgang Renkenberger.
„Im Großen und Ganzen bin ich mit dem Jahr 2020 sehr zufrieden“, sagt Lissy Breitenreicher, für die es das erste volle Jahr als Stadträtin war. „Ich musste mich erst in alles reindenken. Mein Ziel war anzukommen, und das habe ich erreicht.“
Nur wenig liegengeblieben
„Weder zufrieden noch unzufrieden“, zeigt sich Thomas Kröber: „Die wichtigen Bauvorhaben laufen planmäßig weiter.“ Kritisch sieht er den Weggang von Stadtbaumeister Schäfer: „Die Hintergründe seiner Kündigung liegen im Dunkeln, weisen aber doch auf interne Probleme in der Verwaltung hin.“
Ist etwas liegengeblieben, das 2021 nachgeholt werden muss? „Liegengeblieben nicht unbedingt, aber verzögert“, sagt Christian Wolf und nennt die Photovoltaik-Anlage an der Autobahn und die Stromtankstelle am Bahnhof. Auch die Raumnot der Feuerwehr sei ungelöst. Mit dem bienenfreundlichen Schriesheim sei man nicht weitergekommen, da der betreffende Arbeitskreis wegen Corona nicht getagt hat.
„Natürlich mussten auch Sachen liegenbleiben“, meint dagegen Michael Mittelstädt. So wünscht er sich eine neue Klausurtagung des Rates, um zentrale Themen wie Finanzen und Wohngebiete zu diskutieren, aber auch die Frage „Was ist die Marke der Stadt Schriesheim?“
Bernd Hegmann sieht manche Verzögerungen, die seiner Meinung nach aber nicht mit Corona zu begründen sind. Als Beispiele nennt er den Hort, der im Oktober 2018 bezogen wurde, aber immer noch von einem Bauzaun umgeben sei. Oder die Bushaltestelle Stammberg, die bereits 2019 barrierefrei hätte umgestaltet werden müssen.
Was wird aus dem Neubaugebiet?
„Die Beteiligung der Bürger an wichtigen Prozessen hat unter den Kontaktbeschränkungen gelitten“, konstatiert Sebastian Cuny und nennt das Nahversorgungskonzept für Altenbach oder den Lärmaktionsplan. „Besonders bedauern wir den Stillstand in der Diskussion um die mögliche Entwicklung von Bauland“, verweist Cuny auf das seit langen angedachte Neubaugebiet Süd.
„In der Politik muss man Geduld haben“, zeigt sich Wolfgang Renkenberger gelassen. „Eigentlich nicht“, antwortet Lissy Breitenreicher auf die Frage nach Liegengebliebenem, während Thomas Kröber konstatiert: „Es ist Etliches liegengebleiben.“ Bauvorhaben wie die Hangsicherung Branich seien verschoben.
Was sind die größten Aufgaben für 2021? Christian Wolf nennt einen Kindergarten oberhalb der B 3, die Umsetzung des Lärmaktionsplans, die Biotopvernetzung, den Klimaschutz vor Ort etwa durch klimaschonende Heizungen in städtischen Gebäuden und mehr Fahrradfreundlichkeit in der Stadt.
Michael Mittelstädt nennt die weitere Begleitung der Schulsanierung, eine „saubere Vorbereitung“ der Kindergarten-Projekte sowie den Neubau des Altenheims auf dem Gärtner-Gelände an der B 3. Und dann kommen ja noch drei Wahlen – Bundestag, Landtag, Bürgermeister: „Das wird für uns auch organisatorisch eine Herausforderung.“
Auf die Bürgermeisterwahl weist auch Bernd Hegmann. Doch: „Die größte kommunalpolitische Herausforderung ist der Haushalt“, sagt er: „Nach Einlassung der Prüfstelle müssen die Einnahmen erhöht werden.“ Vor diesem Hintergrund seien Jugend- und Seniorenarbeit, das Sanierungsgebiet Talstraße und das Einzelhandelskonzept, der Lärmaktionsplan und das Radwegekonzept umzusetzen. „Letztlich behalten wir auch unser Dauerthema, die Sauberkeit unserer Stadt, im Auge.“
„Die finanziellen Folgen der Pandemie werden unseren Gestaltungsspielraum noch enger machen“, befürchtet Sebastian Cuny. Dennoch gelte es zu gestalten: Er nennt Wohnen, Gebäudesanierungen, ÖPNV.
Schulsanierung am wichtigsten
„Es gibt keine größere Herausforderung als die Schulsanierung“, betont Wolfgang Renkenberger: „Bis jetzt lief alles gut, aber das kann sich jederzeit ändern.“ Bedauerlich findet er, dass die Projekt-Gegner (gemeint sind die Grünen) ihren Widerstand weiter aufrechterhalten: „Noch im September 2020 gab es eine Abstimmung, die wir Sanierungsbefürworter, also Bürgermeister, CDU, SPD und FDP, gewinnen mussten“, erinnert er: „Das hört wohl nie auf. Ich habe da alle Hoffnung begraben.“
„Die größte Herausforderung ist sicher, die Schäden durch die Maßnahmen der Regierung klein zu halten“, fordert Thomas Kröber. „Die nötigsten Bauvorhaben müssen weitergeführt werden, ansonsten bin ich für einen strikten Sparkurs.“ Inhaltlich gelte es vor allem, die Photovoltaik-Freiflächenanlage zu verhindern. „Auch dem möglichen Neubaugebiet südlich des Schlittweges stehe ich skeptisch gegenüber.“
„Unsere Schwerpunkte geben uns die Bürger“, meint Lissy Breitenreicher auf diese Frage: „Bei unseren Treffen und auf unserer Homepage www.bgs-schriesheim.de.“
"Ich war in Quarantäne. Wenn ich darüber nachdenke, waren es ...
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